FEDERLESIS – «Resistencia hike»

  09.09.2022 Kolumne

«Resistencia hike»

«Irgendwann werdet ihr mich verstehen und mir dankbar sein», schliesse ich meine Rede zur Nation. Wenn Blicke töten könnten, würde ich jetzt tot umfallen. Arena? Nein, Samstagabend am Familientisch.
«Was machemer morn?», lautet dort die klassische Samstagabendfrage. Und blitzschnell legt einer nach: «Also mir ist es egal ... aber NICHT wandern!?», tönt es flehend aus der Ecke der Schütteler der Familie.
Das erlösende «Nein» seitens der Erziehungsberechtigten kommt nicht schnell genug. Und der Znachttisch wird zum Klage balken. Ein dreistimmiger Aufschrei der Halbstarken. Von: «Nicht schon wieder!», über «Ich habe Muskelkater vom Schuttmätsch!» und «I muess scho süsch immer früech uuf!», bis hin zur Sammelklage: «Wir sind die Einzigen, die immer latschen müssen!»
Ein klarer Fall von «Resistencia hike», eine Krankheit, die vor allem ältere Kinder und Jugendliche befällt. Auf gut Deutsch: «Widerstand Wandern». Die ersten Symptome melden sich schon im frühen Kindesalter. Oft weist eine Aussage wie: «Wie witt giits no?», auf einer Familienwanderung auf eine beginnende Erkrankung hin.
Fachleute raten dann zu Sagen- und Zwergenwegen, Schatzsuchen, Erlebnisund Themenwanderungen, um den Verlauf der Krankheit hinauszuzögern. Ausserdem sollte keine Tour ausschliesslich von den Eltern geplant werden, Mitspracherecht der Kinder sei äusserst wichtig. Die Kinder müssten zu Beginn der Wanderung ausgeruht sein, wecken sei gemein und ungesund. Zudem seien spannende Programmpunkte, GPS-Spiele, der richtige Snack, Belohnungen und die Planung eines jederzeit möglichen «Notausstiegs» via Luftseilbahn, Trottinett oder Mountain-Gokart unerlässlich. Jeder unnötige Höhenmeter sollte vermieden werden, er könnte die Symptome verschlimmern.
Daher bin ich erstaunt, dass ich als Kind mit der Wandereinstellung meiner Familie vor 35 Jahren überlebt habe. Ausschlafen war nicht, um 4.30 in der Früh gings los. Das Sässelbähndi im Kiental stand still. Zur Orientierung diente kein GPS sondern die Wanderschuhe von Vater Beetschen, hinter denen man mit «t uubem Grind» (bitte entschuldigen Sie die Ausdrucksweise, aber etwas Treffenderes fällt mir nicht ein) im trägen SAC-Schritt zum Gehrihöri aufstieg. Snack unterwegs war verpönt – de mag me nümme luufe. Der spannende Programmpunkt der Wanderung war keine Gokart-Abfahrt, sondern der Moment, wenn Familienangehörige beim Giessenengrat wegen Höhenangst stecken blieben. Und ein Notausstieg aus der Wanderung bedeutete einen mehrstündiger Abstieg. Oh, was litt ich unter dieser Krankheit! Habe für schlechtes Wetter gebetet, mich totgestellt im Bett und gejammert was das Zeug hielt ... Aber es ging vorbei, diese «Resistencia hike».
Heute ist mein «irgendwann». Heute verstehe ich dich, Dädel, und bin dir dankbar, dass du mich über die verschiedenen
Höger mitgeschleift hast!
Alles Gute zum Geburtstag!

ANDREA BALMER-BEETSCHEN

ANDREA.BEETSCHEN@BLUEWIN.CH


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