«Frutigländer»-Verleger Richard Müller blickt zurück und schaut voraus
31.10.2025 Kultur125 Jahre Frutiger Anzeiger, 20 Jahre «Frutigländer» – das Doppeljubiläum führte Verleger Richard Müller ins Parkhotel Bellevue in Adelboden. Er erzählte die Geschichte der Publikationen den Interessierten des Vereins «Oniborg». ...
125 Jahre Frutiger Anzeiger, 20 Jahre «Frutigländer» – das Doppeljubiläum führte Verleger Richard Müller ins Parkhotel Bellevue in Adelboden. Er erzählte die Geschichte der Publikationen den Interessierten des Vereins «Oniborg». Vorstandsmitglied Toni Koller, der an der Gründung des «Frutigländer» beteiligt war, beschrieb dessen Startschuss.
YVONNE BALDINI
«In der vorindustriellen Zeit verkündete ein Verlese-Weibel die Erlasse der Obrigkeit. Trommelwirbel riefen das Volk vor die Kirchen oder auf die Marktplätze.» Mit dieser Anekdote stieg Richard Müller in die Chronik ein. Laut seiner Schilderung gaben die Gemeinden erst nach der Verankerung der Bundesverfassung 1848 ihre Neuigkeiten über amtliche Anzeiger weiter. Ab 1899 lasen auch die Bürgerinnen und Bürger des Frutigtals die behördlichen Verlautbarungen in einem solchen Blatt. Rudolf Egger, Grossvater des langjährigen Frutiger Anzeiger-Verlegers und Druckerei-Besitzers Bernhard Egger, hatte dies mit den Gemeinden Aeschi, Frutigen, Kandergrund, Krattigen und Reichenbach vereinbart. Adelboden lehnte ab und lenkte erst 1906 ein. «Den Verlese-Weibel entliess man aber erst sieben Jahre später», liess Richard Müller schmunzelnd wissen. Kandersteg stiess ab 1912 dazu.
Vom «Frutiger Volksfreund» zum «Frutigländer»
Der Referent widerlegte die weit verbreitete Meinung, dass der «Frutigländer» die erste Zeitung im Tal sei. Politisch aktive Einheimische gründeten 1913 den «Frutiger Volksfreund». Der Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 setzte der Publikation allerdings ein jähes Ende.
Es dauerte über neunzig Jahre, bis die Region wieder zu einer eigenen Lokalzeitung kam. Über die Anfänge des «Frutigländer» erzählte Toni Koller, Oniborg-Vorstandsmitglied, langjähriger Radiojournalist und freier Journalist des «Frutigländer», aus eigenem Erleben: «Im ‹Berner Oberländer› war über die Geschehnisse im Kander- und Engstligtal sehr wenig zu lesen. Deshalb rief ich 2005 in einer Kolumne zur Gründung einer Lokalzeitung im Frutigland auf.»
Die Gebrüder Frank und Richard Müller aus Gstaad nahmen den Ball unverzüglich auf. Sie verlegen das seit über hundert Jahren bestehende Lokalblatt «Anzeiger von Saanen». Koller organisierte ein Treffen mit Behörden, Touristikern und Gewerblern in Adelboden.
Man empfahl, mit Bernhard Egger, dem Verleger des «Frutiger Anzeigers», Kontakt aufzunehmen. Denn die Inserate-Einnahmen, die eine Zeitung benötigt, würden in dieser Region weiterhin nur mit dem Anzeiger erzielt. Eggers lokale Vernetzung und Müllers Know-how: Das war die ideale Kombination! Sie gründeten eine gemeinsame Aktiengesellschaft und nach wenigen Monaten war der «Frutigländer» aus der Taufe gehoben.
Taskforce verhindert Untergang des «Frutigländer»
Müller legte dar, wie sich das Kind über Erwarten gut entwickelte, bis Corona die Welt und auch das Kandertal erfasste. Egger packte wegen der schwindenden Inserate die Angst. Er sah für den «Frutigländer» keine Zukunft mehr und wollte im Juni 2020 aufgeben. Ein Aufschrei ging durch die Bevölkerung; unter der Leitung des damaligen Frutiger Gemeindepräsidenten Faustus Furrer entstand eine Rettungs-Taskforce, die Gemeinden beschlossen Unterstützungsbeiträge. Und jetzt traten die Gebrüder Müller auf den Plan: Die Gstaader waren immerhin zur Hälfte Mitbesitzer der Frutigländer Medien AG. Sie wollten die Zeitung nicht eingehen lassen und übernahmen die volle Verantwortung.
Dank den befristeten Gemeindebeiträgen, dem während der Corona-Zeit gebotenen zinslosen Darlehen und der Presseförderung des Bundes gelang es, das Unternehmen zu stabilisieren. «Eigentlich fasste ich damals meine Pensionierung ins Auge. Stattdessen trat ich die Geschäftsleitung des ‹Frutigländer› an. Diese Aufgabe habe ich im Februar dieses Jahres Guntmar Wolff übergeben», erzählte der Sechsundsechzigjährige, der vorderhand weiterhin Eigentümer ist.
Kein «Frutigländer» ohne gedruckten Anzeiger
Richard Müller gab einen Einblick in die Themen, die ihn und die Redaktionsleitung zurzeit beschäftigen: Zeitungen schliessen ihre Lokalredaktionen und bauen Stellen ab. Die Werbeeinnahmen sinken, weil mittlerweile über die Hälfte davon an Google oder die sozialen Medien fliesst. Immer mehr Texte werden über künstliche Intelligenz generiert, deren Inhalte niemand überprüft. «Das ist unsere Chance. Wir wollen eine verlässliche Quelle sein», betonte Richard Müller. Das Verschwinden von Lokalblättern um 23 Prozent in den letzten zehn Jahren hat gemäss Müller Folgen: Gemeinden publizieren selbst und rücken ihre eigene Sichtweise in den Vordergrund.
Der Verlust der journalistischen Vielfalt sei augenscheinlich. Eine Studie der Fachhochschule Graubünden zeigte: je grösser die Auflage der Lokalzeitung, desto höher die Wahlbeteiligung.
Der Frutigländer erreicht mit einer Auflage von 3854 Exemplaren knapp dreissig Prozent der Haushaltungen im Erscheinungsgebiet. Die Tendenz ist laut dem Verleger steigend. Er machte den Zuhörenden aber auch klar, dass der «Frutigländer» ohne gedruckten Anzeiger nicht bestehen kann: «Die Inserate darin !nanzieren ihn massgeblich.» Umfragen erwiesen: Im Berner Oberland wünschen nach wie vor alle Gemeinden ihre Anzeiger in gedruckter Form.
Abschliessend formulierte Müller das Credo des «Frutigländer»: «Das Motto ist Nähe statt Grösse. Wir bilden das lokale Leben ab und bringen gleichzeitig überregionales und nationales Geschehen aufs Tapet, welches das Frutigland betrifft. Wir wollen den Zusammenhalt fördern und dafür sorgen, dass man in der Region miteinander spricht und nicht übereinander.»
Der älteren Leserschaft diene das gedruckte Blatt, den Jungen die Ausgabe auf dem Smartphone. Aber für alle gelte: Das Medium soll glaubwürdige Information liefern über das, was im Frutigland passiert.

