Geschichten
19.09.2025 KolumneDERFÜR U DERWIDER
M Was wäre die Welt ohne Alice im Wunderland, Robinson Crusoe oder Frodo Beutlin, dem Hobbit aus dem Auenland. Ich liebe Geschichten und Erzählungen über alles. Der Wahrheitsgehalt spielt da nicht so eine Rolle. Ganz im Gegenteil: Je ...
DERFÜR U DERWIDER
M Was wäre die Welt ohne Alice im Wunderland, Robinson Crusoe oder Frodo Beutlin, dem Hobbit aus dem Auenland. Ich liebe Geschichten und Erzählungen über alles. Der Wahrheitsgehalt spielt da nicht so eine Rolle. Ganz im Gegenteil: Je unwahrscheinlicher und skurriler die Erzählung daherkommt, desto mehr begeistert sie Jung und Alt.
Bei politischen Entscheidungen hingegen, sind fantastische Geschichten fehl am Platz. Dort können nur wahrheitsgetreue, nachgewiesene (und oft langweilige) Sachverhalte zu einer zielgerichteten und nachhaltigen Entscheidung führen. Beim Bundesgesetz über den elektronischen Identitätsnachweis, dem sogenannten E-ID-Gesetz, über das wir nächstens abstimmen dürfen, werden aber dennoch absonderliche Geschichten erzählt. Bei der Vorlage geht es um den offensichtlichen Bedarf an der Einführung einer elektronischen Identitätskarte, die den Bedürfnissen einer zunehmenden Digitalisierung gerecht werden soll. Die Vertraulichkeit, Sicherheit und Integrität unserer persönlichen Daten stehen dabei logischerweise im Fokus der Gesetzesvorlage.Eine dieser erwähnten Geschichten beginnt mit der kühnen Behauptung, dass es diese elektronische ID und den damit verbundenen Schutz der persönlichen Daten gar nicht brauche, dass diese sogar schädlich und gefährlich seien. In der Welt von Fantasia mag dies auch tatsächlich zutreffen, aber in der realen Welt wirkt die Haltung absurd. Fairerweise müssen wir aber anerkennen, dass diese Erzähler selbst kein Smartphone besitzen und niemals irgendetwas im Internet bestellen oder eine Online-Dienstleistung in Anspruch nehmen würden. Sie bezahlen ausschliesslich mit Bargeld und beziehen dieses niemals am Geldautomaten.
Für alle anderen ist eine elektronische ID wesentlich sicherer als bisherige Verfahren zur Identifizierung und ein entsprechender Schutz der persönlichen Daten essenziell. Ohne es zu merken oder zu wollen, hinterlassen wir täglich Spuren unserer Persönlichkeit im Wunderland des Internets und in den neugierigen Datenbanken des Marktes.
Die Geschichte geht aber noch weiter: Da wird vom bösen Staat erzählt, der seine Bürger verrät und die Identität derer an die Big-Tech-Firmen und an eine düstere Überwachungsökonomie verkauft. Auch hier lohnt sich ein genauerer Blick auf die (langweiligen) Sachverhalte. In der Schweiz besteht dieser so arg bescholtene Staat nämlich in erster Linie aus uns selbst. Wir, die wir vielleicht in einer Kommission oder im Gemeinderat mitarbeiten, Freunde, die in einem Parlament sitzen, Nachbarn, die in einem Bundesamt mitarbeiten, oder die Frau im Tram, die wir als Bundesrätin erkennen. Wir, die wir Steuern bezahlen, Militärdienst oder zivile Dienste leisten, an Abstimmungen teilnehmen und uns ab und zu an einer Gemeindeversammlung blicken lassen. Wir alle bilden und gestalten diesen Staat und unsere Behörden auf kommunaler, kantonaler und eidgenössischer Ebene. Die Organisation dieses Staates ist transparent und sämtliche strategischen Ziele und die dazu nötigen detaillierten Ausführungsbestimmungen sind fein säuberlich in Gesetzen, Verordnungen und Weisungen festgehalten. Transparenz schafft Vertrauen. Diese Transparenz und Vertrautheit können und müssen private Organisationen nicht bieten.
Die Leute des zuständigen Bundesamts (unsere Nachbarn), das Parlament (unsere Freunde) und der Bundesrat (den wir vom Tram kennen) haben offensichtlich die Lehren aus der letzten, gescheiterten Einführung einer E-ID gezogen und die Vorlage sinnvoll und zielgerichtet angepasst.
Übrigens: Das mit den Menschen, die kein Smartphone besitzen und nur mit Bargeld bezahlen, war auch nur eine Geschichte. Wie gesagt, ich liebe Geschichten.
HANS PETER BACH
HANSPETER.BACH@LIVENET.CH
REDAKTION@FRUTIGLAENDER.CH

