Fantasievolle Aufarbeitung einer Familiengeschichte
14.06.2024 KulturBUCHVORSTELLUNG Machtmissbrauch, Armut und eine Vergewaltigung, die nicht ohne Folgen für den Täter bleibt: Das neue Buch «Der Zündhölzlibueb» von Rowena Kinread ist trotz einfacher Sprache keine leichte Kost. Die Autorin erzählt eine packende ...
BUCHVORSTELLUNG Machtmissbrauch, Armut und eine Vergewaltigung, die nicht ohne Folgen für den Täter bleibt: Das neue Buch «Der Zündhölzlibueb» von Rowena Kinread ist trotz einfacher Sprache keine leichte Kost. Die Autorin erzählt eine packende Geschichte aus dem Tal.
MARIA STEINMAYR
Der auf Fakten basierende Roman beleuchtet Ungerechtigkeiten im 19. Jahrhundert. Im Frutigland lebten die Menschen in bitterer Armut, oft hatten sie nicht einmal genug zum Überleben. Rowena Kinread, gebürtige Engländerin und mittlerweile am Bodensee wohnhaft, zeigt dies in ihrem neuen Buch deutlich auf.
Die Vorgeschichte
Der Grossteil der Lektüre handelt von den ärmlichen Verhältnissen der Bewohner Weissbrüggs, eines fiktiven Dorfs, das zwischen Kandersteg und Reichenbach angesiedelt ist. Kinread beschreibt detailliert, wie die EinwohnerInnen die harten Winter überstehen und die Sommer auf der Alp verbringen. Mit dem Bau der Zündholzfabriken hoffen die Menschen auf Arbeitsplätze und somit auf bessere Lebensbedingungen. Doch Unterbezahlung, Kinderarbeit und Krankheiten wie Vergiftungen prägen den Alltag.
Es gibt jedoch auch Privilegierte. Kinread zieht Parallelen zur heutigen Zeit, in der die Schere zwischen Arm und Reich weiterhin auseinanderklafft. Eine der Figuren im Buch geht besonders brutal vor. Der Mann bereichert sich nicht nur finanziell, sondern vergewaltigt auch viele der Frauen im Dorf. Sein Handeln bleibt lange unentdeckt, bis es schliesslich Gretl trifft, die minderjährige und taubstumme Tochter des Protagonisten Josef Schneider. Gretl gab es wirklich, allerdings wurde ihr Name zum Schutz der Nachkommen geändert. Als Gretls Eltern von der Vergewaltigung erfahren, schmieden sie einen Plan, um ihre Tochter zu rächen – und ziehen vor Gericht.
Der Fall durchläuft mehrere Instanzen. Der Angeklagte, mächtig und angesehen, findet immer wieder Zeugen zu seinen Gunsten – bis es am Schluss zu einer grossen Überraschung kommt. Der Fall landet in letzter Instanz vor dem obersten Gerichtshof in Lausanne und wird zu einem Präzedenzfall.
Von Yorkshire nach Frutigen
Wie kam die Autorin auf Frutigen? Aufgewachsen in Yorkshire, England, lebt sie heute in Ludwigshafen am Bodensee. In der Zeitung entdeckte sie einen Artikel über die geplante Eröffnung des Zündhölzlimuseums in Frutigen. Da sie schon immer geschichtsinteressiert war, weckte dieser Bericht ihr Interesse. Er behandelte die Zustände in den Fabriken, Kinderarbeit und Krankheiten durch Phosphor. Kinread, erstaunt über solche Zustände in der Schweiz, bestellte eine Infobroschüre bei Ruedi Egli, dem Präsidenten der Kulturgutstiftung Frutigen. Egli, zugleich Verantwortlicher des Zündhölzlimuseums, reagierte überrascht über die Anfrage aus Deutschland und nahm Kontakt zu ihr auf. Die Idee zum Buch war geboren.
Kinread wollte an die Missstände von früher erinnern. Egli erzählte der Autorin von «Gretl» und stellte den Kontakt zu einem Nachfahren, Ruedi Jungen, her. Jungen lieferte seine persönliche Geschichte und die Gerichtsbescheide, auf welche die Autorin ihren Roman stützen konnte.
Obwohl nicht alle Details stimmen, fusst Kinreads Werk damit auf Tatsachen. Die Charaktere beschreibt sie prägnant. Die Meinungen über das Buch gehen allerdings auseinander. Während die einen von fiktionalen Geschichten weniger begeistert sind, freut sich etwa Ruedi Jungen über die fantasievolle Aufarbeitung seiner Familiengeschichte.
Erhältlich bei der Autorin selbst, auf Wunsch signiert und mit Widmung: rowenastrittmatter@hotmail.com
Oder in der Buchhandlung Krebser in Thun
Erschienen bei Goldcrest Books International Ltd.
ISBN-10, 1913719952
344 Seiten