KOLUMNE – Auf Augenhöhe

  12.09.2023 Kolumne

Ein Plädoyer für die Dunkelheit

Schlaflos lag ich im Hotelbett. Statt wohltuend dunkel war es im Raum relativ hell, eine Aussenbeleuchtung vor dem Fenster spendete Licht. Die knapp bemessenen, ziemlich lichtdurchlässigen Vorhänge brachten kaum Verdunkelung. Der Helligkeit nicht genug, funkelten mir grüne, rote und blaue Lichtpunkte und -formen fast schon bösartig aus allen Ecken des Zimmers entgegen und schienen sich über meine Schlaflosigkeit zu amüsieren. Sie stammten von allerlei elektronischem Schnickschnack: dem Stand-by-Lämpchen des Fernsehers, dem Internet-Access-Point, dem Radiowecker und von oben blinzelte hämisch das Kontrolllämpchen des Feuermelders. Ich drehte mich hin und her, ärgerte mich über das Zuviel an Licht und meine Empfindlichkeit. Mit der Bettdecke über dem Kopf war mir zu heiss und Schäfchen zählen nützte nichts. Stunden schienen zu vergehen, bevor ich endlich in Morpheus’ Armen liegen konnte.
Licht ist Wärme, Leben und ein Symbol für das Gute. Die Erfindung des künstlichen Lichts hat zu unserem Wohlstand und zur Lebensqualität beigetragen. Viele Orte sind durch Beleuchtung sicherer geworden. Zu viel künstliches Licht in der Nacht – Lichtverschmutzung also – ist jedoch nachgewiesenermassen schädlich für Menschen, Tiere und Natur. Nachtaktive Insekten, als Beispiel, orientieren sich normalerweise an den Gestirnen. Wir alle haben jedoch schon beobachtet, wie sie von Aussenlampen angezogen werden und zu Tausenden um diese Lichtquellen schwirren, meist bis zur tödlichen Erschöpfung. Schweizweit verenden so laut einem Beitrag von SRF schätzungsweise zehn Millionen Insekten pro Nacht. Dies wiederum hat Folgen für andere Lebewesen. Einige davon sind die europäischen Fledermausarten, die sich ausschliesslich von Insekten ernähren. Viele von ihnen sind heute bedroht, weil sich ihr Nahrungsangebot wesentlich reduziert hat oder sie durch zu viel Licht in der Futtersuche gestört oder gar davon abgehalten werden. Zwar gibt es auch Profiteure, denen der schiere Überfluss an Insekten rund um das Kunstlicht ein wahres Schlemmerparadies beschert. So oder so wird aber das natürliche Gleichgewicht der Natur beeinflusst, was unserem Ökosystem schadet.
Einige Tage nach der schlafarmen Hotelnacht flog ich wiederum nachts von der Millionenstadt Toronto ab. Als ich dabei aus dem Flugzeugfenster schaute, zeigte sich unter mir ein schier endlos scheinender Lichterteppich aus hell beleuchteten Strassenzügen und Häuserfluchten. Ich sah Sicherheit und Schönheit im Widerspruch zu Belastung und Schaden. Bräuchten wir nicht etwas mehr Mut zur Dunkelheit? Vielleicht würde ein grösserer Abstand zwischen zwei Strassenleuchten oder eine stärkere Dimmung genügend Sicherheit bieten. Geschäftsareale, in denen nachts die Arbeit stillsteht, bräuchten keine Beleuchtung mehr, Schaufenster könnten die ganze Nacht finster bleiben. Und in einigen Wochen bräuchte es weder Lichterketten noch hell glitzernde Rentiersilhouetten, um vorweihnächtliche Stimmung zu schaffen – das Funkeln von Mond und Sternen würde genügen.

BARBARA STEINER-SUTER

AUFAUGENHOEHE@OUTLOOK.COM


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