GESCHICHTE Sie werden in Blumengeschäften, Gärtnereien oder Grossverteilern verkauft, Kinder stellen sie unter Anleitung mit mehr oder weniger Begeisterung in der Schule, im Kindergarten oder an Bastelnachmittagen her, und Eltern oder Grosseltern wickeln und dekorieren sie mit ...
GESCHICHTE Sie werden in Blumengeschäften, Gärtnereien oder Grossverteilern verkauft, Kinder stellen sie unter Anleitung mit mehr oder weniger Begeisterung in der Schule, im Kindergarten oder an Bastelnachmittagen her, und Eltern oder Grosseltern wickeln und dekorieren sie mit ihren Kindern oder Enkeln: die Rede ist vom Adventskranz. Wer noch keinen hat muss sich beeilen, denn am Sonntag ist der 1. Advent.
KATHARINA WITTWER
Der uns heute bekannte Adventskranz wurde 1839 vom evangelisch-lutherischen Theologen und Erzieher Johann Hinrich Wichern in Hamburg «erfunden». Um den Kindern, die in dem von ihm gegründeten Waisenheim lebten, die Zeit bis Weihnachten zu verkürzen, befestigte man auf einem Wagenrad 19 kleine Kerzen für die Tage bis zum Fest und 4 grosse Kerzen für die Sonntage. Täglich wurde eine weitere Kerze angezündet. An Heiligabend brannten dann alle Kerzen.
Die dahinter stehende Symbolik ist leicht zu erklären. Advent kommt vom lateinischen adventus (Ankunft). Der Adventskranz bereitet also auf die Ankuft Jesu in der Welt vor, indem der Kranz immer heller erstrahlt. Die Bedeutung des Lichts wiederum ist biblischen Ursprungs: «Ich bin das Licht der Welt», sagte Jesus gemäss dem Johannesevangelium.
Bis zu 28 Kerzen
Von Wicherns Waisenhaus in Hamburg verbreitete sich die Tradition des Adventskranzes: Angestellte nahmen die Idee mit in ihre Familien, Auswanderer exportierten den Brauch in ihre neue Heimat. Auch heute noch gibt es Institutionen, die einen echten Adventskranz nach Wicherns Vorbild aufgängen. Die Anzahl der Kerzen wechselt von Jahr zu Jahr, weil der 1. Advent, sozusagen das Startdatum, nicht immer aufs gleiche Datum fällt. Der Wichern-Kranz hat deshalb mindstens 22 und höchstens 28 Kerzen.
Mit der Zeit geschrumpft
Weil es in privaten Haushalten unpraktisch war, ein Wagenrad aufzuhängen, verkleinerte sich der Adventskranz mit der Zeit, die Zahl der Kerzen schrumpfte auf vier (für die vier Adventssonntage).
Die Farbe der Kerzen war und ist meistens Rot. Sie steht, je nach Interpretation, für die Liebe Gottes zu den Menschen oder das Blut, das Christus am Kreuz vergossen hat.
Bis vor rund 50 Jahren wickelte man Adventskränze vornehmlich aus Tannengrün. Immergrüne Bäume und Zweige stehen für Lebenskraft und für die Hoffnung – eine Symbolik, die sich auch im Weihnachtsbaum wiederfindet. Mit dem aufkommenden Wohlstand wurden Adventskränze üppiger dekoriert. Bald gesellten sich zu Tannenzapfen getrocknete Blütenstände, Beeren, bunte Kugeln, Maschen, Bänder oder künstliche Fliegenpilze. Längst sind Farbe, Kerzenform und Dekoration auch der Mode unterworfen und es gibt immer wieder neue Trends. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt, Hauptsache, die Werke lassen sich verkaufen – gemäss dem Motto: «Erlaubt ist, was gefällt.» Nicht einmal die Kranzform, deren runde Erscheinung für die Ewigkeit oder auch das ewige Leben steht, ist mehr obligatorisch. Mancher stellt einfach vier spärlich dekorierte Kerzen auf einer Stein- oder Holzplatte nebeneinander – weniger ist mehr.
Je später, desto trockener
Bei traditionellen Kränzen sind die Grundzutaten meist natürlichen Ursprungs: gewundene Zweige von Bäumen und Sträuchern. Weil sie in den geheizten Stuben mit der Zeit vertrocknen, geht von den Kränzen eine Brandgefahr aus. Je näher Weihnachten rückt, desto leichter können herunterbrennende Kerzen das trockene Material oder die Dekoration entzünden. Alljährlich müssen die Feuerwehren ausrücken, um Zimmerbrände zu löschen.