Hoffnungsträger an drei Seilen
28.06.2024 TourismusDrei Fragen sollten am Mittwochabend im Kandersteger Gemeindesaal beantwortet werden: 1. Ist die geplante Seilbahn ins Gebiet Elsigen-Metsch baubar? 2. Ist das Projekt bewilligungsfähig? 3. Ist die Bahn finanzierbar und wirtschaftlich zu betreiben? Am Ende des Infoanlasses liess sich eine ...
Drei Fragen sollten am Mittwochabend im Kandersteger Gemeindesaal beantwortet werden: 1. Ist die geplante Seilbahn ins Gebiet Elsigen-Metsch baubar? 2. Ist das Projekt bewilligungsfähig? 3. Ist die Bahn finanzierbar und wirtschaftlich zu betreiben? Am Ende des Infoanlasses liess sich eine Frage sicher beantworten: Das Vorhaben ist technisch realisierbar. Favorisiert werden eine Talstation auf der Seite des Kandersteger Autoverlads und eine Bergstation im Gebiet Hohmatti. Zum Einsatz kommen soll ein TRI-Line-System (zwei Tragseile, ein Zugseil) mit 18er-Gondeln, das über drei Stützen geführt wird.
Auch die zweite Frage lässt sich grundsätzlich mit Ja beantworten: Es gibt keine Faktoren, die eine Bewilligung des Projekts unmöglich erscheinen lassen. Allerdings ist das entsprechende Verfahren aufwendig und komplex. Eintrag in den kantonalen Richtplan, Nutzenabwägung, Prüfung der Umweltverträglichkeit – vieles gilt es noch zu klären. Doch das Projektteam ist zuversichtlich, dass am Ende eine Bewilligung stehen wird.
Kaum beantworten lassen sich derzeit die finanziellen Fragen. Die Planer halten Gästefrequenzen von jährlich mindestens 250 000 Ersteintritten für realistisch – ab dieser Schwelle liesse sich die Bahn rentabel betreiben. Doch zuvor muss erst einmal die Finanzierung geklärt werden. Die Gesamtkosten werden heute auf 65 bis 95 Millionen Franken geschätzt, darin enthalten sind auch die geplanten Erweiterungen im Skigebiet Elsigen-Metsch. «Das ist viel Geld, sehr viel Geld», gab Projektleiter Lukas Eichenberger unumwunden zu. «Aber wir entwickeln eben ein ganzes Gebiet, nicht nur eine Bahn.» Zwölf Monate Zeit hat man sich gegeben, um die Finanzierung zu sichern. «Wenn wir es in diesem Jahr nicht schaffen, schaffen wir es vermutlich überhaupt nicht», so Eichenberger.
Die Geldfrage ist nicht die einzige Unwägbarkeit. Wie etwa werden sich Klima und Wintertourismus entwickeln? Wird man es wirklich schaffen, den Autoverkehr aus Kandersteg fernzuhalten? Das kann heute niemand sicher beantworten.
Bei den Initianten des Projekts überwogen am Mittwoch gleichwohl Optimismus und Aufbruchstimmung. Der Kandersteger Gemeinderatspräsident Réne Maeder brachte es auf den Punkt: «Wir sind von all den Herausforderungen, die wir im Berggebiet vor uns haben, manchmal regelrecht gelähmt. Dieses Seilbahnprojekt steht für den Glauben an die Zukunft.» Er halte das auch für ein wichtiges Signal an die Jugend: «dass wir an diesen Ort glauben.»
POL
«Dem Adler in den Horst schauen»
Die Luftseilbahn Kandersteg-Elsigenalp (LKE) ist grundsätzlich realisierbar – so lautet die Botschaft des Infoanlasses vom Mittwochabend. Bis die ersten Gäste in der Gondel über den Golitschenpass schweben, sind erwartungsgemäss noch viele Fragen zu klären. Eine davon ist, welche Auswirkung die neue Bahn auf den Individualverkehr in Kandersteg hätte.
MARK POLLMEIER
Wie schon die letzten beiden Anlässe zur LKE zog auch dieser Infoabend zahlreiche Interessierte an. Neben der lokalen Bevölkerung waren auch verschiedene Gemeinderäte und Kantonspolitiker aus Kandersteg und Frutigen anwesend – schon dies ein Zeichen dafür, dass es hier um ein Vorhaben von überregionaler Bedeutung ging.
Die Planer stellten die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie vor, begründeten ihre bisher getroffenen Entscheide und skizzierten den weiteren Verlauf des Verfahrens. Die Präsentation war klar strukturiert und lieferte alle Informationen, die zum jetzigen Zeitpunkt gegeben werden können. Die Antworten zur Verkehrsfrage blieben jedoch auch diesmal etwas vage. Kandersteg kämpft bekanntlich schon jetzt mit Autofahrern, die an Spitzentagen auf Parkplatzsuche durch den Ort fahren. Würde eine weitere Bahn diesen Effekt noch verstärken?
Die LKE-Planer erhoffen sich das Gegenteil: dass nämlich der gute Bahnanschluss Kanderstegs viele Besucher zum Umstieg auf den ÖV bewegen wird. Das Ziel sei klar: weniger MIV (motorisierter Individualverkehr) im Dorf. Ein gewisser Teil der Besucher werde jedoch nach wie vor mit dem Auto anreisen, gab Projektleiter Lukas Eichenberger zu. Er skizzierte verschiedene Möglichkeiten, diesen Verkehr zu kanalisieren bzw. abzufangen (Parkhäuser in Kandersteg, Park & Ride ab Frutigen oder Reichenbach). Doch das seien nur erste Überlegungen. Um die Verkehrsproblematik anzugehen, müsse man ein Gesamtverkehrskonzept Kandertal entwickeln, das die verschiedenen Bedürfnisse und Notwendigkeiten berücksichtige.
Bevor man den Verkehrsfluss regelt, müssen freilich andere Dinge geklärt werden. Die grösste Hürde der nächsten Monate wird sein, die Finanzierung des Bahnprojekts zu sichern. Mit 65 bis 95 Millionen Franken kalkuliert man derzeit, «einen stolzer Betrag», wie Eichenberger sagte.
Was die neue Bahn den einzelnen Standorten bringen soll, wie man sie technisch umsetzen will, was sich die beteiligten Unternehmen davon versprechen: Nachfolgend einige Schlaglichter vom Infoanlass.
Wozu überhaupt eine neue Bahn?
Kandersteg ist mit zwei Phänomenen konfrontiert. Zum einen wird die Wintersaison wegen des Klimawandels zunehmend zur Herausforderung. Der Schneemangel sorgte zuletzt dafür, dass Langlaufen im Dorf kaum noch möglich war. Und ob es langfristig noch eine Talabfahrt aus dem Skigebiet Oeschinensee geben wird, ist nicht sicher. Zum anderen hat sich eben jener Oeschinensee im Sommer zu einem touristischen Hotspot entwickelt. Die Begleiterscheinungen, Stichwort Overtourism, machen dem Ort zu schaffen. Eine Bahn ins Gebiet Elsigen-Metsch könnte beide Probleme lösen. Im Winter würde sich Kandersteg damit ein grösseres, höher gelegenes Skigebiet erschliessen. Im Sommer könnten die Besucherscharen besser verteilt werden. Beides käme auch Elsigen-Metsch zugute: Im Winter wäre das Skigebiet durch den Zugang von Kandersteg her besser ausgelastet, im Sommer würde die Bahn neue Kundengruppen erschliessen.
Darüber hinaus erhofft man sich von der neuen Bahn nachgelagerte Effekte auf den lokalen Tourismus: eine grössere Wertschöpfung durch Tagestouristen, eine bessere Auslastung der Hotellerie, nachgelagerte Investitionen und dadurch eine Stärkung des Gewerbes insgesamt.
Aber auch der psychologische Effekt des Projekts wurde am Anlass mehrmals betont. Von einem Impuls war die Rede, von Signalwirkung, von Perspektiven und Aufbruchstimmung.
Warum der Standort Kandersteg?
Theoretisch wären auch Achseten, Frutigen oder Mitholz als Ausgangspunkt möglich gewesen. Jede dieser Alternativen bringt im Vergleich zu Kandersteg jedoch Nachteile mit sich: schlechtere Infrastruktur, anspruchsvollere Topografie, kompliziertere Streckenführung, fehlender ÖV-Anschluss. Am Ende sprach alles für Kandersteg.
Die Talstation
Weil ein möglichst reibungsloser Umstieg vom ÖV auf die Seilbahn möglich sein soll, muss die Talstation zwingend in Bahnhofsnähe angesiedelt sein. Die nun vorgesehene Lösung sieht ein Gebäude auf der Seite des Autoverlads vor. Dieser Standort nimmt einerseits die Wünsche der Bevölkerung auf und hat andererseits den Vorteil, nicht die BLS-Bahnleitungen queren zu müssen. Als Hauptzugang soll die bestehende Personenunterführung dienen. Eine Rampe, Lifte und Rolltreppen sollen allen Personengruppen einen problemlosen Einstieg in die Bahn ermöglichen. Die erforderlichen baulichen Massnahmen lassen sich mit den bereits laufenden BLS-Projekten (Sanierung / Umbau des Bahnhofs) koordinieren.
Der favorisierte Seilbahntyp
Bei der Wahl des Seilbahntyps mussten verschiedene Faktoren wie Transportkapazität, Anzahl der Stützen oder Windstabilität berücksichtigt werden. Entschieden hat man sich nun für das Tri-Line-System von Garaventa: Dreiseil-Technik, Förderkapazität rund 950 Personen pro Stunde, drei Masten. Die 18er-Gondeln ermöglichen durch ihre grossen Glasflächen eine gute Rundumsicht, eine «spektakuläre» Fahrt, wie Garaventa-Vertreter Marcel Nussbaumer betonte. «Sie werden unterwegs dem Adler in den Horst schauen können.» Ein weiterer Vorteil des gewählten Bahntyps: Die Gondeln sind auch für Materialtransporte geeignet, lassen sich «digitalisieren» und arbeiten vollautomatisch und selbstüberwachend. Einziger Wermutstropfen ist der etwas grössere Platzbedarf: Es braucht für die Fahrzeuge (Gondeln) eine Garage.
Die Bergstation
Im Gebiet Elsigen-Metsch soll die Bergstation auf dem Hochplateau Hohmatti (rund 2100 Meter hoch) errichtet werden. Dort würde sich auch der Antrieb der Bahn befinden. Christian Zenger, Geschäftsführer der Elsigenalpbahnen AG, sprach einen Input aus der Bevölkerung an: die Bahn mit einer weiteren Sektion bis aufs Elsighorn zu führen. Technisch sei das machbar, so Zenger. Es sei eher eine Frage des Kosten-Nutzenverhältnisses. «Im Winter braucht es diese Verlängerung eigentlich nicht, für den Sommer wäre es eine Überlegung wert.»
Der Ausbau des Gebiets Elsigen-Metsch
Mit der Realisierung der LKE müsste das Gebiet Elsigen-Metsch entsprechend ausgebaut werden: mit neuen Sesselbahnen und weiteren Angeboten, insbesondere für die Sommersaison. Im besten Fall könne man die Kapazität im Winter dadurch um 40 Prozent steigern und auch das Sommergeschäft stärken, so Christian Zenger. Ein «Disneyland oder einen Europapark» wolle man allerdings nicht errichten, sondern so weit wie möglich auf das Bestehende zurückgreifen und auf die Naturschönheit der Region setzen.
Kosten und Rentabilität
Bei der Kostenschätzung legten die Planer Wert darauf, möglichst alle Komponenten zu berücksichtigen. «Wir wollten es von A bis Z durchdenken und berechnen», so Lukas Eichenberger. Trotzdem sei es in der aktuellen Phase schwierig, zu verlässlichen Zahlen zu kommen – was auch die relativ grosse Spannweite der Gesamtkosten erkläre.
Etwas konkreter waren die präsentierten Zahlen zur Rentabilität. Ab 250 000 jährlichen Ersteintritten sei der Break-even erreicht, so Eichenberger. Er verwies in diesem Zusammenhang unter anderem auf die Pizolbahnen Bad Ragaz. Das dortige Gebiet weise eine ähnliche Anzahl Anlagen auf, sei auf etwa gleicher Höhe gelegen und erziele mittlerweile 300 000 bis 360 000 Ersteintritte pro Jahr – trotz schlechterer Verkehrsanbindung, wie Eichenberger betonte. Insbesondere das Sommergeschäft wachse in Bad Ragaz.
Das Verkehrsproblem
Dem motorisierten Individualverkehr (MIV), war in der Präsentation eine eigene Folie gewidmet. Darauf vermerkt waren unter anderem mögliche Standorte für Stellplätze in Kandersteg (zentrales Parkhaus bei der neuen Talstation, Parkhaus beim Feuerwehrmagazin, mehrere Parkhäuser und Parkplätze) sowie alternative Konzepte im Tal (z. B. Park&Ride). Das Verkehrsaufkommen im Dorf wurde später in der Fragerunde noch einmal thematisiert (siehe unten).
Der weitere Verlauf des Projekts
Nachdem die Machbarkeit des Bahnprojekts in einer Studie bestätigt wurde, müssen nun die Finanzierung und die Organisationsform geklärt werden: Verfeinerung der Kostenschätzung und der Rentabilitätsplanung, Erarbeitung eines Vorprojekts und Eintrag in den kantonalen Richtplaneintrag, Klären der Beteiligungen und der Trägerschaft, Einbezug des Tourismus, der öffentlichen Hand usw. Schon kommende Woche sollen erste Gespräche mit einer Bank stattfinden. Sobald sich abzeichnet, dass die Finanzierung gelingen kann, muss parallel das weitere Bewilligungsverfahren vorangetrieben werden (Prüfung durch Fachstellen, Nutzungsplanung, UeO usw.). Verläuft alles nach Plan, könnten in sechs bis acht Jahren die ersten Fahrgäste in die LKE einsteigen.
Stimmen aus dem Publikum
Nach der Präsentation einer Videoanimation (Fahrt mit der Bahn von Kandersteg bis zur Bergstation) und einem Podiumsgespräch der Projektgruppe konnten die Besucher des Anlasses Fragen stellen. Angesprochen wurden etwa die Landeigentümer (Eichenberger: «entsprechende Gespräche laufen») oder Naturschutzfragen (Eichenberger: «Verbände sind einbezogen worden, es gibt von dieser Seite keine Totalopposition»). Neben technischen Fragen zum Wind (Garaventa-Vertreter Nussbaumer: «ist beherrschbar») war auch der Verkehr erneut Thema. «100 Prozent der Leute werden wir nie in den ÖV kriegen», gestand Daniel Schafer, CEO der BLS. «Es gibt eine Hardcore-Gruppe, die nicht beeinflussbar ist.» Wenn aber der nötige Komfort («convenience») geboten werde, funktioniere der Umstieg auf den ÖV erfahrungsgemäss.