«Im Übermuet grad obe us gschwunge»
21.11.2023 PorträtÜbermut würde man dem Jungschwinger und Nationalturner Elia Jaggi aus Reichenbach auf den ersten Blick nicht unterstellen. Der bodenständige Drittklässler hat eine äusserst erfolgreiche Saison hinter sich. Liegt es an guten Genen oder bestimmt ein strenges ...
Übermut würde man dem Jungschwinger und Nationalturner Elia Jaggi aus Reichenbach auf den ersten Blick nicht unterstellen. Der bodenständige Drittklässler hat eine äusserst erfolgreiche Saison hinter sich. Liegt es an guten Genen oder bestimmt ein strenges Trainingsprogramm seinen Alltag?
Am wohl imposantesten Bauernhaus in Reichenbach hängt ein Türklopfer aus solidem Schmiedeeisen. Elia Jaggi öffnet die schwere Holztür und bittet die Besucherin herein. Ein Neunjähriger mit wachem, offenem Blick sitzt ihr gegenüber, der trotz seines jungen Alters schon einiges zu erzählen hat. «An meinem ersten Festli habe ich wohl etwas im Übermut grad ‹obe us› geschwungen!», erzählt Elia und lacht leise. Auch er selbst scheint über das Erreichte immer noch zu staunen. Andererseits ist er eben einer von Jaggis: Grossvater Kobi, Vater Joni, Onkel bzw. Götti Bruno und Cousin Damian sind alle in Schwingerund Nationalturner-Kreisen wohlbekannt. Aber um ein Haar hätte der jüngste männliche Spross der Familie dem Schwingen den Rücken gekehrt.
«Wir wollen keinen Druck machen»
«Das Sägemehl war richtig lästig. Es war überall und juckte! So machte das Schwingen keine Freude», begründet Elia. Vater Joni lächelt. «An das Sägemehl gewöhnt man sich», beruhigte er seinen damals siebenjährigen Sohn. Er sollte recht behalten: Und wie sich der Bub ans Sägemehl gewöhnte!
Bei allen «Festli» (so nennt Elia seine Schwingfeste), an denen er in dieser Saison angetreten ist, ging er als Sieger vom Platz. «Einmal war es aber ganz knapp!», erzählt er. Da habe er wegen eines Kopfgriffs von seinem Gegner einen Gang verloren. «Papa hat mir geraten, in einer gleichen Situation grad kurz zu ziehen. Das habe ich dann erfolgreich gemacht und dank einem guten Punktevorsprung gelangte ich doch noch in den Schlussgang und konnte das Festli gewinnen.» So jung und schon so erfolgreich – weckt das nicht hohe Erwartungen? Vater Joni verneint. «Natürlich freuen wir uns, aber wir wollen Elia keinen Druck machen. Die Freude steht an erster Stelle!»
Amtierender Schweizermeister
Diese Freude sieht man Elia an, wenn er von seinen Trainingseinheiten erzählt. «Am Dienstag gehe ich in die Jugi des Turnvereins, einmal pro Woche trainiere ich im Schwingkeller und ein weiteres Mal Nationalturnen.» Nationalturnen? Elia zählt umgehend die Disziplinen der genannten Sportart in der Kategorie «Piccolo» auf: Steinstossen, Steinheben, Sprint, Hochweitsprung, Weitsprung und Ringen. Im Sprint muss er die 60 Meter unter 10 Sekunden laufen. Den drei Kilo schweren Stein muss er mindestens fünf Meter weit stossen und 28 Mal heben können. Steinheben wird jeweils mit einer Hand durchgeführt, als Rechtshänder macht man also etwa 16 Hebungen mit der rechten und 12 mit der linken Hand. Schwingen zählt in Elias Kategorie noch nicht dazu, jedoch zwei Durchgänge Ringen. «Beim Ringen tragen die Sportler keine Schwingerhosen und dürfen sich nicht gegenseitig an den Kleidern zerren.» Der Reichenbacher kennt sich aus mit Nationalturnen, schliesslich ist er der amtierende Schweizermeister in der Kategorie «Piccolo»!
Wunsch: JO-Training im Skiklub
Wenn der Sport so viel Platz einnimmt – bleibt denn da noch Zeit, Kind zu sein? Ja, meint Elia. Er trifft sich gerne mit Kollegen zum Spielen und daheim geht er dem Papa bei verschiedenen Arbeiten ums Haus zur Hand. Für die Wintermonate hat Elia einen besonderen Wunsch: «Ich möchte ins JO-Training des Skiklubs!» Liegt das neben all den Trainings denn noch drin? «Wir haben besprochen, dass Elia im Winter das Training fürs Nationalturnen pausieren kann», sagt Vater Jaggi. Mit neuem Elan startet er dann in die Saison 2024. Elia soll selbst bestimmen, an welchen Wettkämpfen er teilnehmen will, seine Erholung und Motivation sind den Eltern Irene Burri und Joni Jaggi sehr wichtig. «Ich wollte auch schon an einem Wochenende zwei Wettkämpfe bestreiten. Aber danach war ich ganz kaputt!», seufzt Elia. Eine gute Erfahrung, um die eigene Balance zu finden, ergänzt Joni Jaggi.
Und welcher Moment bleibt von diesem Jahr besonders in Erinnerung? Unter anderem sicher das Emmentalische Schwingfest, da sind sich Elia und die Eltern einig. Auch dieses «Festli» konnte er für sich entscheiden – mit der maximalen Punktzahl. Will heissen: in allen Gängen die Höchstnote, eine 10. Beim Heimfahren sinnierte Elia auf dem Rücksitz: «Schon cool. Das werde ich sicher nicht oft erleben. Das muss ich jetzt richtig geniessen!»
Elia Jaggi ist ein junger, erfolgreicher und bodenständiger Sportler. Doch auch in der nächsten Saison steht ihm etwas «Übermuet» sicher gut.
ANDREA BALMER-BEETSCHEN, REICHENBACH
Steckbrief
Name: Elia Jaggi
Geb: 12. März 2014
Grösse: 152 cm
Grösste Erfolge:
• Schweizermeister Nationalturnen 2023
• Sieg am Oberländischen Schwingfest 2023
• Sieg am Oberaargauischen Schwingfest 2023
• Sieg am Emmentalischen Schwingfest 2023 (max. Punktzahl)
ANDREA BALMER-BEETSCHEN