Im Alter die Balance nicht verlieren
07.05.2024 FrutigenDas Älterwerden birgt Chancen, aber auch Risiken und Gefahren. Am gut besuchten Vortrag im Spital erklärten zwei Ärzte, worauf zu achten ist. Trotz dieses ernsten Themas kam auch der Humor nicht zu kurz.
PETER ROTHACHER
Unter dem Titel ...
Das Älterwerden birgt Chancen, aber auch Risiken und Gefahren. Am gut besuchten Vortrag im Spital erklärten zwei Ärzte, worauf zu achten ist. Trotz dieses ernsten Themas kam auch der Humor nicht zu kurz.
PETER ROTHACHER
Unter dem Titel «Gesund und fit älter werden» lud die Spitäler fmi AG nach Frutigen zu einem Medizinvortrag ein. Die Tatsache, dass immer mehr Leute alt werden, schlug sich auch im Interesse gegenüber diesem Anlass im Mehrzweckraum des Spitals nieder: Die Kommunikationschefin Gabriela Vrecko war in der Viertelstunde vor Beginn stetig damit beschäftigt, zusätzliche Stühle herbeizuschaffen. «Es fanden sich gegen 60 Personen ein, und am Schluss wurden auch überraschend viele Fragen gestellt», bilanzierte sie erfreut. Diese beantworteten Moritz Strickler (leitender Arzt Geriatrie) und Markus von Gradowski (Chefarzt Allgemeine Innere Medizin) nach ihrem rund einstündigen Vortrag. Das landläufige Rezept zum Altwerden lautet, auf einen kurzen Nenner gebracht, wohl: «Sich gesund ernähren und allgemein masshalten.» Ein Wimmiser Senior hielt nach dem Vortrag allerdings fest: «Nach dem, was ich nun verstanden habe, ist das alles sehr kompliziert …» Ein anderer Teilnehmer hatte zuvor bereits gefragt: «In den Regionen, in denen die Menschen besonders lange leben, wird kaum Fleisch gegessen – und ihr Ärzte sagt jetzt, wir sollen im Alter mehr Fleisch essen. Was stimmt?» Dazu hielt Moritz Strickler fest: «Die Verhältnisse in Okinawa (Japan) lassen sich nicht mit dem Lebensstil hier vergleichen. Um dem Muskelschwund aufgrund von Eiweissmangel zu begegnen, brauchen wir hier ein ergänzendes Essen. Aber genauso wichtig ist, dass wir die Muskeln nutzen – essen allein genügt nicht.»
Der Lebensstil ist entscheidend
Die sogenannten «Blue Zones» sind sechs Regionen auf der Erde, in denen Menschen überdurchschnittlich lange leben und gleichzeitig über eine hohe Lebensqualität verfügen. Markus von Gradowski präsentierte die entsprechenden Facts am Beispiel von Okiwana: «Dort gibt es 76 Hundertjährige auf 100 000 Einwohner, also dreimal mehr als im restlichen Japan. Zudem werden bis zu zwölfmal weniger Todesfälle durch Herzkrankheiten registriert, dreimal weniger durch Darmkrebs sowie siebenmal weniger durch Prostatakrebs.» Auch die Risiken, an Brustkrebs zu sterben oder an Alzheimer zu erkranken, seien bedeutend geringer. Die Wissenschaft führe das auf folgende Tatsachen zurück: «Die Leute ernähren sich zu 97 Prozent pflanzlich, essen viel Obst, Gemüse, Reis sowie Hülsenfrüchte und halten sich bezüglich der Portionengrösse zurück. Ihre alltägliche körperliche Aktivität in einer starken sozialen Gemeinschaft bleibt stets hoch und die Leute reduzieren Stressfaktoren über Spiritualität und Meditation.»
Das Altern ist keine Krankheit
«Von der Geburt bis zum Tod machen wir einen Veränderungsprozess auf drei Ebenen durch», erklärte Moritz Strickler. «Zum einen das biologische Altern des Körpers, dann das psychologische Altern – wenn wir unser Verhalten verändern – und schliesslich das soziale Altern mit der Art, wie wir uns im gesellschaftlichen Umfeld bewegen.» Es gelte, der Gebrechlichkeit entgegenzuwirken, denn diese führe zu einem Teufelskreis: «Man isst weniger und bewegt sich weniger, was zu einem Rückgang der Muskelmasse führt. In der Folge steigt die Gefahr, die Balance zu verlieren, zu stürzen und sich zu verletzen, was zu weiterer Passivität führt.» Wundermittel wie etwa einen Jungbrunnen gebe es leider nicht. Um den Muskelschwund zu bremsen, empfiehlt Strickler aber zweierlei: erstens die regelmässige Bewegung, zweitens die richtige Ernährung. «Der Körper braucht im Alter viel Eiweiss, und zwar in Mengen, wie sie beispielsweise in Alpkäse oder Bündnerfleisch vorhanden sind.»
Beim Thema Demenz baten die Ärzte die Anwesenden, kurz aufzustehen – zum körperlichen Gehirnjogging. «Wir stehen nun fest auf dem rechten Fuss und kreisen mit dem linken Bein. Dann kreisen wir mit dem linken Arm dazu und wechseln anschliessend die Richtung.» Die zweite Übung: «Mit den Fingern der einen Hand formen wir eine Pistole, mit der anderen machen wir das Siegeszeichen – und dies dann umgekehrt. Ihr seht, das ist gar nicht so einfach.»
Mangelerscheinungen vorbeugen
Das Vitamin B12, wie es vor allem in tierischen Produkten vorhanden sei, werde im Alter immer wichtiger. Ein Mangel könne zu Müdigkeit sowie diversen körperlichen Problemen führen und mache in der Folge oft eine Zufuhr per Spritze nötig, erklärte Strickler. «Kalzium, das für Knochen und Muskeln sehr wichtig ist, kann zum Beispiel über Milch und Käse aufgenommen werden. Ihr stellt jetzt sicher fest: Die Empfehlungen zur gesunden Ernährung ändern sich im Verlaufe des Lebens.»
Auf einen weiteren drohenden Mangel kam Markus von Gradowski zu sprechen: «Für die Umwandlung von Vitamin D mithilfe von UV-Strahlen der Sonne ist hauptsächlich die Haut zuständig und diese Fähigkeit lässt mit zunehmendem Alter leider nach.» Über die Ernährung kann das nicht kompensiert werden.» Da Vitamin D für das Immunsystem sowie für Knochen, Herz und Blutgefässe sehr wichtig sei, sollte es hauptsächlich im Winterhalbjahr mit den entsprechenden Präparaten zugeführt werden. «Ein allzu niedriger Vitamin-D-Spiegel kann aber auch Infektionskrankheiten begünstigen. Man hat das bereits im Rahmen der Covid-19-Pandemie zur Kenntnis genommen, aber bekanntlich wenig daraus gemacht.» Zur entsprechenden Stärkung des Immunsystems brauche es allerdings eine tägliche Einnahme.
Wie wichtig ist Lebensqualität?
Je hochwertiger das Essen sei, desto weniger brauche der Mensch davon, betonten die Referenten. Ein Senior hielt dazu unter allgemeinem Gelächter fest: «Wenn ich gerne ein Kotelett oder Speck esse und dazu ein Glas Rotwein trinke, stimmt für mich die Lebensqualität. Aber wenn ich aus gesundheitlichen Gründen stattdessen nur Bohnen und Salat essen soll, sinkt meine Lebensqualität. Ist es nicht besser, diese hochzuhalten und dafür etwas ungesünder zu leben?» Dies sei eine individuelle Entscheidung, bestätigte Markus von Gradowski. «Die Lebensqualität spielt tatsächlich eine Rolle. Will ich eine möglichst lange Lebensspanne auf asketische Art – oder mag ich es gerne etwas kürzer und geniesse das Leben dafür ausgiebiger? Diese Frage muss sich jeder selbst beantworten.» Die älteste Französin habe bekanntlich geraucht und sei trotzdem 122-jährig geworden. «Leben heisst Aktivität, und die kann anstrengend sein. Und ja, Statistiken sind die eine Wahrheit. Wie es dagegen dem einzelnen Menschen ergeht, weiss nur der Herrgott.»