Fast ein halbes Jahrhundert bei der Egger AG

  02.12.2022 Frutigen

Es ist eine Karriere, wie sie heute nur noch selten vorkommt: 49 Jahre lang war Ernst Lauener bei derselben Firma angestellt. Trotzdem wechselte er in dieser Zeit mehrmals den Beruf. Am vergangenen Donnerstag ging er in den Ruhestand.

KATHARINA WITTWER
Im Drucksaal der Egger AG stehen seit Jahrzehnten Maschinen der Marke Heidelberg. Die älteste von ihnen ist ein schwarzes Ungetüm von den Ausmassen eines Kleinwagens. Sie stammt aus einer Zeit, als man Technik noch sehen und wortwörtlich begreifen konnte. Walzen, Hebel aus Stahl, Knöpfe so gross wie Waldpilze: Bei diesem Anblick bekommt auch der Laie eine Vorstellung davon, wie der Druck funktioniert. Das heisst allerdings nicht, dass der Apparat einfach zu bedienen wäre. Damit am Ende das Ergebnis stimmt, braucht es einiges an Verständnis und Erfahrung.

Ernst Lauener, den alle nur Aschi nennen, hat diese Erfahrung. Er kennt die modernen Drucksysteme – aber er weiss auch, wie die alte «Heidelberg» tickt und wie man damit noch immer hochwertige Druckerzeugnisse herstellen kann. Wenn er flink um die laut ratternde Maschine herumlief, hier eine Stellschraube drehte, dort etwas nachjustierte, war das jedesmal ein faszinierender Anblick.

Beworben – und geblieben
Dass Aschi Lauener in der Druckbranche landete, war eigentlich ein Zufall. «Nach dem Ende der Schulzeit wusste ich nicht, welchen Beruf ich ergreifen wollte oder sollte», erzählt der 65-Jährige. «Unmittelbar nach der Schulzeit arbeitete ich sechs Monate lang mal hier, mal dort, wobei mir nichts richtig zusagte.» Im Jahr 1973 bewarb er sich auf ein Stelleninserat der damaligen Buchund Offsetdruckerei Egger AG in Frutigen und wurde genommen. Am 1. September hatte er seinen ersten Arbeitstag – und ahnte nicht, dass er diesem Betrieb bis zur Pensionierung treu bleiben würde.

In den ersten Jahren war Lauener vor allem für die Bedienung der Buchdruckmaschinen zuständig – und damit auch für den «Anzeiger für den Amtsbezirk Frutigen», der damals jeden Freitag erschien. Jeden Mittwoch bestückte er die Maschine mit den Bleisatz-Seiten, welche die Schriftsetzer vorbereitet hatten. Tags darauf druckte er damit die Papierbogen. «Zuerst wurde die Druckerschwärze auf der einen Seite aufgetragen. Anschliessend wendete ich das Papier und die Rückseite wurde bedruckt», beschreibt Lauener den Arbeitsprozess. «Anschliessend falzte die Johannisberger Schnellpresse aus dem Jahre 1912 die grossen Bogen, und fertig war der Anzeiger für die Post.»

Gerne hätte der Bauernsohn aus einfachen Verhältnissen die Druckerlehre absolviert, doch sein direkter Vorgesetzter wusste: Die betriebliche und später auch die familiäre Situation liessen es nicht zu. Anerkennung erfuhr er von Arthur Egger, seinem Patron. «Aschi, für mich bist du offiziell Drucker, halt einer ohne Lehrbrief», sagte der einmal an einem Firmenanlass zu Lauener. Bis er gegautscht wurde – eine besondere Ehre für jemanden ohne Lehrabschluss – sollte es allerdings noch weitere zwanzig Jahre dauern.

Ein unverbesserlicher Optimist
Dass Lauener sein Handwerk versteht, hat er vielfach unter Beweis gestellt. «Als ich 1990 die Ausbildung als Drucker bei der Firma Egger AG begann, kannte Aschi die Arbeitsabläufe längst aus dem Effeff», sagt Philippe Hari, sein heutiger Vorgesetzter. «Obwohl er offiziell nicht mein Ausbildner war, habe ich von ihm extrem viel gelernt.» Aschi Lauener und sein Chef: Wenn es ums Fachliche geht, begegnen sie sich auf Augenhöhe. «Diesen Umgang schätze ich sehr», sagt Hari.

Bekannt ist Lauener auch für seinen unverbesserlichen Optimismus. «Ging etwas schief, blieb er gelassen und hatte meist eine Idee, wie man das Problem zurechtbiegen kann», erinnert sich einer seiner Wegbegleiter. Aschis Motto: «Git de scho – u wes ned git, de machemers z’gah». Bei alldem hatte er stets gute Laune. Sogar zur Frühschicht, die um 5 Uhr morgens beginnt, pfiff er bei der Arbeit ein Liedchen. Nebenher trank er seine sechs bis acht Kaffee, und wenn irgendwo Sugus oder andere Süsswaren herumstanden, waren sie selten vor ihm sicher.

Fast alles gemacht
Die technische Entwicklung in der Druckbranche schritt mit Siebenmeilenstiefeln voran. Der Bleisatz wurde vom Foto- und Filmsatz abgelöst, was komplett neue Arbeitsabläufe erforderte. In den letzten Jahren verlieh die Digitalisierung dem Fortschritt neuen Schub. Parallel zu dieser Entwicklung bildete sich Aschi Lauener weiter und sattelte innerhalb der Firma mehrmals um. So war er einer der wenigen, die Maschinen der ältesten und der neusten Generation gleichzeitig bedienen konnten. «Ich glaube, ausser im Satz hat er in der Druckerei und der Ausrüsterei sämtliche Arbeiten verrichtet, die es gibt», sagt Philippe Hari. Dazu gehörten auch «Ausseneinsätze» bei den Kunden: Oft war Lauener mit dem firmeneigenen Kleintransporter unterwegs und lieferte bestellte Drucksachen aus.

Ein faszinierendes Hobby
Schon als Teenager war Aschi Lauener von der Fotografie begeistert. «Ich bewunderte den ‹Busch-Fritz› (siehe «Frutigländer» vom 8. November) und sein diesbezügliches Können», erinnert er sich. «Er war mein Vorbild.» Von seinem zusammengesparten Taschengeld leistete sich der Oberstufenschüler seine erste Kamera und war mächtig stolz auf seine selbst geknipsten Bilder.

Seine Leidenschaft für die Fotografie blieb, seine Technik verbesserte er ständig – bis fast zur Perfektion. An einem Betriebsanlass bekamen seine Kolleginnen und Kollegen einen Eindruck von Aschis Können: Im Thuner Kino Rex zeigte er einige seiner beeindruckenden Naturfotografien. Längst wird er für Hochzeiten oder sonstige Anlässe als Fotograf engagiert. Auch nach seiner Pensionierung stehen bereits mehrere solche Engagements in seiner Agenda.

Und was macht der Pensionär Aschi Lauener sonst mit der nun gewonnen Zeit? «Da meine Frau noch im Berufsleben steht, will ich vermehrt Hausarbeiten übernehmen. Demnächst absolviere ich also die ‹Staubsaugerprüfung›, lässt der mehrfache Grossvater mit dem ihm eigenen Schalk verlauten. Zu Fuss, begleitet von seinen Hunden, die umgehängte Kamera immer mit dabei, will er ausserdem viel in der Natur unterwegs sein.

Mit dem Abschied vom Beruf ist es wie bei manch anderem: Einerseits wird er Aschi Lauener leichtfallen, andererseits wird er die Arbeit und die Kollegen vermissen. Immerhin: Für die Bedienung der modernen Offset- und Digitaldrucksysteme hat er firmeninterne Nachfolger gefunden – sogar für die alte «Original Heidelberg Cylinder». In den letzten Monaten konnte er jungen KollegInnen beibringen, wie die urtümliche Maschine funktioniert. Und es freut ihn, dass er sein Wissen weitergeben konnte.


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