In zwölf Tagen (und Nächten) von West nach Ost
05.04.2023 FrutigenDas «Race Across America» ist eines der härtesten Velorennen der Welt: Die 4800 Kilometer führen von der West- an die Ostküste, über Pässe und durch die Wüste. Der Frutiger Teilnehmer Peter Trachsel berichtete am Wochenende von seinen Erlebnissen.
ANJA SCHRANZ
Die 60 Plätze in der Badi Lounge Frutigen waren am Freitag alle besetzt, die Geschichte von Peter Trachsel und seiner Mentaltrainerin Nadine Däpp interessierte. Auch der Vortrag vom Samstag war seit Wochen ausverkauft. Das «Race Across America», ein Radrennen von Oceanside (Kalifornien) quer durch den Kontinent nach Annapolis (Maryland) wird bei Tag und Nacht gefahren. Die rund 4800 Kilometer vom Start bis ins Ziel sind in maximal 12 Tagen zu absolvieren und führen durch malerische Landschaften, durch bekannte Reiseziele wie das Monument Valley und über den Mississippi.
Viel Zeit zum Geniessen blieb dem Team von Peter Trachsel jedoch nicht. Zu streng waren die Tage und Nächte für die gesamte Crew, die den reibungslosen Ablauf des Rennens sicherstellen musste.
Rund 250 Kilo Gepäck
So erstaunt es nicht, dass das Rennen das «grande Finale» der langen und harten Vorbereitung darstellte, die im Vorfeld stattgefunden hatte. Eigentlich wäre der Start bereits zwei Jahre vorher geplant gewesen, aber Corona hatte dem Frutiger einen Strich durch die Rechnung gezogen. Sein Training erhielt er während dieser Zeit jedoch immer aufrecht – mit dem Ziel, so bald wie möglich am «RAAM» anzutreten.
Im Juni 2022 war es dann endlich so weit: Das Team begab sich nach Amerika, im Gepäck die beiden Fahrräder «Gabi» und «Fredi», die komplexe Ausrüstung für die Begleitfahrzeuge, Nahrung und Getränkepulver für Peter Trachsel sowie einen genauen Zeitplan für den Rennablauf. Am Ende seien es 12 Koffer à je 23 Kilo gewesen, die das Team mitschleppte.
Generell beinhaltet das Rennen sehr viele Regeln, die es kleinlichst zu befolgen gilt; das 50-seitige Regelwerk legt bis ins winzigste Detail fest, wo man durchfährt, was man darf und was nicht, und wofür es Bussen gibt oder sogar eine Disqualifikation. Deshalb brauchte es im Team auch zwei Navigatoren, die dem Rennfahrer genau durchgaben, wo er hinzufahren hatte. Ebenso wichtig war Peter Trachsels Coach und Mentaltrainerin Nadine Däpp, die sich mit ihm gemeinsam auf den Event vorbereitet und ihn auch in schwierigen Phasen immer wieder motiviert hatte.
Zuerst der Nacken, dann der Hintern
Bereits beim Rennstart gab es den ersten Dämpfer: Ein Teammitglied hatte sich den Magen verdorben und lag im Spital. Deshalb war die Stimmung am Startbogen in Oceanside auch bei allen etwas gedrückt und die Nervosität war gross. Auch weitere Pannen und gefährliche Situationen warteten auf das Team um Peter Trachsel – mal fehlten die Trinkflaschen (vor Ort gekaufte passten nicht in die Halterung), mal blieb das mobile WC in einer Raststätte liegen. Im Navajo-Reservat sprangen riesige Hunde auf den Radler zu und der Verkehr auf den Highways war teilweise lebensgefährlich. Doch all diese Situationen überstanden Rennfahrer und Begleiter.
Die grössten Widersacher in diesem Rennen waren jedoch der extreme Schlafmangel, der Gesundheitszustand des Athleten, der mit zunehmendem Rennverlauf litt, sowie die gelegentlichen und äusserst unangenehmen Umleitungen infolge Strassensperrungen oder Ähnlichem. Da das «RAAM» innert zwölf Tagen absolviert werden muss, wird Tag und Nacht durchgeradelt. Das führte dazu, dass vor allem der Rennfahrer, aber auch seine Begleitcrew praktisch keinen Schlaf bekamen. Das schlug auf Motivation und Laune der Beteiligten. Peter Trachsel selbst kämpfte heroisch gegen die Müdigkeit und verschaffte sich in Rennpausen mit kleinen Powernaps ein paar Minuten Schlaf und Ruhe. Auf halber Strecke traten bei ihm jedoch akute Nackenschmerzen auf, die sein Team mit einem eigens für ihn angefertigten «Kopfgerüst» einigermassen in Schach zu halten versuchte. Hinzu kamen diverse offene und wundgescheuerte Körperstellen und es wurde in Absprache mit medizinisch geschultem Personal in der Schweiz diskutiert, ob es noch vertretbar sei, den Frutiger so weiterfahren zu lassen. Der stetige Gegenwind auf der Rennstrecke setzte dem lädierten Nacken noch mehr zu und so entschied sich Peter Trachsel rund 1000 Kilometer vor dem Ziel schweren Herzens, das Rennen abzubrechen – seiner Gesundheit zuliebe.
Sitzen nur noch mit Poolnudel
Er sei extrem enttäuscht gewesen, auch wenn es der richtige Entscheid gewesen sei, so Trachsel. Zu gerne wäre er durch das Zieltor in Annapolis geradelt. Das Team an seiner Seite sei das beste gewesen, das er sich hätte wünschen können und noch heute überlege er häufig, was man hätte anders machen können, damit der Traum hätte wahr werden können.
Während der ganzen Tortur habe er sich nie gefragt: «Wieso mache ich das hier eigentlich?», sondern er sei stets motiviert geblieben und auch das Team hatte eine grossartige Zeit in Amerika – nach überstandenen Strapazen verbrachte man zusammen noch ein paar Tage in New York. Peter Trachsel selbst musste im Big Apple jedoch stets eine Poolnudel bei sich tragen: Sein Gesäss war während des Rennens derart strapaziert worden, dass er ohne dieses Gerät nicht mehr sitzen konnte. Geklagt habe er nie, und auch wenn er die kleinen Finger noch heute nicht ganz richtig spüre: Reizen würde ihn ein zweiter Start schon. Die Zeit war für ihn zwar streng, aber auch extrem schön gewesen und mit einem riesigen Dank ans Team beendete Peter Trachsel seinen zweistündigen Vortrag über eines der härtesten Radrennen der Welt.