Die industrielle Revolution war für die Welt des 19. Jahrhunderts bahnbrechend, das wissen wir aus dem Geschichtsunterricht. Doch was, wenn die Theorie aus den Büchern anhand der tatsächlichen Begebenheiten in der eigenen Gemeinde sichtbar wird? Auch Frutigen durchlief eine ...
Die industrielle Revolution war für die Welt des 19. Jahrhunderts bahnbrechend, das wissen wir aus dem Geschichtsunterricht. Doch was, wenn die Theorie aus den Büchern anhand der tatsächlichen Begebenheiten in der eigenen Gemeinde sichtbar wird? Auch Frutigen durchlief eine Zeit, in welcher man punkto Licht von Holz, Öl und Kerzenwachs lebte, zu jener wechselte, in welcher der heutige Strom den Weg zu weisen begann.
Im 19. Jahrhundert gab es vielerorts im Kanton Bern sogenannte «Leiste» oder «Leistgesellschaften»; das waren Freundeskreise liberal gesinnter Männer, die sich nebst der Geselligkeit auch der Verbesserung des Zusammenlebens widmeten. Die Frutiger Gruppe traf sich regelmässig im Vereinslokal; seit 1864 war das die Wirtschaft «Zum Leist». Im Laufe des Jahres 1891 kam in der Leistgesellschaft die Idee auf, auch Frutigen sollte eine elektrische Beleuchtung bekommen. Sogleich bildeten Adolf Reichen (alt Grossrat und Leistwirt), Hilarius Rhyner (Schieferunternehmer) und Jakob Thönen (Sekundarlehrer) eine Kommission, klärten die Möglichkeiten ab und suchten Unterstützung. Bald fanden sich 25 Interessierte, die bereit waren, diese neuartige Beleuchtung einrichten zu lassen. Im März und April 1892 wurden die nötigen Installationen vorgenommen. Die erste Turbine mit Dynamo stand im Künzisteg bei der Uhrensteinbohrerei von Jakob Brügger. Gemäss einer Notiz im «Thuner Wochenblatt» vom 23. April 1892 fand «die Probe der elektrischen Beleuchtung statt, die zur besten Zufriedenheit ausfiel. Das neue Licht fand viele Bewunderer.»
Die Anfänge
Zu Beginn wurden 75 Lampen eingerichtet, bei Privaten, aber vor allem in Wirtschaften und Kramläden. Auch einige Strassen wurden beleuchtet; diese Kosten übernahmen die Stromlieferanten. Innert kurzer Zeit zeigte sich, dass die Turbine am Engstligenwuhr nicht ausreichte und das Ganze auf eine breitere Basis gestellt werden sollte.
Bereits im Juni 1892 wurde die «Aktiengesellschaft für elektrische Beleuchtung in Frutigen» gegründet, mit einem Aktienkapital von immerhin 10 000 Franken. Verwaltungsratspräsident war Nationalrat Arnold Gottlieb Bühler, als Sekretär amtete Adolf Reichen. Im Juli schloss die AG mit Gottlieb Sarbach, dem Eigentümer der Rybrüggmühle und -säge, einen Dienstleistungsvertrag ab. Die ganze Wasserkraft des dortigen Kanderwuhrs stand des nachts zur Stromproduktion zur Verfügung, in der Säge wurde nur noch tagsüber gearbeitet. Die Mühle war nicht mehr in Betrieb; dorthin kam der Dynamo zu stehen.
In der Amthausscheune wurde ein Transformator eingerichtet. Ab August 1892 war das neue Kraftwerk in Betrieb und belieferte anfänglich 50 Abonnenten mit 160 Lampen. Auch das Pfarrhaus und das Krankenhaus, das sich damals im Haus zur Farb befand, bekamen nun elektrisches Licht. Die Einrichtungen kosteten 18 000 Franken; die Turbine von 50 PS lieferte die Firma Rieter in Winterthur und die anderen Einrichtungen besorgte das Elektrizitätswerk Thun. Das Jahresabonnement für eine Glühlampe kostete 20 Franken. Die vorhandene Kraft reichte für 230 Glühlampen aus.
Ein gutes Geschäft
Offenbar lief das Geschäft gut und der Strombedarf wurde grösser. Im Jahr 1901 konnte die Aktiengesellschaft die Rybrüggmühle für 36 000 Franken kaufen und die Stromproduktion erhöhen: Der dortige Wuhr wurde geradegelegt und ausgebaut, was stärkere Turbinen ermöglichte. Bemerkenswert ist, dass während der Erneuerungsarbeiten das Werk von Anfang April bis Ende Mai 1901 abgestellt wurde. Es gab also zwei Monate lang keinen Strom.
Der Bedarf an Strom in Frutigen nahm stetig zu, insbesondere auch darum, weil dieser mehr und mehr auch zum Betrieb von Maschinen und Kochherden benutzt wurde. Ein weiterer Ausbau war in Frutigen nur schwer möglich. Um den Strombedarf weiterhin zu decken, suchte die Frutiger Gesellschaft Anschluss an einen grösseren Partner.
An der Hauptversammlung im März 1907 beschlossen die Aktionäre die Abtretung des Frutiger Elektrizitätswerks an die Vereinigten Hagneck- und Kanderwerke, die wenig später zur BKW wurden. Die Versorgung mit elektrischem Strom war fortan gesichert. Das Frutiger Kraftwerk wurde stillgelegt.
HANS EGLI