«Ich habe mir das schlimmer vorgestellt»

  13.06.2023 Frutigen

Durch die Sanierung der Ortsdurchfahrt wird die Gemeinde mehr als ein Jahr lang zur Grossbaustelle. Zuerst ist die Kanderstegstrasse an der Reihe. Die dortigen Geschäftsleute sind trotz erschwerter Bedingungen gut aufgelegt. Eine stichprobenartige Umfrage.

BIANCA HÜSING
Lärm und Trubel ist man an der Kanderstegstrasse gewohnt. Auf dem Verbindungsstück zwischen Adelboden und dem Rest der Schweiz kommt – gerade in den Ski- und Wandermonaten – einiges an Verkehr zusammen. Doch seit April herrscht hier eine andere Art von Trubel: Zwischen der Widibrücke und dem «Leist» sind alle paar Meter Bagger oder Rüttler am Werk, stehen Verkehrslotsen in ihren gelben Uniformen und Bauarbeiter im Schotter. Die Wiese neben dem «Pony» dient als Lager für Container und Geräte aller Art, und die Engstligenbrücke existiert nur noch zur Hälfte. Ebenso wie der Rest der Strasse: Wer mit dem Auto ins Dorf oder nach Adelboden will, muss einen Umweg über die Obere Bahnhofstrasse nehmen – die Läden in der Kanderstegstrasse werden also umfahren.

Trotzdem ist hier auf den ersten Blick viel los. An einem sonnigen Freitagvormittag sind die Biergärten gefüllt, die Gäste lassen sich ebensowenig vom Baustaub beeindrucken wie die Fussgänger. In den Restaurantküchen und Werkstätten herrscht Betriebsamkeit. Gilt also Entwarnung für alle, die wegen der Sanierung der Ortsdurchfahrt um ihr Geschäft fürchteten?

Hilfe innerhalb von Minuten
«Ich habe mir das alles viel schlimmer vorgestellt», sagt «Simplon»-Wirt Andreas Hossmann. Er habe mit Komplikationen und herben Umsatzeinbussen gerechnet, sei nun aber positiv überrascht. Besonders die Kommunikation mit den Arbeitern vor Ort funktioniere reibungslos. «Wenn ich einen Wunsch habe, wird mir innerhalb von fünf Minuten geholfen – zum Beispiel mit einer Fussgängerbrücke für meinen Biergarten oder indem jemand ein störendes Fahrzeug wegfährt.» Auch mit der Informationspolitik des Kantons ist Hossmann zufrieden – was nicht immer so war. «Nächtliche Sperrungen sind zuerst nur über den Anzeiger und den ‹Frutigländer› bekannt gegeben worden. Da ich aber nicht immer zum Zeitunglesen komme, habe ich mich beim Kanton beschwert. Seitdem werden wir Anstösser auch noch per Mail informiert.»

Dass es überhaupt zu kurzfristigen Planänderungen und zusätzlichen Sperrungen komme, sei nicht die Schuld der Bauherren. «Es gibt einfach zu viele Altlasten in der Erde, die in den Plänen nicht vermerkt waren», weiss Hossmann. Eine kritische Anmerkung hat er allerdings doch noch: «Ich finde es schade, dass die Wegweiser auf der Dorfstrasse durchgestrichen sind.» Dies halte nicht ortskundige Touristen davon ab, durch die Kanderstegstrasse zu fahren und sich dort zum Beispiel eine Wegzehrung zu kaufen.

Zweckoptimismus und Dankbarkeit
Auf die Widi Garage AG wirkt sich der reduzierte Verkehr schon jetzt spürbar aus. Die zum Betrieb gehörende Tankstelle liegt an der gesperrten Strassenseite und wird deshalb kaum noch angefahren. Inhaber Marc Lehmann schätzt, dass die Umsätze hier um 85 bis 90 Prozent zurückgegangen sind. Das sei jedoch verkraftbar. «Mit Benzin verdient man schliesslich schon lange kein Geld mehr.» Das Kerngeschäft der Firma sei die Garage – und die sei sehr gut ausgelastet.

Was die Bauarbeiten betrifft, sieht Lehmann es ähnlich wie Hossmann: «Die Leute vor Ort sind wirklich extrem hilfsbereit. Auch die Kommunikation mit dem Kanton läuft nicht schlecht. Wenn wir zum Beispiel eine Kraftstofflieferung erwarten, können wir sie einen Tag vorher ankündigen. Es ist immer jemand erreichbar.» Überhaupt müsse man das Ganze ja pragmatisch betrachten: «Es ist, wie es ist. Die Strasse muss saniert werden – und jeder muss dafür sein Opfer bringen.»

Diese Haltung vertritt auch Jürg Schneider, Inhaber der «Schneider’s Backstube»-Filialen an der Dorf- und der Kanderstegstrasse. «Die Sanierung ist eine gute Sache und auch wirklich nötig.» Allerdings schlage sich die Baustelle im Alltagsgeschäft nieder, Schneider spricht von einer Wellenbewegung. «Wir haben sehr schwache, aber auch gute Tage. Aber die Konstanz von vorher ist nicht mehr da.» Noch schwieriger könnte es ab August werden, wenn Schneiders Strassenseite gesperrt wird und die Einfahrt zu den Parkplätzen fehlt. «Ich werde mich bald mit dem stellvertretenden Kreisoberingenieur zusammensetzen und diese zweite Phase vorbesprechen», so der Inhaber. Ab Juli will er zudem die Öffnungszeiten anpassen und sie, sobald die Details klar sind, kommunizieren.

Schneider will jedoch nicht klagen, sondern das Positive hervorheben: «Wir sind sehr froh über alle KundInnen, die trotz der Umstände zu uns kommen.»

Keine Lieferschwierigkeiten
Auch die Grossverteiler sind via Kanderstegstrasse erreichbar – zum Beispiel die Coop-Filiale. Wie die Medienstelle der Verkaufsregion Bern bestätigt, hat die Baustelle durchaus Auswirkungen auf die Kundenfrequenzen. Ins Detail gehen will man jedoch nicht. «Die Zufahrtsmöglichkeiten zum Supermarkt ändern je nach aktueller Bautätigkeit. Coop ist es ein grosses Anliegen, den KundInnen mit Informationsplakaten einen bestmöglichen Überblick über die Erreichbarkeit des Ladens zu gewähren», schreibt Mediensprecherin Melanie Gamma. «Mit den Verantwortlichen beim Kanton wurde der Dialog gesucht, unter anderem betreffend der Verkehrssignalisation.» Von den nächtlichen Sperrungen sei Coop nicht betroffen, da die Waren frühmorgens angeliefert würden.

Gastwirt, Garagist, Bäcker und Grossverteiler: Sie alle sind mit der Organisation der Baustelle weitgehend zufrieden. Trotz erschwerter Bedingungen wirken die Gewerbetreibenden an der Kanderstegstrasse gelassen – und werden dies auch noch einige Monate bleiben müssen. Gemäss Plan geht der (Bau-)Trubel auf diesem Abschnitt bis Ende Oktober weiter. Im nächsten Jahr werden dann die Anstösser der Dorf- und der Adelbodenstrasse auf die Probe gestellt.

Aktuelle Informationen zur Sanierung der Ortsdurchfahrt finden Sie unter: tinyurl.com/53y2ntuk


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