Hightech für das Ticketing am Oeschinensee
12.08.2025 KanderstegDer grosse Besucheransturm beim UNESCO-Welterbe Oeschinensee hat die Verwaltung der Bergbahn motiviert, neue, digitale Wege beim Ticketing einzuschlagen. Der «Frutigländer» wollte wissen, wie das neue System die Besuchermassen bewältigen soll.
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Der grosse Besucheransturm beim UNESCO-Welterbe Oeschinensee hat die Verwaltung der Bergbahn motiviert, neue, digitale Wege beim Ticketing einzuschlagen. Der «Frutigländer» wollte wissen, wie das neue System die Besuchermassen bewältigen soll.
ANGELA KRENGER
«Das Reservationssystem funktioniert», antwortet Christoph Wandfluh, Verwaltungsratspräsident der Gondelbahn Kandersteg-Oeschinensee AG dem «Frutigländer» auf die Frage, wie das neue Ticketing angelaufen sei. Gerade setzt er sich im Besprechungszimmer in der Talstation der Gondelbahn hin und erzählt, wie die Digitalisierung das Unternehmen verändert. «Es funktioniert», heisst für den 39-jährigen Hotelier und Gastronomen, dass es seine Aufgabe erfüllt. «Es hat den gewünschten Effekt: die Besucherströme zu lenken und besser zu verteilen», so Christoph Wandfluh.
Das System hätten sie im Vorfeld bereits ein Jahr im Hintergrund laufen lassen und getestet. Messungen und Analysen seien bereits seit vier Jahren im Gange. «Wir arbeiten mit der Software Skiperformance zusammen, dem weltweiten Marktführer im Erlebnis- und Freizeitticketing.» Unter den Schweizer Tourismusorten nehme der Oeschinensee mit seinem Ticketing eine Pionierrolle ein. Das System musste auf ihre Bedürfnisse angepasst werden und viele technische Einbindungen mussten integriert werden, so etwa die SBB-App.
«Wir gehen den Weg der Digitalisierung bereits seit Jahren», bekräftigt Christoph Wandfluh. Das gehe bei ihnen bis jetzt sehr gut. Als Hauptgrund dafür nennt er die Vereinfachung von Prozessen für Gäste und Mitarbeitende. «Unser Betrieb ist sehr gut aufgestellt; vom Gästedienstmitarbeiter bis zur IT-Spezialistin arbeiten bei uns viele tolle Leute. Es sind rund 40 Vollzeitstellen bei der Gondelbahn. Am Oeschinensee selber arbeiten in den verschiedenen Betrieben über 100 Personen – von Landwirtschaft über Kulinarik bis Bootsvermietung.»
Kurz nach der Einführung des neuen Reservationssystems am 10. Mai 2025 wurden Justierungen vorgenommen. «Zum Beispiel merkten wir bald, dass wir die Anzahl Personen pro Besuchs-Slot anpassen mussten», erzählt Wandfluh. Auch die Gästekommunikation wurde mehrere Male angepasst, damit die Anweisungen und Infos verständlicher wurden. «Ein Lernprozess. So wurden auch die Drehkreuze ersetzt. Nun können Kinderwagen und Rollstühle problemlos passieren», gibt er ein weiteres Beispiel. Mit dem Reservationssystem habe sich auch das Anstehverhalten geändert. Es gibt nun zwei Linien; eine ist teils nur mit Reservation zugänglich. Das Kassenhaus wurde komplett erneuert, um die Gäste zu orientieren. «Die Auslastung auf dem Berg ist ab einer gewissen Besucherzahl erreicht», sagt Wandfluh. Die Gesamtbesucherzahl wird vom Verantwortlichen des Gästedienstes betrachtet. Die Betreiber zählen dazu einerseits die GondelbahnfahrerInnen und anderseits die reinen Wanderer. Der Verkauf der Tickets wird ab einer gewissen Obergrenze reduziert oder gar ausgesetzt und erst wieder ein paar Stunden später aktiviert. «So haben wir 10 Mess-Sensoren, die uns mitteilen, auf welchen Wanderwegen wie viele Personen gesamthaft zum Oeschinensee gelangen», erzählt Wandfluh. Aktuell wandern im Jahresschnitt rund 44 Prozent der Gäste zum See. 56 Prozent nutzen, einfach oder retour, die Gondelbahn. Die Verantwortlichen wissen auch, wie viele über das Hohtürli zum See gelangen oder wie viele Menschen den Heubergweg einschlagen.
Für Inspiration und Wissensaustausch in Sachen Digitalisierung nutzt die Region Oeschinensee ihr internationales Netzwerk. Denn: «Die Systeme, die wir nutzen, kommen auch an Hotspots wie dem Pragser Wildsee im Südtirol zum Einsatz», sagt Christoph Wandfluh. Auch die Parkplatzsituation wurde genau beobachtet und danach etwa der Verkehrsdienst in Absprache mit der Gemeinde angepasst. «Mittels Drohnen wurde abgeklärt, wie sich die Parkplatzsituation in Kandersteg genau darstellt und welche Verbesserungen im Gemeindegebiet diskutiert werden müssen», sagt Wandfluh. Aktuell seien aber keine dieser Flugobjekte in Betrieb.
Das Vorgehen des Teams sei immer gleich. «Wir überlegen uns, welches Thema angegangen werden soll, erheben dann Daten und machen Grundlagenforschung, werten aus, definieren Massnahmen und schauen, ob diese den gewünschten Effekt haben», beschreibt Wandfluh die Methode. Dabei sei das Ziel immer: das bestmögliche Besuchererlebnis schaffen. «Unser oberstes Ziel ist, die Natur des UNESCO-Welterbes am Oeschinensee nachhaltig zu schützen», betont der Verwaltungsratspräsident. «Die Schönheit des Ortes – unser grosses Kapital – soll auch für unsere Enkelkinder erhalten bleiben.»
«Das Gästeverhalten hat sich mit dem Reservationssystem positiv verändert», erzählt Wandfluh. Im Unterschied zu früher reisen die Gäste verteilter über den Tag an. «ÖV-Reisende buchen in der Regel ein End-to-end-Ticket mit Zeitslot, etwa Zürich-Oeschinensee und zurück», veranschaulicht er ein typisches Gästeverhalten. Gäste haben zudem die Möglichkeit, das gekaufte Ticket mehrere Male während einem Jahr umzubuchen. Der Oschinensee ist ein internationaler Hotspot und das hat Folgen für die Kommunikation. «Wir haben festgestellt, dass die meisten Gäste nicht die offiziellen Informationskanäle mehr nutzen, sondern sich über Social Media informieren. Deshalb investieren wir viel in die Sensibilisierung der Gäste via soziale Medien», erläutert Wandfluh, der auch Medienverantworlticher der Bahnen ist. Die Gondelbahn arbeitet dafür mit drei Agenturen zusammen. Dieser Bereich wird vom Geschäftsführer und Verwaltungsrat Demian Stettler koordiniert.
«Auf den sozialen Medien wollen wir nicht um mehr Gäste werben, sondern über das korrekte Verhalten vor Ort aufklären», sagt Wandfluh zu ihrem Gebrauch der Plattformen. So soll den Besuchern vor der Anreise nähergebracht werden, dass es eine Reservation braucht, dass es Verhaltensregeln gibt und dass es sich beim See um ein schützenswertes UNESCO-Welterbe handelt. «Die Gäste sollen die Natur um den Oeschinensee mit Demut und Respekt besuchen», erklärt er.
Jetzt ist genug geredet – der Verwaltungsratspräsident steht auf und führt durch die Talstation. Dort befinden sich multifunktionale Ticketautomaten, digitale Schliessfächer zur Aufbewahrung von Gästegepäck, ein Maschinenraum, Server, Lager, Wartungsgeräte, eine Metallwerkstatt und ein Büro von etwa 30 Quadratmetern Fläche. Letzteres ist der Ort, an dem die Fäden der technischen Umwälzung zusammenlaufen. Hier wird überwacht, wie viele Gäste sich aktuell auf dem Berg befinden, und festgelegt, welche Statusanzeigen auf dem Gästeinformationssystem – sei es auf den Anzeigetafeln der Bahn und im Gebiet, auf der Website oder in den Push-Nachrichten an die Mitarbeitenden – angezeigt werden. Von hier geht es nun 420 Höhenmeter in die Lüfte Richtung Oeschinen Bergstation. Auf dem Berg angekommen, treffen wir den Frutiger Thomas Graf. Er ist seit zwei Jahren als Chefranger am Oeschinensee tätig. Er hat seine Hündin Ella, eine Sympathieträgerin. «Über sie komme ich schnell in Kontakt mit den Leuten. Ausser mit jenen, die sich vor Hunden fürchten, das muss man wissen», gibt er zu bedenken.
«Ich freue mich jeden Tag, hierher zu kommen», erzählt er ohne Umschweife. Seine Hauptaufgabe ist: Auskunft erteilen und die Anlagen in Schuss halten. Der Oeschinensee sei so schön, den wolle die ganze Welt sehen, meint der Frutiger überzeugt. Und das gehe mit dem neuen Reservationssystem besser als zuvor. «Die Besucher verteilen sich besser und haben ein qualitativ besseres Erlebnis. Auch die Natur und die Mitarbeitenden profitieren davon», berichtet der Chefranger.
Gäste können den Ranger ansprechen oder ihn übers Ranger-Handy erreichen. Die digitalen Neuerungen haben seine Arbeit verändert. Auf der App der digitalen Abfallkübel «Mister Fill» sieht er etwa, welcher Abfallbehälter wie voll ist. Von diesen gibt es allein auf dem Berg 30 Stück. Gewartet werden die Abfalltrennstationen mit einem Elektrofahrzeug. Seine Hündin sei auch hier immer dabei.
Zum Müll-Management erklärt Christoph Wandfluh: «Wir hatten zuvor ein Abfallproblem. Wildtiere haben regelmässig die Abfallkübel durchstöbert und Gäste haben wegen der fehlenden Dichte an Abfallbehältern den Abfall auf dem Boden liegen gelassen.» Dank der flächendeckenden Einführung des neuen Abfallsystems, habe sich die Situation entspannt. Der Abfall wird auf der Alp in zwei Pressmulden gesammelt und direkt in die AVAG nach Thun gebracht. So kommen an einem starken Wochenende hier oben über 1,4 Tonnen Abfall zusammen.
Auch während des Besuchs des «Frutigländers» klingelt das Ranger-Handy in regelmässigen Abständen. Ein Gast fragt nach, ob er oberhalb der Baumgrenze frei campieren dürfe. Der Ranger erklärt ihm auf Englisch, dass dem nicht so sei, dies benötige nämlich die Einwilligung der Landwirte.
«Unser Ziel ist, dass Besucher ein gutes Erlebnis haben», betont Christoph Wandfluh. Bei Tourismus-Hotspots gebe es drei einfache Messpunkte für ein gutes Gästeerlebnis: «War es sauber? Musste ich lange anstehen? Waren die Mitarbeitenden freundlich?» Dank dem Reservationssystem wird jeder Gast nach seinem Ausflug aktiv nach seiner Zufriedenheit gefragt. «Das Gäste-Feedback ist uns sehr wichtig und wir nehmen das sehr ernst. Nur so können wir uns auch verbessern», so Wandfluh.
Über eine weitere App schaut der Ranger nach, wo wie viele Gäste unterwegs sind. Dazu braucht es sogenannte Eco-Tracker, die das Ranger-Team um Thomas Graf an mehreren Wegen montiert hat. Zurzeit sind es um den See zehn Geräte, die mit einem Laser die Anzahl passierender Personen messen. «Jetzt sehe ich hier, dass heute bis jetzt 115 Personen von der Talstation in Richtung Oeschinensee kamen», erläutert der Ranger und zeigt auf sein Handy-Display. «Einige Wanderer sind übers Hohtürli unterwegs und zwei Personen kamen bereits über den Heuberg», berichtet er weiter. Diese Infos seien eine grosse Erleichterung während der täglichen Arbeit. Wichtig sei diese App auch abends, um zu überprüfen, ob noch Gäste auf dem Berg sind.
Seit 1892 ist die Familie Wandfluh nun in fünfter Generation am Oeschinensee zu Hause. Christoph Wandfluh führt mit seiner Frau Lea und seinem Bruder David zwei Gastrobetriebe auf dem Berg. «Diese Verbundenheit verändert den Blick als Unternehmer und ist mit ein Grund, weshalb wir Wert auf Nachhaltigkeit legen», erklärt Christoph Wandfluh seine Beziehung zum touristisch erstürmten UNESCO-Welterbe.
«Es ist die Aufgabe meiner Generation, mit dem Phänomen Massentourismus klarzukommen. Meine Vorfahren hatten auch Veränderungen zu meistern, mein Grossvater zum Beispiel wuchs ohne Auto und Computer auf», erzählt er. «Wenn sich die Gegebenheiten ändern, dann muss man sich halt anpassen», ist er überzeugt.
Seit dem Instagram-Hype vor einigen Jahren habe die Destination viele internationale Gäste, die allein für ein Foto anreisten. «Das Ziel muss sein, dass die Gäste nicht nur für zwei Stunden den Oeschinensee besuchen, sondern auch Zeit in Kandersteg, Frutigen oder Adelboden verbringen. Die Wertschöpfung für unsere Täler muss so gross wie möglich sein», sagt Wandfluh zur längerfristigen Ausrichtung des Ferienziels.
Den Menschen zuhören, hinschauen und sich verbessern, ist die Devise, mit der Christoph Wandfluh die Vorteile der Digitalisierung am Oeschinensee nutzen will. Dabei muss er schmunzeln, als er erzählt, dass die WC-Gänge gezählt würden. Das, um die Wartung besser zu planen. Das Kompotoi im hinteren Teil des Sees scheint offenbar besonders beliebt zu sein. «Die Öko-Toilette wurde in der letzten Saison 46 000 Mal aufgesucht», erzählt er. Eine Zahl von vielen, anhand denen der Oeschinensee sein digitales Management verfeinert.
Tickets für Einheimische
Für Ortsansässige gibt es die Gold-, Silber- und Bronze-Karten.
Erstere ist den Bewohnern von Kandersteg vorbehalten; sie kostet für Erwachsene 100 Franken pro Jahr und gilt nebst der Gondelbahn auch für die Skilifte und das Kinder-Oeschiland. Die Silber-Karte ist für Personen aus dem ehemaligen Amt Frutigen. Die bronzene Karte können Personen mit einer Ferienwohnung in Kandersteg kaufen. «Rund 85 Prozent der KanderstegerInnen haben eine Goldkarte», so Christoph Wandfluh. Wer eine dieser Karten hat, kann jederzeit und ohne Reservation eines Zeit-Slots mit der Bahn hochfahren.