Lebensgeschichten – Freiheit
21.10.2025 KolumneLEBENSGESCHICHTEN
Ich bin ein Vertreter der menschlichen Rasse und liebe die Freiheit. Bin ich frei, dann kann ich tun und lassen, was ich will. Ich muss auf niemanden Rücksicht nehmen, keine Termine einhalten und kann das Leben geniessen. Nach Lust und Laune ...
LEBENSGESCHICHTEN
Ich bin ein Vertreter der menschlichen Rasse und liebe die Freiheit. Bin ich frei, dann kann ich tun und lassen, was ich will. Ich muss auf niemanden Rücksicht nehmen, keine Termine einhalten und kann das Leben geniessen. Nach Lust und Laune unternehme ich irgendetwas oder lasse es sein – ganz nach meinem Belieben. Welch ein Glück, dass ich gesellschaftliche Verpflichtungen losgeworden bin. Es ging nicht lange und mir wurde klar, dass ein freies Leben mehr ist als Lustbefriedigung. Es ist womöglich die härteste Arbeit, die es gibt. Das Leben nach dem Lustprinzip führt oder entführt Menschen in die Sklaverei. Ich brauche nur das Thema Verführung und Sucht zu erwähnen (Drogen, Spielsucht und so weiter).
Es gab einmal einen Kinofilm – ich weiss nicht mehr, wie er hiess –, da ging jemand in die kanadische Wildnis. Er wollte in der freien Natur leben. Irgendwann hatte er tödliche, giftige Pflanzen gekocht und gegessen. Die Folgen dieses Genusses muss ich nicht weiter erörtern, sie beweisen aber, dass ein freies Leben lebensgefährlich sein kann.
Bevor sich jemand dem freien Naturerlebnis stellt, muss er die Flora und Fauna der Gegend kennen und damit umgehen lernen. Er muss auch wissen, wie man harte Winter überstehen kann. Kurz gesagt: Das freie Naturerlebnis ist harte Arbeit.
Wer früher geächtet oder verbannt wurde, erlitt wahrscheinlich die schlimmste Strafe, die es neben der Todesstrafe gab. Nur die wenigsten und Stärksten – damit meine ich nicht die Körperkraft – überlebten lange in der Verbannung, obschon sie gleichzeitig das Geschenk der freien Entscheidung erhielten.
Wer es schafft, ein freies, selbstverantwortliches Leben zu führen, gewinnt innere Stärke, denn er hat gelernt zu überleben.
Ein Leben in Freiheit kann man aber auch im Gewühl der Grossstadt, in einem Dorf oder – einfach gesagt – unter Menschen erleben. Auch unter Menschen kann ich mich unauffällig verhalten, sodass ich kaum wahrgenommen werde und mein Leben nach Belieben gestalten kann.
Es gibt jedoch ein paar Regeln zu beachten:
• Ich muss die Bereitschaft entwickeln, anderen zuzuhören. So kann ich mich vor Manipulation schützen und lerne zugleich, achtsam zu leben.
• Wir sollten uns darin üben, Reden und Schweigen in Einklang zu bringen; gedankenloses Schwatzen ist zu vermeiden. Ebenso wichtig ist es, das anzusprechen, was gesagt werden muss.
• Es steht mir frei, das zu tun, was ich will, sofern ich weder durch Gedanken, Worte noch Taten jemandem Schaden zufüge.
• Ich muss mir darüber klarwerden, dass ich keinen Trends folge, denn wenn viele Menschen das Gleiche tun, ist es nicht automatisch das Richtige. Wenn ich den Mut habe, mich der Frage «Wer bin ich?» zu stellen, dann erfahre ich viel über mich selbst. Wenn ich mich selbst kenne, kann ich mich innerlich stärken und ein freies Leben leben. Auf andere wirke ich vertrauenswürdig, weil ich das tue, was ich bin und was mein Wesen ausmacht. Aber – wie schon erwähnt – darf dabei niemand zu Schaden kommen.
Ein freies Leben zu führen ist weder in der Einsamkeit noch in der Gemeinschaft von Mitmenschen einfach. Es bietet sich aber die Möglichkeit, die eigenen Gaben, Stärken und Schwächen richtig zu verwalten. So lebe ich mein eigenes Leben – und nicht das eines anderen Menschen.
BERNHARD NEUENSCHWANDER
REDAKTION@FRUTIGLAENDER.CH