«Gravierender Einschnitt» für das Frutigland – Giftnotruf 145 steht vor dem Aus
04.07.2025 GesundheitWenn ein Kind etwa Waschmittel schluckt, so kann man sofort die 145 wählen: Der Giftnotruf gibt dann medizinische Auskunft. Nun droht dem Dienst aber das Ende. Eine Schliessung hätte weitreichende Konsequenzen.
ANGELA KRENGER
«Ja, auch die ...
Wenn ein Kind etwa Waschmittel schluckt, so kann man sofort die 145 wählen: Der Giftnotruf gibt dann medizinische Auskunft. Nun droht dem Dienst aber das Ende. Eine Schliessung hätte weitreichende Konsequenzen.
ANGELA KRENGER
«Ja, auch die Fachkräfte im Spital Frutigen nutzen die Notrufnummer 145 von Tox Info Suisse aktiv und regelmässig», sagt Dr. med. Markus von Gradowski, Chefarzt Fachbereich Allgemeine Innere Medizin Frutigen. So sei im letzten Jahr bei mehreren toxikologischen Fällen, also bei Gift, ein Anruf auf die Nummer notwendig gewesen.
«Rund 70 Prozent der Anrufe kommen von Privaten, 25 Prozent von Spitälern, Ärztinnen und weiteren Fachpersonen», sagt Dr. med. Josef Widler, Stiftungsratspräsident von Tox Info Suisse. Die Hilfesuchenden, die die Nummer 145 wählen, haben viele Anliegen. «Kürzlich hatten wir drei Anrufe», berichtet Widler. Im ersten Fall habe ein Frau Wäsche mit der Chemikalie Javel-Wasser gewaschen und sei damit in Schwierigkeiten geraten. Im zweiten Fall rief jemand von einer Notfallstation aus an. «Sie hatten einen Patienten, einen jungen Mann, der versucht hatte, sich das Leben zu nehmen», erzählt der Stiftungspräsident. Sie hätten Fragen zu unterschiedlichen Tabletten und deren Wirkungen gehabt. «Im dritten Fall brauchte eine Gesundheitsfachperson Infos zu unterschiedlichen Substanzen. Sie hatten einen Patienten in Behandlung, der Blut hustete.»
«Ein weiteres Rekordjahr»
Insgesamt wählten im vergangenen Jahr fast 43 000 Personen die Nummer des Giftnotrufs. Es sei ein «weiteres Rekordjahr», wie die Anlaufstelle in ihrer Mitteilung vom 1. Juli schrieb. Doch gleichzeitig warnt die Stiftung, Tox Info Suisse stehe vor dem Aus. Denn es fehlt an Geld. Das Loch in der Kasse sei vor allem einem nicht mehr zeitgemässen Finanzierungsmodell geschuldet. «Der aktuelle Beitrag des Bundes deckt nur rund 10 Prozent der Kosten, die übrigen Beiträge reichen nicht aus, um die Ausgaben zu decken», so die Anlaufstelle.
Auch fehle es an Personal. «Wir sind zurzeit unterbesetzt. Das hat auch damit zu tun, dass wir aktuell einen tiefen Lohn zahlen müssen», erklärt Lohner und fügt an: «Der Bund muss jetzt seinen gesetzlichen Auftrag erfüllen und für das nächste Jahr 1,1 Millionen Franken bereitstellen, um den Fortbestand für 2026 zu sichern.» Ohne den Bund drohe der Schweiz bereits ab 2026 der Verlust des Giftnotrufs.
Chefarzt in Frutigen warnt
Müsste Tox Info Suisse schliessen, wäre das ein «gravierender Einschnitt», so Chefarzt Markus von Gradowski in Frutigen. Für die Bevölkerung sowie die Fachkräfte würde eine an sieben Tagen die Woche und rund um die Uhr erreichbare kompetente Auskunftsstelle wegfallen, warnt er. «Gerade für Hilfesuchende in peripheren Gebieten, zum Beispiel auf dem Land, wäre das besonders schmerzhaft.»
Auch Josef Widler vom Notruf macht sich Sorgen. «Letztes Jahr haben wir rund 43 000 Beratungen durchgeführt. Wird der Notruf eingestellt, gehen wir davon aus, dass die Hälfte der Betroffenen einen Arzt aufsucht und ein Viertel ins Spital geht. Das wird geschätzt 5 bis 6 Millionen Franken an Kosten für die Krankenkassen verursachen», rechnet er vor. Sorgen bereiten ihm auch Personen, die sich besipielsweise nach einem Suizidversuch an den Giftnotruf richten würden. «Wir konnten einigen helfen – ob diese künftig in den Notfall gehen werden, ist unklar», sagt Widler.
ABC-Labor Spiez sagt: Tox Info ist relevant für mögliche Krisen
Das Labor Spiez verfügt über spezielle Einsatzequipen, kurz EEVBS, für die Bewältigung von ABC-Ereignissen in der Schweiz. Der ABC-Schutz soll atomare, biologische und chemische Gefährdungen abwehren. Nun können diese Einsatzequipen im Ereignisfall die kantonalen Einsatzorganisationen wie Polizei, Feuerwehr oder Sanitätsdienste unterstützen, erklärt Dr. phil. hist. Kurt Münger, Leiter Leitungsaufgaben Labor Spiez. «Insbesondere zur Bewältigung eines möglichen Ereignisses mit einer Gefährdung durch chemische Kampfstoffe oder andere hochtoxische Substanzen ist Tox Info Suisse Teil des allgemeinen Einsatzdispositivs», erklärt er. Damit stelle die Anlaufstelle eine wichtige Leistung für die Bewältigung von möglichen C-Ereignissen in der Schweiz bereit. Sprich: Wird es eingestellt, fehlt ein Puzzle-Teil unseres Sicherheitssystems.
Petition ist lanciert
Wer die Nummer 145 wählt, wird mit dem Giftnotruf verbunden. «Zuerst gelangt der Anruf zu einer Fachperson, die die Fälle nach Dringlichkeit triagiert», erklärt Widler.
Petition ist lanciert
Wer die Nummer 145 wählt, wird mit dem Giftnotruf verbunden. «Zuerst kommt der Anruf zu einer Fachperson, die die Fälle nach Dringlichkeit triagiert», erklärt Josef Widler. Danach werde der Anruf an einen Arzt, eine Ärztin weitergeleitet, die Auskunft gebe. «Zudem ist immer ein Oberarzt im Einsatz, der bei schweren Fällen zu Rate gezogen wird.» Das Telefon ist durchgehend bedient. «Gerade bei Anfragen aus Spitälern erkundigen wir uns später jeweils, wie der Fall verlaufen ist, um unsere Beratung zu evaluieren», erläutert der Stiftungspräsident.
Tox Info Suisse hat als Reaktion auf das drohende Aus eine Petition gestartet. Der Giftnotruf fordert sofortige Hilfe von Bundesrätin Baume-Schneider. Die Petition liegt online zur Unterschriftensammlung auf.
Link Petition Giftnotfall: (https://act.campax.org/retten-sie-den-giftnotruf-145)
ANGELA KRENGER