Individualität bis zum Lebensende
23.02.2024 GesellschaftTEIL 1 Auch die Begräbniskultur unterliegt gewissen Trends – etwa der Privatisierung. Doch ist die traditionelle Abdankungsfeier tatsächlich ein Auslaufmodell? Der «Frutigländer» hat sich bei verschiedenen Personen erkundigt, die sich beruflich mit dem Tod ...
TEIL 1 Auch die Begräbniskultur unterliegt gewissen Trends – etwa der Privatisierung. Doch ist die traditionelle Abdankungsfeier tatsächlich ein Auslaufmodell? Der «Frutigländer» hat sich bei verschiedenen Personen erkundigt, die sich beruflich mit dem Tod beschäftigen.
KATHARINA WITTWER
2022 gehörten laut Bundesamt für Statistik 34 Prozent der Schweizer Bevölkerung keiner Religion an. Seit 2010 stieg dieser Anteil um satte 13 Prozentpunkte. Das bedeutet allerdings nicht automatisch, dass alle, die sich zum Katholizismus (32 Prozent), zur evangelisch-reformierten Kirche (21 Prozent) oder zu einer anderen christlichen (Frei)Kirche bekennen, etwas mit der Institution Kirche anfangen können.
Bräuche geraten in Vergessenheit
Klar ist jedoch, die Begräbniskultur wandelt sich. Die Frage, ob die Corona-Krise mit den Einschränkungen bei Versammlungen Grund für die Veränderungen sei, wird von allen Befragten verneint. Allerdings sei der Trend in dieser Zeit schon beschleunigt worden.
«Die Aufbahrung, das Abschiednehmen, der gemeinsame Gang vom Trauerhaus auf den Friedhof, in die Kirche und die anschliessende ‹Grebt›, wie es in unserem Kulturkreis lange Sitte war, hatte seine Berechtigung: Tod und Abschied sind nicht nur eine Familienangelegenheit, sondern auch eine Sache der Gemeinschaft», betont Hansruedi von Ah, Pfarrer in Aeschi und Krattigen. Auch Bestatter Daniel Lochbrunner ist überzeugt, dass der Abschied, wie er früher praktiziert wurde, durchaus seine Gründe hatte. «Erst wenn der Tod ‹greifbar› ist, kann man ihn ‹be-greifen›».
Mit dem Aufkommen der Einäscherung ist die Distanz zwischen Trauergästen und den Verstorbenen grösser geworden. Eine Urne, welche die Asche eines Verstorbenen enthält, ist etwas Abstraktes, das «menschliche Element» tritt visuell in den Hintergrund.
Wird bloss von Familienmitgliedern und vielleicht im Beisein der engsten Freunde Abschied genommen, verschwinden gleichzeitig Bräuche. Jagdhornbläser oder Musikgesellschaften spielen am offenen Grabe nur noch selten «Alte Kameraden». Der Jodlerklub bringt mit dem Lieblingsjutz der Verstorbenen die Trauergemeinde kaum mehr zum Weinen und auf den Fahnengruss des Schützen- oder Turnvereins wird häufig verzichtet.
Verschiedene Bestattungsformen sind möglich
Das Verhältnis zwischen Erdbestattung und Urnenbeisetzung habe sich in letzter Zeit kaum verändert und sei nach wie vor ausgeglichen, sagt Albin Schmid. Vor Corona war es in Adelboden aber keine Seltenheit, dass sich bis zu 300 Personen zu einer Trauerfeier einfanden. Die damaligen personellen Einschränkungen, hätten schon Spuren hinterlassen, denn es komme seither vermehrt vor, dass die Beisetzung nur noch im engsten Familienkreis stattfinde, so der Totengräber. Daniel Rubin, Friedhofsgärtner in Frutigen, ist erst seit knapp einem Jahr in dieser Funktion tätig. Von seinem Vorgänger weiss er, dass in den vergangenen zehn Monaten insgesamt mehr Erdbestattungen ausgerichtet wurden als in den drei Corona-Jahren zusammen. Die Anzahl Trauergäste sei unterschiedlich und liege zwischen 10 und 200 Personen.
Pfarrerin Christine Eichenberger beobachtet die Veränderung der Abschieds-Kultur schon länger. In Kandersteg kommt es vermehrt vor, dass Angehörige entweder nur auf dem Friedhof und im kleinsten Kreise Abschied nähmen oder – mit oder ohne Trauergäste – nur in der Kirche. Im zweiten Fall wird die Urne meistens mitgenommen, vielleicht zu Hause aufbewahrt, irgendwo beigesetzt oder die Asche in der Natur verstreut. «In Kandergrund dagegen wird wieder regelmässig zu traditionellen Abdankungsfeiern eingeladen.»
Friedhofsgärtner führen im Auftrag der politischen Gemeinde ein Friedhofrodel. Darin eingetragen werden die Namen der Verstorbenen, ob Aufbahrungshalle oder Abdankungsraum benutzt und in welcher Form und wo auf dem Friedhof die sterblichen Überreste bestattet wurden. Nehmen die Angehörigen die Urne mit, bleibt die letzte Spalte leer.
Seit einiger Zeit bieten einige Gemeinden nebst Erdbestattungen, Urnengräbern oder Urnenbeisetzungen auf einem bestehenden oder in einem Gemeinschaftsgrab weitere Möglichkeiten an. Das können beispielsweise ein lichter Baumbestand, eine Blumenwiese, ein Rosengarten oder ein Friedwald sein. Meistens darf an der «richtigen Stelle» ein Namensschild in den Boden gesteckt werden und es ist sogar möglich, auch später Blumen hinzustellen.
Kostengünstige Varianten im Trend
Daniel Lochbrunner, der seit drei Jahren auch in Reichenbach eine Filiale betreibt, bestätigt den Trend hin zu Abdankungen im kleinsten Kreis. «Vater wünschte kein ‹Brimborium›», höre er regelmässig im Gespräch mit den Hinterbliebenen. «Was ist unter ‹Brimborium› zu verstehen?», fragt er sich. Einen Sarg aus edlem Holz für mehrere tausend Franken verlange niemand mehr. Im Gegenteil: das kostengünstigste Modell sei das Meistverkaufte, was in vielen Fällen auch auf die Wahl der Urnen zutreffe. Es komme auch vor, dass die Urne nach der Einäscherung von den Angehörigen selber im Krematorium abgeholt werde. Ob Trauerfamilien bewusst Auslagen sparen oder ob diese Bescheidenheit jeweils dem Wunsch der Verstorbenen entspricht, kann er nicht beurteilen.
«Blumen spenden Trost»
«Da kein Grab vorgesehen ist, bitten wir, statt Blumen …», heisst es manchmal. «Natürlich sind solche und ähnliche Wünsche auf Todesanzeigen für unsere Branche nicht förderlich», bestätigt Barbara Wilhelm vom gleichnamigen Blumengeschäft in Adelboden. In allen Kulturen wurden den Toten Blumen in irgendeiner Form auf ihre letzte Reise mitgegeben. Die Floristin hat den Eindruck, dieser Brauch sei hierzulande vergessen oder verloren gegangen. Die Anzahl Kränze – ob mit oder ohne Schleife – sagte bis vor einigen Jahrzehnten viel über die Bekannt- und Beliebtheit einer Person aus. Auch die Grösse des Sargbuketts, meist von den Angehörigen in Auftrag gegeben, war eine Art Statussymbol. «Drum bring mer Blueme, so lang i Fröid cha ha» sang Polo Hofer einst. Die Liedzeile scheint sich zu bewahrheiten.
Ist wenig Platz für Kränze vorhanden (die runde Form symbolisiert das ewige Leben), bieten Fachgeschäfte andere Lösungen wie ein kleines Kränzchen mit den Lieblingsblumen, einen Strauss, ein herzförmiges Kissen aus Blütenköpfchen oder einen Korb mit Blütenpflanzen. Unter Umständen hat eine hinterbliebene Person Freude, wenn ihr in der schweren Zeit Blumen nach Hause geliefert werden.
In einem zweiten Beitrag zum Thema werden alternative Abschiedsrituale vorgestellt.