Hürdenlauf oder ungehinderter Flaniergenuss?
29.08.2025 AdelbodenIm Rahmen einer von der TALK AG koordinierten Kampagne trifft sich eine Arbeitsgruppe, die sich auf Anstoss der «IG Dorf» in Adelboden gebildet hat, mit zwei Betroffenen – die eine im Rollstuhl, der andere am weissen Blindenstock –, einer Vertreterin des ...
Im Rahmen einer von der TALK AG koordinierten Kampagne trifft sich eine Arbeitsgruppe, die sich auf Anstoss der «IG Dorf» in Adelboden gebildet hat, mit zwei Betroffenen – die eine im Rollstuhl, der andere am weissen Blindenstock –, einer Vertreterin des Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverbandes SBV, sowie Gemeindevertretern und der TALK AG.
Es geht um eine barrierefreie oder wenigstens barrierearme Gestaltung der Adelbodner Dorfstrasse. Sie ist für einen touristischen Ort aufgrund der Qualität der Geschäfte und der Gebäude eine Besonderheit, die es zu erhalten gilt. Darüber sind sich alle einig.
Doch an diesem Morgen wird wie in einem Hindernis-Parcours zusammen mit den Betroffenen getestet, ob und wie die Trottoirs an der Dorfstrasse im Falle schwererer Einschränkungen überhaupt benutzt werden können. Das Ziel der Begehung ist es also, festzustellen, welche Hindernisse es im Fussgängerbereich gibt, die Sehende eben nicht sehen. Oder Hindernisse, die wir nicht erkennen, wenn wir uns nicht in die Situation von Rollstuhlfahrerinnen und -fahrern hineinversetzen. Auch Kinderwagen-Benutzerinnen und Benutzer erleiden dasselbe Schicksal.
Dabei ist im Moment der motorisierte Verkehr in der Adelbodner Dorfstrasse eine grosse Hürde. Einheimische und Besucher, aber auch Lieferanten der Geschäfte, die aus berechtigtem Interesse für den Güterumschlag anhalten müssen, stellen ihre Fahrzeuge auf dem Trottoir ab, obwohl hier eigentlich ein Parkverbot gilt. Das hat zur Folge, dass Fussgängerinnen und Fussgänger auf die Strasse ausweichen müssen, oder eben, dass Geschäfte Plakate auf das Trottoir stellen, um das Parkieren zu verhindern oder schlicht, um auf ihr Geschäft aufmerksam zu machen. Für Fussgängerinnen und Fussgänger mit Kinderwagen oder für Rollstühle ist dies keine passende Lösung. Und Sehbehinderte sind in solch engen Situationen regelrecht bedroht, obwohl das Trottoir doch ein sicherer Ort sein sollte. Dies alles konkret und an Beispielen zu zeigen, war Sinn und Zweck der Begehung.
Beispiele, die nachdenklich machen
Es waren echte Situationen, die nachdenklich machen, wie die Bilder zeigen. Doch ist es ordnungspolitisch nicht einfach, der Situation zu begegnen, wie Christian Sommer, Leiter Sicherheit und Verkehr, Gemeinde Adelboden, im Rahmen der Begehung immer wieder im Detail erläutert: Oft könne man nicht einfach in Privatrecht eingreifen und gut gemeinte Beschilderungen oder Hinweise seien – manchmal nur wegen der winterlichen Schneeräumung – nicht einfach umsetzbar. Es gelang Brigitte Tschanz aber, als Vertreterin des SBV und Baurechtsexpertin, unermüdlich Verbesserungsmöglichkeiten im Einzelnen vorzuschlagen, die sie den sichtlich interessierten Interessensvertretenden, die am Rundgang teilnahmen, ans Herz legte.
Einheimische bringen Erfahrungen ein
Eindrücklich moderierte Reto Koller den Rundgang. Als betroffener Sehbehinderter kennt er die einzelnen «Fallen», die in schwerwiegenden Fällen durchaus gefährlich werden können. Thomas Zimmermann-Friedli, Gemeinderat und Präsident der Adelbodner Sicherheitskommission, und Sarah Oester-Künzi, Leiterin Tourismusentwicklung, engagierten sich offenkundig bereits während der Begehung für Einzellösungen, ebenso wie Manfred Schmid («Käse Schmid»), der sein Geschäft ebenfalls an der Dorfstrasse hat und Mitglied im IG-Dorf-Vorstand ist. Dabei wurde klar, dass es eine pauschale, alles übergreifende Lösung nicht geben kann: Jedes Geschäft an der Dorfstrasse ist von einer individuellen Situation geprägt.
Aber die Begehung konnte und kann vielen die Augen öffnen, wozu auch die Abbildungen beitragen können. Denn jeder von uns kann selbst ein «Betroffener» werden: Keiner ist im negativen Fall vor Unfällen oder Schicksalsschlägen gefeit. Im positiven Fall darf man – ob als Etern oder Grosseltern – einfach auch mal wieder einen Kinderwagen durch Adelboden schieben. Und dann ist man dankbar, für jedes Hindernis, das aus dem Weg geräumt wurde.
MARTIN NATTERER