Faszination für historische Züge
30.07.2024 KulturGut 40 Personen gönnten sich am Samstag ein besonderes Vergnügen: Sie reisten mit dem «Blauen Pfeil» ans Freilichttheater Frutigen. Die mehrheitlich über 50-Jährigen liessen sich dabei in ihre Jugendzeit zurückversetzen.
KATHARINA ...
Gut 40 Personen gönnten sich am Samstag ein besonderes Vergnügen: Sie reisten mit dem «Blauen Pfeil» ans Freilichttheater Frutigen. Die mehrheitlich über 50-Jährigen liessen sich dabei in ihre Jugendzeit zurückversetzen.
KATHARINA WITTWER
Egal, ob man in Burgdorf, Bern oder Thun zugestiegen war, ob man einen Platz in der 2. oder 1. Klasse gewählt hatte – alle zahlten den gleichen Preis für die Fahrt mit dem Sonderzug. Beliebt waren die Stehplätze direkt hinter dem Führerstand. Von dort konnte man dem Lokführer über die Schulter gucken und hatte dabei eine einmalige Aussicht. Ein Dreikäsehoch sass während der ganzen Fahrt auf einem Klappstühlchen im Führerstand. Er habe diese Fahrt von seinem Gotti geschenkt bekommen, erklärte er. Die Frage, ob er einst Lokführer werden wolle, beantwortete er mit einem überzeugten Kopfnicken.
Die Stimmung war ausgelassen. Jemand hatte Fahrt, Abendessen und den Theaterbesuch zum Geburtstag erhalten. Andere waren vielmehr an der Geschichte über den Tunnelbau interessiert. Draussen herrschte brütende Hitze, drinnen blies der Fahrtwind durch die geöffneten Fenster.
Einst auch Gefangenen- und Ziegentransport
Das Herz des pensionierten Kondukteurs und Zugführers Fritz Nyffenegger schlägt für den «Blauen Pfeil». Heute ist er als Zugbegleiter im Einsatz und erklärt den Passagieren das Wesen dieses historischen Transportmittels: Um mit der fortschreitenden Technisierung im Schienenverkehr mitzuhalten, schaffte die BLS 1938 drei Doppeltriebwagen mit der Bezeichnung BCFZe 4 / 6 an. Die 41 Meter langen Leichttriebwagen erreichten eine Geschwindigkeit bis zu 110 km / h. Dank des integrierten Gepäck- und Postabteils konnte man auf das Mitführen eines separaten Gepäckund Bahnpostwagens verzichtetn. Bei der Wiederinstandstellung zum Charterzug und der Umbenennung in «Blauer Pfeil» wurde hier technisch aufgerüstet. Nun können bei Fahrten mit Caterings Kaffeemaschine oder Kühlschrank an den Strom angeschlossen werden. Gleich daneben befindet sich eine kleine Gefängniszelle mit Fenster. Einst wurden auf diese Weise Gefangene in Handschellen von A nach B transportiert. Am Zielbahnhof wurden sie von einem Polizisten abgeholt. Am Samstag hingegen blieb dieses Abteil leer. Ob das Plumpsklo – das man nur während der Fahrt benutzen darf – am Samstag für den ursprünglichen Zweck in Anspruch genommen wurde, ist zu bezweifeln.
Nebst Reisegepäck oder Körben mit Kirschen, die für Verwandte im Emmental / Oberland bestimmt waren, wurden damals auch Tiere per Bahn befördert – zum Beispiel Kälber. Um frisches Blut in ihre Ziegenherden zu bringen, bestellten Entlebucher Ziegenhalter regelmässig Böcke im Wallis. Diese in hölzerne «Kalberkisten» gesperrten Samenspender wurden in Thun und Konolfingen umgeladen. Weil die Transportbehälter nicht wasserdicht waren und die Ausdünstung der Geissböcke zu Reklamationen vonseiten zweibeiniger Passagiere führten, liess das Transportunternehmen dieses Abteil mit gut schliessenden Zwischentüren ausstaffieren.
Auf akustische Rückmeldungen hören
Lokomotivführer Dani Hauswirth sitzt in seiner Freizeit im Führerstand. «Ich absolvierte meine Ausbildung exakt in der Zeit des technischen Umbruchs und lernte noch, mit Hebeln, Drehrädern und manuellen Bremsen umzugehen. Die BLS-Strecken kenne ich natürlich bestens und weiss, wo welche Signale stehen.» Der Wechsel auf den «Blauen Pfeil» falle ihm leicht, obwohl es zum Bedienen der Hebel in den historischen Zügen mehr Kraft brauche. Statt auf Bildschirme zu schauen – wie sie in modernen Führerständen Standard sind – achtet er auf akustische Rückmeldungen wie Holpern oder Klacken. «Heute vermisste ich die Klimaanlage, weshalb ich das Fenster öffnete.» Es bleibt ihm zu wünschen, dass er sich wegen der Zugluft keine Nackenstarre holte.
Die BLS-Stiftung
Der Hauptzweck der BLS-Stiftung – früher «BLS–Pioniertaten» – besteht darin, das historische Erbe des Bahnunternehmens zu erhalten. Im Depot in Burgdorf lagern nebst historischen Fahrzeugen und Rollmaterial Plakate, Modelle, Billette, Filme und vieles mehr. In ungezählten freiwilligen Stunden werden alte Wagen überholt und – sofern möglich – wieder fahrtüchtig gemacht. Triebwagen wie der «Blaue Pfeil» oder der «Wellensittich» werden für Charterfahrten bereitgestellt. Auf Voranmeldung sind Führungen im Depot möglich.
WI
Infos unter:
www.bls-stiftung.ch
www.bls.ch/charter
Kunstführer «Der Blaue Pfeil»