Holyween oder Helloween?
31.10.2025 GesellschaftEin Flyer sorgt derzeit im Frutigland für Unruhe. Darauf prangt in gros sen Lettern die Frage: «Party – endlich Halloween?» und die Antwort folgt sogleich: «Vorsicht, das Dunkle ist nicht harmlos!» Der Flyer warnt davor, dass Halloween «Türen ...
Ein Flyer sorgt derzeit im Frutigland für Unruhe. Darauf prangt in gros sen Lettern die Frage: «Party – endlich Halloween?» und die Antwort folgt sogleich: «Vorsicht, das Dunkle ist nicht harmlos!» Der Flyer warnt davor, dass Halloween «Türen für dämonische Kräfte» öffne und ruft dazu auf, sich «allein Jesus Christus anzuvertrauen».
JACQUELINE RÜESCH
Herausgegeben wurde das derzeit in die Frutiger Briefkästen geworfene Schreiben allerdings nicht von einer hiesigen Kirche, sondern von einem deutschen Verein namens «SeelenretterInfo». Auf die Frage des «Frutigländers», wer genau sich hinter diesem Verein verbirgt und was sein konkrete Ziel sei, erhielt die Zeitung allerdings keine Antwort. Doch auch wenn solch drastische Worte, wie sie auf dem genannten Flyer stehen, überzogen wirken mögen, stossen sie eine berechtigte Überlegung an: Ist Halloween tatsächlich ein Widerspruch zum christlichen Glauben – oder lässt sich das Fest mit ihm vereinbaren?
Die Sicht der katholischen Kirche
Die katholische Kirche Frutigen sieht das etwas differenzierter. Halloween, gefeiert am 31. Oktober, stamme vom keltischen Fest Samhain, das den Übergang vom Herbst zum Winter markierte, und vom christlichen «Allerheiligenvorabend» (All Hallows’ Eve), erläutert Pater Sumith. Dieser Name leite sich von «hallow» für «heilig» und «eve» für «Abend» ab. Ursprünglich glaubten die Kelten, dass an diesem Tag die Grenze zwischen Lebenden und Toten durchlässig werde, weshalb sie Geister mit Feuern und Verkleidungen abwehrten. In Frutigen, einer traditionell katholisch geprägten Gemeinde, werde Halloween nicht gefeiert, meint Pater Sumith. «Katholiken legen Wert auf Allerheiligen, welches am 1. November begangen, und Allerseelen, das am 2. November gefeiert wird. Beide Feiertage sind liturgisch bedeutsam. Allerheiligen ehrt die Heiligen im Himmel, Allerseelen dient dem Gebet für die Seelen. Halloween, als nicht-liturgisches, volkstümliches Fest, hat weniger Bedeutung für uns.»
Ausserdem sieht er Halloween als USamerikanischen Import an, wogegen hier im eher ländlich geprägten Frutigen lokale Bräuche wie Kirchweihfeste oder Totengedenken dominieren. Halloween habe somit mit der alpenländischen Kultur wenig gemeinsam, so Pater Sumith. «In Frutigen bevorzugen viele Menschen traditionelle Feste, die tiefer in der Gemeinschaft verwurzelt sind und den Aufbau einer Gemeinschaft basierend auf Liebe und Geschwisterlichkeit fördern.»
Die Sicht der reformierten Kirche
Etwas gelassener sieht es Pfarrerin Uta Ungerer von der reformierten Kirche Aeschi-Krattigen. Auch sie erinnert daran, dass Halloween ursprünglich eng mit dem katholischen Allerheiligen verbunden war. «An diesem Tag wurde in feierlichen Ritualen der Verstorbenen gedacht. Mit Liebe und Respekt», betont sie. Im katholisch geprägten Südamerika sei die Tradition entstanden, an Allerheiligen nicht nur in die Kirche zum feierlichen Gedenken an die Verstorbenen zu gehen, sondern sich auch auf den Friedhöfen zu treffen, um ausgelassen zu feiern, erzählt sie weiter. Ein Picknick am Grab und Tanz habe selbstverständlich dazugehört. Es war eine Art Feier mit den Verstorbenen.
Aus dieser südamerikanischen Tradition sei die Halloween-Kultur in den USA entstanden, die wenig an die eigentlichen Wurzeln dieses Festes erinnere. «Es geht nicht mehr um die Ehrung der Verstorbenen, sondern um Grusel und Horror. Leider schwappt manches davon immer mehr zu uns hinüber. Aus einem Fest, das ursprünglich viel Tiefgang hatte, ist eine sehr abgeflachte und oftmals pervertierte Form dieses Rituals geworden», erläutert sie nachdenklich.
Pfarrerin Uta Ungerer habe mit ihren Kindern früher «Halloween/Samhain» gefeiert, indem sie ihnen Fotos von ihren Grosseltern gezeigt und Geschichten von ihnen erzählt habe. Manchmal hätten sie auch das Lieblingsessen ihrer Oma gekocht. «Auf diese Weise hat die alte Tradition des Ahnen- und Ahninnen-Gedenkens freundlich in unseren Familienalltag hineingewirkt.» Von den üblichen Halloween-Partys habe sie sich ihren Kindern gegenüber immer distanziert, ihnen aber die Zusammenhänge zu dem ursprünglichen Sinn des Festes erklärt.
Reformierte Christen feiern statt Allerheiligen den Ewigkeitssonntag, den Sonntag vor dem Ersten Advent, einen Tag des stillen Erinnerns an die Verstorbenen. So erzählt sie: «Diese Feier ist aber ‹nüchterner› als Allerheiligen oder gar Halloween. Eher ein sachliches Gedenken derer, die im vergangenen Jahr verstorben sind und das Bedenken der eigenen Sterblichkeit im Angesicht von Gott. Es ist ein Tag, der im Gottesdienst seinen Platz hat, wo oft Kerzen angezündet werden für die im vergangenen Jahr Verstobenen, deren Namen verlesen werden. Bei uns in Aeschi geht man vorher auch gemeinsam auf den Friedhof.» Ungerer selbst erzählt ihren Kindern an diesem Tag lieber Geschichten über die Grosseltern, anstatt sie zu Gruselpartys zu schicken. «So bleibt der Gedanke des Ahnengedenkens in unserer Familie lebendig.»
Und wie soll man nun im Frutigland mit Halloween umgehen?
Zwischen kirchlicher Besinnung und weltlicher Feier liegt ein breites Feld. Die einen sehen im 31. Oktober eine harmlose Kinderspielerei, andere einen Verlust religiöser Tiefe. Doch in einem Punkt sind sich die religiösen Stimmen einig: Entscheidend ist, welcher Geist das Fest prägt – der des Schreckens oder der des Erinnerns. Wer im Licht einer Grabkerze betet, feiert ebenso ein Fest des Lebens wie jener, der im Kürbislicht lacht – solange er weiss, dass beides aus derselben Sehnsucht kommt: dem Wunsch, dass das Licht stärker bleibt als die Dunkelheit.


