Klassik und zeitgenössisches Farbenspiel
12.09.2023 KanderstegERÖFFNUNG DES SWISS CHAMBER MUSIC FESTIVAL 2023
Das Trio Chagall eröffnete in der reformierten Kirche Kandersteg den Reigen der Preisträgerkonzerte des Swiss Chamber Music Festival. Die drei jungen Italiener ...
ERÖFFNUNG DES SWISS CHAMBER MUSIC FESTIVAL 2023
Das Trio Chagall eröffnete in der reformierten Kirche Kandersteg den Reigen der Preisträgerkonzerte des Swiss Chamber Music Festival. Die drei jungen Italiener begeisterten mit ihrem inspirierten, leidenschaftlichen Auftritt.
RETO KOLLER
Zuerst Beethoven, dann Zimmermann und schliesslich Schubert, gefolgt von einem Haydn-Zückerchen: So gestaltete das Trio Chagall sein Programm für den Auftakt der Preisträgerkonzerte am vergangenen Samstag.
Das Konzert begann mit Beethovens sogenanntem «Geister-Trio» in D-Dur. Der ungewöhnliche Beiname geht auf einen Schüler des Meisterkomponisten zurück. Dieser fühlte sich durch den zweiten Satz des Werks an den Auftritt des Geistes in der Shakespeare-Tragödie «Hamlet» erinnert.
In einem begeisterten Kommentar zu Beethovens Trio kristisierte der damalige Musikkritiker, Komponist und Schriftsteller E.T.A Hoffmann die Mode, «die Musik nur so nebenher zum Vertreiben der Langeweile in der Gesellschaft zu benutzen». Er warnte «Gelegenheits-Interpreten» davor, dem Geister-Trio nicht gewachsen zu sein.
Am Samstagabend war Hoffmanns Sorge allerdings gänzlich unbegründet. Das Trio Chagall glänzte mit perfektem Zusammenspiel, grösster Virtuosität und leidenschaftlichem Vortrag. Die drei Musiker schienen mit ihren Instrumenten förmlich zu verschmelzen. Die Mimik, die Gesten und der fortwährende Augenkontakt der drei Südländer waren Ausdruck der Intensität ihres Spiels.
Rahel Zimmermanns zeitgenössischer Farbtupfer
Der zweite Preis am diesjährigen Orpheus-Wettbewerb berechtigte das Trio Chagall, sich eine zeitgenössische Komposition auf den Leib schneidern zu lassen. Ihre Wahl fiel auf die in Glarus geborene und in Zürich lebende Komponistin und Architektin Rahel Zimmermann. Die Musikpädagogin Magdalena Schatzmann stellte sie und ihr Werk dem Publikum vor. Sie unterhielt sich mit der jungen Frau über die Inspiration, das Suchen und das Übertragen von Gedanken und Vorstellungen in Musik.
Rahel Zimmermann sieht im konzeptionellen Denken und im Schaffen klarer Strukturen eine Verbindung zwischen Architektur und Musik. Auf Nachfrage von Schatzmann gab Zimmermann Auskunft über den Weg zu ihrer Komposition, die den Namen «Fluttuando» («Schwebend») trägt: «Ich wollte den für den Maler Chagall typischen Malstil in Töne und Klänge übertragen. Beim Betrachten seiner Bilder spüre ich einerseits eine schwebende Leichtigkeit und andererseits eine Schwermut, die wohl mit der Verbindung des Malers mit seiner Heimatstadt Witebsk in Russland zu tun hat, aus der er als Kind vertrieben wurde. Beide Gefühle wollte ich zum Ausdruck bringen».
Wie gut ihr dies gelungen ist, bewies das Trio anschliessend in der Uraufführung des Werks. Die filigranen, beinahe schwebenden Tonfolgen waren auch den Nicht-Fachleuten unter den Zuhörern zugänglich und im wahrsten Sinn des Wortes hörbar.
Das Konzert endete mit dem bekannten Schubert-Klaviertrio in B-Dur (op. 99). Es gab den Musikern noch einmal Gelegenheit, ihre ganze Virtuosität auszuspielen, bevor sie ihren Auftritt mit einer heiteren Zugabe aus Joseph Haydns kompositorischem Repertoire beschlossen. Publikum und Interpreten liessen den Abend im Belle-Époque-Hotel Victoria ausklingen, wo das Trio noch eine weitere Kostprobe seines Könnens gab.
«Das Stück soll zu unserem Label werden»
Im Anschluss an das Konzert erzählte der Cellist Francesco Massimino vom Entstehen jenes Werkes, das die Komponistin Rahel Zimmermann dem Trio Chagall gewidmet hat. «Es war eine grosse Ehre für uns, einen Komponisten oder eine Komponistin auswählen zu dürfen. Wir schauten uns im Internet um und stiessen auf Rahel. Wir waren beeindruckt von ihrer Arbeitsweise und wählten sie als Komponistin für unsere Uraufführung aus. Zunächst tauschten wir uns über E-Mail aus. Nach einiger Zeit trafen wir uns mit ihr. Sie stellte uns ihre kompositorischen Ideen vor, und wir probierten sie aus. Das Werk gefiel uns sehr – und das Resultat durften wir heute erstmals der Öffentlichkeit vorstellen.» Das 2013 vom Pianisten Lorenzo Nguyen Ba gegründete Trio hat den Namen «Chagall» gewählt, weil sich die Musiker von den Gemälden des russisch-jüdischen Malers immer wieder inspirieren lassen. Rahel Zimmermanns Komposition «Fluttuando» soll zum Markenzeichen des erfolgreichen und mehrfach ausgezeichneten Ensembles werden.
RK