«Ich dachte kurz: Ist das alles?»
19.04.2024 AdelbodenDas Jahr startete ruhig, doch danach holte die Arbeit den neuen Obmann Willy Schranz rasch ein. Im Interview spricht er über Prioritäten und Pendenzen, Erfreuliches und Belastendes.
«Frutigländer»: Herr Schranz, hat Ihr Pendenzenberg ...
Das Jahr startete ruhig, doch danach holte die Arbeit den neuen Obmann Willy Schranz rasch ein. Im Interview spricht er über Prioritäten und Pendenzen, Erfreuliches und Belastendes.
«Frutigländer»: Herr Schranz, hat Ihr Pendenzenberg schon Lohner-Höhe erreicht?
Willy Schranz: Der Lohner ist ja schon ein ziemlich hoher Berg … Im Ernst: Das Jahr startete ziemlich gemächlich und ich dachte kurz: Ist das alles? Ab Februar ging es dann aber richtig los. Mittlerweile vergeht eigentlich kein Tag, an dem ich nichts für die Gemeinde erledige. Bei den Pendenzen kommt es immer auch darauf an, wie man gewichtet. Mittel- und langfristig werden mich vor allem drei Dinge beschäftigen.
Die da wären?
1. Die neuen Gemeindestrukturen, die seit Anfang Jahr in Kraft sind. 2. Die Nutzung der Gemeindeliegenschaften. 3. Die Finanzlage.
Beginnen wir bei Punkt 1: Die neu gegründete Geschäftsleitung, kurz GL, wäre eigentlich ein dreiköpfiges Gremium, das derzeit aber nur von Ihnen und der Gemeindeschreiberin besetzt wird.
Ja, wegen der Kündigung des Finanzverwalters ist derzeit ein Sitz vakant. Wir können die Situation stemmen, sie ist aber sicher kein Dauerzustand.
Die Geschäftsleitung kann Beträge bis zu 10 000 Franken sprechen. Der Gemeinderat wird dadurch entlastet, aber auch ein Stück weit entmachtet. Findet da ein gewisses Seilziehen statt?
Die GL-Sitzungen finden immer in der Woche vor der Ratssitzung statt. Der Gemeinderat hat die Möglichkeit, die GL-Beschlüsse in seinen Sitzung zu traktandieren, er hat das letzte Wort. Von einer Entmachtung würde ich also nicht sprechen. Bislang hat sich auch niemand beklagt. Die Entlastung hingegen ist da: Ich habe den Eindruck, dass wir schneller und effizienter unterwegs sind als früher.
Betreffend Gemeindeliegenschaften – Punkt 2 – informierten Sie kürzlich die Öffentlichkeit. Wie geht es da weiter?
Im Zentrum stehen etwa die sanierungsbedürftige Gemeindeverwaltung oder der Kindergarten im Dorf. An beiden Standorten könnten attraktive Wohnungen entstehen. Bezahlbarer Wohnraum für die Bevölkerung ist in Adelboden knapp. Hier gibt es Handlungsbedarf. Insbesondere der Kindergarten wäre geeignet, da dieser bereits in der richtigen Zone steht. In absehbarer Zeit könnten da 10 bis 15 Wohnungen gebaut werden.
Würde die Gemeinde auch als Bauherrin auftreten oder die Parzellen eher im Baurecht abgeben?
Ich tendiere zu Letzteres. Es müsste wohl eine Wohnbaugenossenschaft gegründet werden, an der sich die Gemeinde allenfalls beteiligen könnte.
Nun noch zu Punkt 3: Inwiefern beschäftigt Sie die finanzielle Situation der Gemeinde?
Während der Hauptsaison nimmt Adelbodens Bevölkerung kurzfristig um ein Mehrfaches zu. Unsere Infrastruktur – Strassen, Leitungen usw. – orientiert sich an diesem Maximum und ist daher sehr teuer. Im Gegenzug erhalten wir von den Touristen und Zweitwohnungsbesitzern aber keine Einkommenssteuern. Das ist unsere grosse Herausforderung. Gleichzeitig kommen aus der Bevölkerung immer wieder Forderungen nach einer Steuersenkung. An der Herbstgemeindeversammlung müssen wir Antworten bereit haben und allenfalls darlegen, ob das machbar ist und was die Konsequenzen wären.
Schon seit längerer Zeit, zuletzt im Zusammenhang mit dem neu vorgestellten Masterplan, spricht man in Adelboden vom Ganzjahrestourismus. Könnte er den finanziellen Druck mindern?
Ja, deshalb unterstütze ich den 365-Tage-Tourismus voll und ganz. Dadurch würde Adelboden als Wohnort attraktiver, weil Arbeitnehmende im Tourismus durchgehend angestellt werden könnten. Das wiederum würde bedeuten: mehr Steuereinnahmen.
Adelbodens Bevölkerung würde also wachsen.
Ja. Auch deshalb ist die Schaffung von neuen Erstwohnungen wichtig.
Wie würden Sie die Zwischensaison im Frühling und Herbst überbrücken?
Im Herbst sehe ich eigentlich kein Problem. Er lädt zum Wandern ein, oft ist es dann noch warm. Wenn alles nach Plan läuft, ist ab Oktober oder November zudem die Snowfarming-Piste geöffnet, was uns für Wintersportler attraktiv macht. Die Monate März bis Juni sind da etwas schwieriger. Wichtig ist, dass immer mindestens eine Bergbahn läuft, das klappt aber bereits recht gut. Vielleicht liesse sich der Bergfrühling noch etwas besser vermarkten, die Natur ist ja unser Kapital. Zudem müssen wir mit Events wie der kürzlich vorgestellten Saisonausklang-Party «Adelboden Live» Leute hierher holen.
Und es bräuchte ein Bad …
Das ist für mich eine unerlässliche Schlechtwetteroption. Der Rückzug des Erlebnisbad-Investors war für uns eine riesige Enttäuschung.
Wie geht es nun weiter?
In der Zwischenzeit hat sich die Arbeitsgruppe Erlebnisbad mehrmals getroffen und das weitere Vorgehen diskutiert. Wir möchten hier dranbleiben und weitere Möglichkeiten prüfen. Ein definitiver Rückzug unsererseits ist momentan sicher noch kein Thema, das Projekt ist zu wichtig für uns.
Als Aussenstehender mag man an die Realisierung eines solchen Projekts fast nicht mehr glauben. Seit Jahrzehnten geht es nicht vorwärts. Wäre es womöglich sinnvoll, auf mehrere kleine Investoren zu setzen, statt sich von einem einzigen grossen Partner abhängig zu machen?
Das ist kein schlechter Gedanke. Grundsätzlich bin ich aber der Meinung: Der Bau an sich ist nicht das Hauptproblem, dieser liesse sich finanzieren. Der Betrieb ist die eigentliche Hürde.
Sie glauben aber nach wie vor daran, einen geeigneten Partner zu finden.
Ja. Immerhin haben wir eine genehmigte Überbauungsordnung. Ganz bei null anfangen müssen wir also nicht.
Eine weitere Pendenz, die Sie geerbt haben, ist die Entlastung der Dorfstrasse. Ihr Vorgänger, Markus Gempeler, plädierte für eine abgespeckte Variante mit einer Ampel, die den Verkehr temporär umleiten könnte. Wie stehen Sie zum Thema?
Ich sehe das ähnlich. Der Ausbau der Zelgstrasse ist ein schwieriges Unterfangen, der Widerstand hat sich bereits formiert. Die «Mercedes-Variante» wäre, die Dorfstrasse an manchen Tagen, beispielsweise zwischen 10 und 18 Uhr, für den Verkehr zu sperren, damit das Zentrum in dieser Zeit zur Flaniermeile werden kann. Doch für einen solchen Schritt müssen wir noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Dieses Traktandum steht bei uns derzeit nicht gerade zuoberst auf der Prioritätenliste.
Um voranzukommen, müsste es das wohl.
Im Hintergrund passiert schon was, das Projekt steht nicht still. Ich möchte aber, dass wir dem Thema bald wieder mehr Aufmerksamkeit schenken und es im Gemeinderat regelmässig diskutieren können.
Sie sind nun seit gut 100 Tagen im Amt. Was erleben Sie als positiv, was nicht?
Das gemeinsame Erarbeiten von Lösungen gefällt mir und auch die Arbeit in der neuen Geschäftsleitung. Im Gemeinderat lege ich einen Schwerpunkt auf die konstruktive Diskussionskultur: Wer Kritik vorbringt, soll sie erstens begründen und zweitens eine Alternative präsentieren. So kommen wir weiter.
Als ziemlich belastend erachte ich die ganzen baupolizeilichen Verfahren, um die wir uns wieder vermehrt kümmern müssen. Als kommunale Behörde haben wir da wenig Spielraum, was teilweise sehr unbefriedigend ist.
Anders als Ihr Vorgänger arbeiten Sie nicht im Dorf, sondern in Reichenbach. Erachten das als Vor- oder als Nachteil?
Die räumliche Trennung ist für mich ein Vorteil, da ich unabhängiger politisieren kann. Natürlich möchte ich aber möglichst viel Zeit in Adelboden verbringen, um den Puls der Bevölkerung zu spüren. Deshalb schätze ich jeden Fussmarsch durchs Dorf. Manchmal werde ich dann als «Herr Obmann» angesprochen und muss dann ein bisschen schmunzeln. Ich bin doch einfach der Willy Schranz!
INTERVIEW: JULIAN ZAHND