Kolumne – Nachgehakt
24.10.2023 KolumneWarum...?
Geht es Ihnen auch so wie mir? Diese schrecklichen Bilder, die uns seit zwei Wochen über alle Medien aus dem Nahen Osten erreichen, machen mich tief betroffen und ohnmächtig.
Unschuldige Erwachsene und Kinder werden auf beiden Seiten dieses ...
Warum...?
Geht es Ihnen auch so wie mir? Diese schrecklichen Bilder, die uns seit zwei Wochen über alle Medien aus dem Nahen Osten erreichen, machen mich tief betroffen und ohnmächtig.
Unschuldige Erwachsene und Kinder werden auf beiden Seiten dieses neuen, alten Konflikts ausgebombt, verletzt, getötet. Warum...? Warum kommt diese Region seit Generationen nicht zur Ruhe? Warum findet man sich nicht für ein friedliches Zusammenleben?
Seit Juni 1948 ist die UNO mit einer Friedensmission im Nahen Osten präsent. Seit Anbeginn seiner Existenz ist Israel konfrontiert mit Widerstand, immer wiederkehrenden existenziellen Fragen, und die Anzahl der Konflikte, die es seither erdulden musste oder selbst auslöste, ist beispiellos.
Ende 2000 durften meine Frau und ich während gut einem Jahr in Syriens Hauptstadt Damaskus leben. Ich war dort Teil der UN-Mission mit der A ufgabe, die Überwachung des Waffenstillstandsabkommens zwischen Israel und verschiedenen arabischen Staaten auf der syrischen Seite des Golan mit Offizieren aus über zwanzig Ländern sicherzustellen, zuerst als Militärbeobachter, später als stellvertretender Kommandant der internationalen Einheit von Blaumützen im syrischen Teil des Golan. Sowohl für meine Frau als auch für mich waren, sind und bleiben dies unvergessliche Monate.
In Syrien herrschte damals grosse Hoffnung, dass man sich unter dem jungen Bashar al-Assad mehr dem Westen zuwenden und mehr Demokratie schaffen würde. Wie wir alle wissen, war diese Hoffnung nur von kurzer Dauer, folgte doch bald ein mehrjähriger Bürgerkrieg, in dem Assad seither seine eigenen Landsleute auf brutalste Art und Weise unterdrückt und niedermetzelt.
Während meiner Zeit in Syrien durfte ich einmal im Monat die militärische Grenze auf dem Golan nach Israel zusammen mit einem Offizier meines Stabes überqueren, um im nahe gelegenen Tiberias am See Genezareth in einer israelischen Bank die Löhne für unsere internationale Einheit abzuholen. In unseren mit Dollarnotenbündeln vollgestopften Tarnanzügen kehrten wir anschliessend wieder zurück nach Syrien.
Regelmässig wurden wir anlässlich dieser Besuche in Israel Zeugen von Arroganz, die uns generationenübergreifend von den Israeli entgegenschlug: Kleine Knirpse, welche dich als Uniformierten einfach auf der Strasse anspuckten, Pensionierte, die dir in Einkaufszentren mit voller Absicht den Einkaufswagen in die Kniekehlen wuchteten. Dies ist weder mir noch anderen Missionsmitgliedern je einmal auf arabischer Seite widerfahren.
Eine Schuldzuweisung ist fehl am Platz und würde der Komplexität der Tragik nicht im Ansatz gerecht. Es geht auch nicht darum, die aktuell mit äusserster Brutalität vorgenommenen Interventionen der beiden Seiten zu erklären oder gar zu entschuldigen. Es wäre überheblich, aus der Ferne Pseudo-Rezepte zur Bewältigung dieser Krise abzugeben.
Mein Wunsch ist, dass alle Menschen dieser Region, egal welcher Herkunft und Religion, sich respektieren und auf Augenhöhe begegnen. Von keiner Seite wird das aktuell gelebt. Gelingen kann dies nur, wenn man unvoreingenommen, ohne ideologische Verblendung, ohne Gefühl des eigenen Überlegenseins, aufeinander zugeht. Und: Der Konflikt kann nur vor Ort gelöst werden, eine Parteinahme und Beteiligung anderer Staaten hilft nicht, das Problem zu lösen.
Von Herzen wünsche ich all den Menschen in dieser Region, dass sie sich möglichst bald dieser Gewaltspirale entziehen und zur Ruhe kommen können, trotz all der vielen sinnlosen Menschenopfer.
Mit dieser Kolumne verabschiede ich mich von Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser. Danke für die vielen Rückmeldungen in den vergangenen beiden Jahren. Die daraus entstandenen Diskussionen waren reich, ich habe sie sehr geschätzt.
THOMAS EGGER
TH.EGGER@GMX.CH