AUF AUGENHÖHE – Kein Platz für glückliche Säuli?
30.08.2022 KolumneKein Platz für glückliche Säuli?
Erinnern Sie sich an den im Jahr 1995 produzierten australischen Familienfilm «Ein Schweinchen namens Babe»? Babe, geboren in einem grossen Schweinemastbetrieb, kam als Weihnachtsbraten in spe auf den Hof von ...
Kein Platz für glückliche Säuli?
Erinnern Sie sich an den im Jahr 1995 produzierten australischen Familienfilm «Ein Schweinchen namens Babe»? Babe, geboren in einem grossen Schweinemastbetrieb, kam als Weihnachtsbraten in spe auf den Hof von Farmer Hoggett. Da das kluge Tier jedoch die Herzen aller zwei- und vierbeinigen Farmbewohner eroberte, blieb ihm dieses Schicksal erspart.
In der Realität haben Schweinchen kaum so viel Glück. Viele vegetieren in der Massentierhaltung dahin. Die kürzlich auf Youtube veröffentlichte Dokumentationsserie «Wen dürfen wir essen?» des deutsch-französischen Senders «Arte» offenbart schockierende Zustände. Weniger als ein Quadratmeter Fläche steht einem Schwein zur Verfügung, bis es im jugendlichen Alter von fünf Monaten geschlachtet wird. Davor wird es mit CO2 betäubt. Dies ist schmerzhaft, und die Tiere leiden unter grauenvollen Erstickungsängsten, bevor sie endlich bewusstlos werden. Ebenso jämmerlich sieht es bei den Muttersäuen aus, die auf engstem Raum hinter sogenannten Ferkelschutzkörben gehalten werden. Die aufrüttelnden Bilder wurden in einem europäischen Mastbetrieb gedreht. Haben die Schweizer Mastbetriebs-Säuli ein besseres Leben?
Ich erinnere mich noch vage an die «Husmetzgete» von zwei oder drei Schweinen bei uns im Gastrobetrieb. Sie waren mir – damals im Vorschulalter – ein Gräuel. Weder die Hände auf die Ohren zu drücken noch das Kissen über den Kopf zu stülpen dämmte die Todesschreie der Tiere wesentlich. Sobald sie sich aber zu Fleisch verwandelt hatten, ging es mir wieder besser. Ich weiss nicht mehr, ob ich noch zu jung war, um die Zusammenhänge zu verstehen, oder ob ich aus Selbstschutz einfach keine Verbindung vom leidenden Tier zu den Koteletts, dem Braten oder den Würsten in der Küche herstellen wollte. Die Praxis der strikten Trennung von Ressource und Endprodukt habe ich aber über Jahrzehnte hinweg beibehalten. Meine mentale Trennwand zwischen Tier und Fleisch fiel erst mit vermehrten Berichten und Dokumentationen wie der erwähnten Serie «Wen dürfen wir essen» über aufrüttelnde Missstände in der Tierhaltung. Mein Konsumverhalten änderte sich. Ich wollte ausschliesslich nachhaltig produziertes Fleisch von glücklichen Tieren auf den Tisch bringen. Bald jedoch lernte ich, dass im Dschungel der Herkunfts-, Ökound Biolabels vieles nur leere Versprechungen und Tierwohl-suggerierende Verpackungsbilder sind. Heute frage ich mich, ob artgerechte Tierhaltung bei Fleischproduktion überhaupt möglich ist oder ob überall wirtschaftliche Interessen über dem Tierwohl stehen. Der Appetit auf Fleisch ist mir vergangen.
Ich freue mich immer, wenn ich Säuli sehe, die genügend Platz haben, im Dreck wühlen und sich suhlen können. Gerne bleibe ich dann etwas stehen und sehe ihnen zu. Leider gibt es heute viel zu wenige davon. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt: Schweine sind clever, sozial und spielen gerne. Sie sind weder verschlafen noch faul, wie es in der Nutztierhaltung oft den Anschein macht – in engen Boxen und auf Betonboden langweilen sie sich jedoch. Tiertrainer und Wissenschaftler wissen längst, Schweine sind mindestens so schlau wie Hunde. Doch der Hund hat mehr Glück – er ist des Menschen bester Freund. Wie wäre es mit etwas mehr Glück für die Säuli?
BARBARA STEINER-SUTER
AUFAUGENHOEHE@OUTLOOK.COM