«Ich bin noch immer Feuerwehrfan»

  29.11.2022 Frutigen

Für Geri Schranz war es selbstverständlich, in die Feuerwehr einzutreten. Geblieben ist er 31 Jahre, und er wurde in dieser Zeit sogar Kommandant. Ein Rückblick über Herausforderungen – auch persönlicher Art.

HANS RUDOLF SCHNEIDER
«Ich freue mich, dass ich meinem Nachfolger Stefan Schindler eine topmotivierte und bestens ausgerüstete Mannschaft übergeben kann. Dafür braucht es den Einsatz jedes einzelnen Angehörigen.» Geri Schranz (49) sitzt im Kommandoraum der Feuerwehr Frutigen an der Parallelstrasse. Er kommt gerade von der Arbeit als Produktionsleiter in der Firma Kander-Paletten AG.

«Seine» Truppe bewältigt bis zu 100 Einsätze pro Jahr und umfasst heute 97 Angehörige. Mit Ausnahme der angestellten Materialwartin sind es alles Freiwillige. Die Rekrutierung von Nachwuchs und Kader sei denn auch eine der grossen Herausforderungen der Feuerwehr in den nächsten Jahren, so Schranz. «Vor allem tagsüber arbeiten viele auswärts. Da kann es auch einmal schwierig werden, genügend Leute aufzubieten – und nicht jede oder jeder kann jede Funktion erfüllen», erklärt er.

Aktuell erfüllt man den von der kantonalen Gebäudeversicherung (GVB) geforderten Minimalbestand, doch die Aufgaben werden nicht weniger: Frutigen ist Bahnstützpunkt mit einem Einsatzgebiet auf dem gesamten BLS-Netz sowie den Schmalspurbahnen, ist Sonderstützpunkt für Personenrettung bei Unfällen und zudem für die Grosstierrettung qualifiziert.

«Man kann an die Grenzen kommen»
Der Kommandant lobt den Zusammenhalt und die Gemeinschaft der Truppe. Mittlerweile sei Kandergrund gut integriert, die Fusion mit der benachbarten Feuerwehr fand 2012 statt. Für die Kameradschaft wird auch einiges getan, von Ausflügen, Wanderungen und gemeinsamen Essen bis zu Gesprächen nach schwierigen Einsätzen. Das sei enorm wichtig.

Geri Schranz gibt zu bedenken, dass man beim Ausrücken nie wisse, was einen erwarte. «Man wird – vielleicht vom Sofa oder vom Arbeitsplatz weggeholt – mit Ereignissen konfrontiert, auf die man sich nur bedingt vorbereiten kann. Die Chance ist gross, dass man betroffene Personen sogar kennt.» Ihn selbst hat der Absturz eines Helikopters im Kiental mit drei Todesopfern an die eigenen Grenzen gebracht. Es ging nicht mehr, er konnte nicht mehr schlafen, hatte plötzlich an einem Grillstand den Brandgeruch von der Absturzstelle wieder in der Nase. «Ich habe für die Verarbeitung externe Hilfe benötigt. Das empfehle ich nach dieser Erfahrung jedem Feuerwehrangehörigen, wenn die Belastung zu hoch wird», sagt er nachdenklich.

«Tenue blau» und Hightech erlebt
Rückt die Feuerwehr mit Blaulicht und Sirene aus, gilt es meist ernst. Dutzende Ereignisse zählt Geri Schranz im Rückblick auf – Sturm Lothar, Lawinenwinter, Hochwasser, Brände und Verkehrsunfälle –, die glücklicherweise meist nur mit Materialschaden endeten. Die Organisation selbst hat in den letzten 31 Jahren niemanden im Einsatz verloren, wie er betont. Das habe mit der stetig verbesserten Ausrüstung und der Ausbildung zu tun. Als er 1992 kurz nach der Lehre in die Feuerwehr eintrat, war noch das «Tenue blau» mit grossen gelben Helmen aktuell. Dann gab es Arbeitskombinationen und erste Brandschutzjacken. Heute seien diese «richtig hightech». Beim eingesetzten Material gab es enorme Fortschritte und eine Spezialisierung, durch die die vielfältigen Einsätze erst möglich werden.
Ganz ernst wirkt Schranz, wenn er über die Übungen und die Ausbildung spricht. «Wenn bei einem Einsatz etwas schiefläuft, wird genau hingeschaut, ob die Leute die entsprechenden Abläufe beherrschen. Als Kommandant trage ich auch dabei für jeden Einzelnen Verantwortung.» Dass der Übungsbesuch – zehn pro Jahr sind das Minimum – auch mal Überwindung kostet, ist ihm klar. Da brauche es dann Motivierungsarbeit.

Ein bisschen Wehmut, aber keine Langeweile
Bei ihm selbst war kaum Motivierung von aussen nötig. Vater Daniel war langjähriger und begeisterter Angehöriger des Pikettzugs, die Feuerwehr im Elternhaus quasi immer präsent – kein Wunder, dass Geri Schranz dieses «Virus» eingepflanzt wurde.

Die ersten zehn Jahre war er einfacher Angehöriger, wurde 2002 Korporal und stieg dann regelmässig die Karriereleiter hinauf, bis ihm 2015 als Major das Kommando übertragen wurde. Die verschiedensten Funktionen hat er ausgeübt, hat den Ausbau der Feuerwehr für den Bau und Betrieb des Lötschbergtunnels miterlebt und das neue moderne Feuerwehrmagazin bezogen.

Gerade die Zusammenarbeit mit der BLS ist Anreiz und Herausforderung zugleich. Gemäss Vertrag muss der Bahnstützpunkt bei einem Alarm innert zehn Minuten zehn Mann losschicken können. Auf dem modernen Lösch- und Rettungszug sind in solchen Fällen Atemschutzträger gefragt, also fitte Leute. Und was Schranz vor wenigen Jahren noch skeptisch angeschaut hat, erfüllt ihn heute mit Stolz: «Wir haben mehrere Frauen, die beim Atemschutz ausgezeichnete Arbeit leisten.»
Er gebe am 30. November zwar seine Schlüssel für das Magazin ab, «ich bleibe aber ein Feuerwehrfan». Ein bisschen Wehmut werde sicher dabei sein, doch langweilig werde ihm nicht, sagt Schranz. Er betont dabei mehrmals, wie wichtig es sei, dass die Familien und Arbeitgeber das Engagement der Feuerwehrangehörigen unterstützen. «Ein Chef braucht viel Verständnis, wenn sein Angestellter plötzlich bei der Arbeit fehlt, und das nicht nur ein paar Minuten.»

Nicht immer alles akzeptieren
Die nun frei werdende Zeit will Geri Schranz für seine junge Familie einsetzen, die häufig zurückstehen musste. Zudem hat er seit jeher Freude an der Landwirtschaft und hilft auch mal dem einen oder anderen Bauern auf dem Hof. Einfach mal ein bisschen weniger machen, ist insgesamt das Motto. Vor allem Nachteinsätze spüre er körperlich deutlich stärker als früher. Als härteste Zeit bezeichnet er die Jahre 2015 und 2016, als er parallel zu seinem Job als Vize-Gemeinderatspräsident politisierte und zugleich Feuerwehrkommandant wurde. Das sei damals nur möglich gewesen, weil er noch keine eigene Familie gehabt habe. Und dennoch habe er viel profitiert: «Ich weiss, wie der Gemeinderat entscheidet und wo ich die Anliegen der Feuerwehr am besten platziere. Und ich habe gelernt, auch mal hart zu bleiben.»

Er erklärt das an einem Beispiel: Die Gebäudeversicherung suchte Feuerwehren, die Kompetenzen in der Tierrettung aufbauen wollten. Natürlich war Frutigen mit seinen zahlreichen Bauernbetrieben dabei, schliesslich ist ihr Kommandant gelernter Landwirt. Plötzlich die Kehrtwende: Die GVB wollte nur noch einige wenige Stützpunkte finanzieren. Für das Kander- und Engstligtal wäre Thun zuständig geworden. Doch nicht mit Schranz. «Bis die Thuner beispielsweise an Ladholz wären, wäre der Muni im Bschüttikasten vielleicht tot.» Er setzte sich mit tatkräftiger Unterstützung des lokalen Tierarztes durch, und nun ist Frutigen für die Region von Mülenen talaufwärts zuständig, wird mit Material und Geldmitteln von der GVB unterstützt und kann einige erfolgreiche Grosstierrettungen vorweisen.

Der «Lindner» hat sich bewährt
Für das obligatorische Foto zieht Geri Schranz seine Brandschutzjacke an, stellt sich vor das rot glänzende Kleintanklöschfahrzeug (KTLF) «Lindner». Schranz hat mitgeholfen, alle acht heute im Einsatz stehenden Fahrzeuge einzuweihen oder einzuführen. Fünf davon hat er beschafft. Einzig der auf Grundlage eines Kommunalfahrzeugs gebaute «Lindner» habe im Vorfeld zu Diskussionen Anlass gegeben. Vor allem die Spitzengeschwindigkeit von nur rund 40 km / h wurde kritisiert. Doch das KTLF habe sich bestens bewährt und stosse bei anderen Feuerwehren zunehmend auf Interesse.

Dass die meist hohen Kredite für Materialbeschaffungen an den Frutiger Gemeindeversammlungen kaum je für Diskussionen gesorgt haben, ist für Geri Schranz ein Zeichen, dass das nach wie vor freiwillige und grosse Engagement der Feuerwehrangehörigen geschätzt wird. Ein kurzer Blick in das Dienstbüchlein des Abtretenden zeigt, dass er mit Übungen, Ausbildungen, Einsätzen, Rapporten und sonstigen Verpflichtungen als Kommandant im Schnitt pro Jahr etwa einen Monat für die Feuerwehr aufgewendet hat.


Der neue Kommandant

Der Gemeinderat Frutigen hat per 1. Dezember 2022 Stefan Schindler zum neuen Feuerwehrkommandanten ernannt. Schindler ist 42-jährig, verheiratet und wohnt in Kandergrund. Zurzeit ist er Chef Ausbildung in der Feuerwehr Frutigen. Im Frühling 2022 hat er den Ausbildungskurs für Feuerwehrkommandanten absolviert.

HSF


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