Feine Haare, starke Nerven: eine junge Coiffeuse aus Scharnachtal
26.08.2025 FrutigenViele Menschen in und um Frutigen kennen wahrscheinlich die junge Coiffeuse im Atelier an der Kanderstegstrasse 4 und liessen sich von ihr schon die Haare schneiden. Doch was steckt denn eigentlich hinter der sympathischen Lernenden Ronja Walser? Wie kam es dazu, dass sie diesen Beruf ...
Viele Menschen in und um Frutigen kennen wahrscheinlich die junge Coiffeuse im Atelier an der Kanderstegstrasse 4 und liessen sich von ihr schon die Haare schneiden. Doch was steckt denn eigentlich hinter der sympathischen Lernenden Ronja Walser? Wie kam es dazu, dass sie diesen Beruf wählte, sie in diesem jungen Alter so erwachsen wirkt und so selbstbewusst, freundlich und anständig ist?
JACQUELINE RÜESCH
Ronja Walser wohnt in Scharnachtal und hat schon sehr viel mehr erlebt als andere in ihrem Alter. In einen landwirtschaftlichen Betrieb hineingeboren, kennt sie schon von klein an die Mühen der Landwirtschaft und das Arbeiten rund um die Uhr. Doch so anstrengend das für manche scheint, ist es nicht nur das, was die junge Coiffeuse zu dem machte, was sie heute ist.
Mit einer Frau zusammen, welche auch als Mutter gewalttätig war, wollte sich Ronjas Vater bald von der Mutter seiner Kinder trennen; nicht nur, um sich, sondern vor allem, um seine Kinder zu schützen. Doch anders als erwartet erhielt nicht der Vater, sondern die gewaltbereite Mutter das Sorgerecht für Ronja und ihre eineinhalb Jahre jüngere Schwester.
Nun durchlebten die beiden Kinder eine harte Zeit, trotz Einwänden und zahlreichen Diskussionen mit der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB). Die Probleme zu Hause seien zum Teil so weit gegangen, dass sie und ihre Schwester auch in der Schule eine schwere Zeit durchlebten. Ronja hätte aus Kummer und Hilflosigkeit beinahe die siebte Klasse wiederholen müssen, bei der Schwester war es schlimmer, sie musste die eine Klasse tatsächlich wiederholen.
Wieder zu Hause in Scharnachtal
Sechs Jahre sind eine lange Zeit, wenn man als Kind am falschen Ort ist. Wenn man sich ängstigt, nach Hause zu gehen, oder Dinge erleben oder sehen muss, welche man als Kind besser nicht erleben oder mitansehen sollte. Doch nach sechs Jahren hat die kleine Familie, bestehend aus dem Vater und den zwei inzwischen grösser gewordenen Mädchen, es geschafft und die Behörde musste einsehen, dass sie bei der ursprünglichen Vergabe des Sorgerechts einen Fehler gemacht hatte.
Seit der Übertragung des Sorgerechts 2021 auf den Vater geht es den beiden Schwestern wieder deutlich besser. Das sieht man Ronja auch an. Schön gekleidet und gepflegt sitzt sie auf dem Sessel und erzählt ihre Geschichte, lachend und die Schultern hebend – «Es war halt so.» Kontakt habe sie keinen mehr zu ihrer Mutter, «ich möchte es nicht», meint sie.
Als Schülerin habe sie viel im landwirtschaftlichen Betrieb des Vaters ausgeholfen. Das mache sie auch heute noch, obschon auch der Grossvater noch auf dem Betrieb aushelfe und die Grossmutter da sei, die mit ihm in der Nähe wohne. «Im Moment ist er auf der Alp, im Winter schaut er dann zu den Kälbern», erzählt sie. Die beiden Grosseltern seien immer für sie da. «Für den eigenen Haushalt schauen wir aber selbst. Entweder koche ich oder mein Vater», erzählt Ronja, die sehr gerne Lasagne oder Bolognese isst.
Das Mithelfen bei der Arbeit zu Hause halte sie nicht von den Schulaufgaben ab oder von der Arbeit, meint sie. Im Gegenteil, sie macht es gerne, durch das, was sie erlebt hat, habe sie gelernt, selbständig zu sein. Trotzdem helfe ihr der Vater immer mal wieder bei den Hausaufgaben oder bei anderen Dingen für die Schule.
Der Weg zum Beruf
Als sie schon eine Weile bei ihrem Vater lebten, hätten sie mal ihre jetzige Chefin, Andrea Simona Schilt, kontaktiert, weil sie ein Sofa verkaufen wollte. Ihr Vater habe sie kontaktiert, sie seien für das Sofa zusammen zu ihr gegangen und später mal war die ganze kleine Familie bei ihr beim Friseur, alle kamen sie bei ihr unter die Schere. So kam dann eines zum anderen. Ronja erhielt bei ihr einen Wochenplatz, wo sie alle zwei Wochen für zwei Stunden bei ihr arbeiten konnte und so etwas Sackgeld verdiente. Sie habe geputzt, Haare gewaschen und durfte immer mehr Tätigkeiten ausüben. Der Schritt zur Lehre als Coiffeuse bei ihr war somit naheliegend.
Sie wollte schon immer Friseuse werden, erzählt sie. Ihre beiden Grossmütter hatten auch diesen Beruf und ihr habe dies immer gefallen. Die eine Grossmutter habe ihr auch gezeigt, wie man schöne Zöpfe knüpft. Alles andere habe sie aber in der Lehre gelernt. Ihr gefalle die Kreativität, die Freiheit, Sachen auszuprobieren, und vor allem auch der Kundenkontakt. Ronja Walser ist jetzt im zweiten Lehrjahr und geht in Thun in die Berufsschule. Ihr Lieblingsfach sei die Berufskunde. Dort lerne man zum Beispiel, wie die Haare aufgebaut seien, wie eine schöne Farbe zustande komme und was man in Bezug auf die Hygiene alles beachten müsse.
Die Jüngste in der Klasse
Während der regulären Schule mochte sie am liebsten die Fächer Sport und Werken oder Handarbeit. «Auch die Kochschule war cool», meint sie. In der Schule war sie immer die Jüngste in der Klasse. Sie hat Jahrgang 2009 und wurde mit Kindern eingeschult, die allesamt Jahrgang 2008 hätten.
Ob es ihr etwas ausgemacht habe? «Ich fühlte mich als Jüngste nicht anders, obschon, manchmal haben sie sich schon auch lustig gemacht über mich. Zum Beispiel, als es um die Töffliprüfung ging, da war ich natürlich die Letzte, die sie machen konnte.» Jetzt hat sie aber bereits die Töffprüfung und fährt täglich mit dem Töff von Scharnachtal nach Frutigen zur Arbeit. «Ich mag Dinge, bei denen man einen Adrenalinkick kriegt», gesteht Ronja. Jetzt in der Berufsschule ist sie die Drittjüngste, also ist sie nicht mehr allein dem Spott der Klasse ausgesetzt.
Pläne für die Zukunft
Ronja Walser hat lange Zeit geritten. Sie habe vom Vater ein Pony bekommen und hat das Reiten von der Mutter gelernt. Leider sei ihr deutsches Reitpony – diese sind für Ponys recht gross – kürzlich verstorben. Jetzt möchte Ronja ihren Vater bei den Kühen unterstützen. Sie möchte an Kuhschauen mithelfen. Dabei muss sie lernen, wie man die Tiere richtig am Halfter führt und wie man sie im Sägemehlring am besten zur Schau stellt.
Ihre Pläne für die Zukunft seien erst mal, am Hair-Event 2026 wieder gut abzuschneiden. Letztes Mal wurde sie Erste in der Kategorie der 1.-Lehrjahr-Coiffeusen. Im kommenden Jahr möchte sie auch gut sein, am liebsten genau so gut. Auch möchte sie auf jeden Fall die Lehrabschlussprüfung bestehen.
Im September geht die kleine Familie das erste Mal in die Ferien. Sie waren zwar schon ein paar Mal in der Umgebung auf kleineren Reisen und auch mal im Europapark, doch das Meer habe sie noch nie gesehen, erzählt Ronja. Sie freut sich darauf, mit ihrem Vater und ihrer Schwester nach Spanien zu reisen und zu sehen, wie das Leben ausserhalb der Schweiz sein kann.