NACHHALTIG – Der Horizont der Politiker
06.09.2022 KolumneDer Horizont der Politiker
Vor Kurzem zog ich über unsere Buchhaltermentalität her, die – so schloss ich die Kolumne – nicht ausreicht, um die ökologischen Herausforderungen der zukünftigen Generationen zu erfassen. Diesmal will ich ein ...
Der Horizont der Politiker
Vor Kurzem zog ich über unsere Buchhaltermentalität her, die – so schloss ich die Kolumne – nicht ausreicht, um die ökologischen Herausforderungen der zukünftigen Generationen zu erfassen. Diesmal will ich ein bisschen über die P olitik und die Verwaltung lästern. Genauer gesagt über ihre Art, auf ein neues Thema zu reagieren und je nach Windrichtung und Aktualität auf den Zug aufzuspringen.
Ich hänge die Geschichte an der alpinen Photovoltaik (PV) auf. Und weil sie erst seit Kurzem breit diskutiert wird, erlaube ich mir, zuerst sachlich darauf einzugehen. Sie wird nach meiner Einschätzung für unsere eigene Energieversorgung wichtig werden. Die Basis für die Erläuterungen liefert das aktuell am weitesten entwickelte Projekt in den Alpen: Gondosolar*.
Es wurde von Renato Jordan aus Gondo initiiert. Seine Idee: 36 000 senkrecht montierte PV-Module sollen einst auf 10 Hektaren seiner um ein Vielfaches grösseren Alp einen Beitrag zur Energiesicherheit der Schweiz leisten. Zusammen mit lokalen Energieversorgern will er in ein paar Jahren auf 2000 m ü.M. Sonnenstrom bewusst im Winter produzieren. Das Wallis hat die höchste Sonneneinstrahlung der Schweiz und diverse geeignete Gebiete für solche Anlagen. Und so ist aus dieser ersten Idee bereits ein zweites Projekt entstanden, das rund 40-mal grösser werden soll. Das Berner Oberland ist nicht ganz so sonnig wie das Wallis. Ein paar geeignete Flächen für alpine PV finden sich aber auch in Kandersteg oder Adelboden. Dort, wo der Stromhunger über Weihnachten am grössten ist.
Beide Projekte griff SP-Urgestein Peter Bodenmann medial auf und besetzte damit für längere Zeit das Feld. Im Februar 2022 schaffte es die Geschichte von Gondosolar mit einer guten Pressekampagne vom Wallis in die gängigen nationalen Medienkanäle der übrigen Schweiz. Energiepolitiker verstanden zwar die Vorzüge der alpinen PV, dass sie nämlich mehr Strom in den Wintermonaten liefert als über den Sommer, befürchteten aber mangels gesetzlicher Grundlagen ebensolange Verzögerungen wie bei Windanlagen im Jura oder in den Alpen. Bereits formierte sich Widerstand aus Kreisen des Landschafts- und Biodiversitätsschutzes. Ein paar Tage später bekam die Energiewende (leider) endlich den nötigen Drall und von links bis rechts tauchten verschiedenste Forderungen nach Alternativen zum russischen Gas auf, mit dem Fokus auf der eigenen Winterenergieversorgung. Und die alpine PV mauserte sich von der Exotin zum Shootingstar. D iverse Parlamentarier machten sich auf den weiten Weg auf die Alp oberhalb Gondos, weil ihnen die Journalisten nun mit Fragen dazu im Nacken sassen. Die Verunsicherung war überall greifbar. So mussten auch die Verwaltungen des Bundes plötzlich handfeste Beurteilungen zu diesem «neuen» Typen der Energieerzeugung liefern. Sie waren dazu auch noch ein paar Monate später, nach dem Goingpublic von Gondosolar, nicht in der Lage oder verwiesen (raumplanerisch) auf die Kantone. Notabene: Diese sogenannte Freiflächen-PV wird in Deutschland seit zehn Jahren gebaut, erforscht und ist seit Kurzem nun im Energiegesetz abgebildet. Jetzt kam auch die Stunde der etablierten bürgerlichen Politiker. Mangels Alternativen an überzeugenden Lösungen für das drohende Winterloch verstiegen sie sich in abstruse Forderungen. FDP-Ständerat und Unternehmer Ruedi Noser wollte in Wochenfrist mit dem Bau dieser komplexen Anlagen im Wallis beginnen und der einheimische Mitte-Politiker Beat Rieder das grosse Projekt in den Bergen mit über einer Million Panels bis Ende 2023 ans Netz anschliessen. Der Jurist ging sogar noch einen bemerkenswerten Schritt weiter und plädierte für Notrecht, um sämtliche juristischen Schritte und Verzögerungsmöglichkeiten auszuschalten. Während jedoch der Bund und fast alle Kantone heute nicht wissen, wie sie gesetzlich mit der alpinen PV umgehen s ollen, hat der Staat Wallis als einziger Kanton – man staune – bereits 2018 die raumplanerischen Grundlagen dafür beschlossen. Gondosolar kann deshalb bis Ende des Jahres rechtlich grünes Licht von Bern erhalten – ohne Notrecht. Realistisch geschätzte Dauer bis zur Netzschaltung sind zwei bis drei Jahre.
Nachtrag: Wenn ich in dieser Kolumne zwischendurch zynisch wirke, liegt es wohl am Auftritt von Bänz Friedli von Sonntagabend, den die Frutiger dem Kulturverein Kandertal verdanken. Er verstand es meisterhaft, auf die vorhandenen und politisch herbeigeredeten Unterschiede zwischen Stadt und Land, aber eben auch auf den bisherigen «Schlafzugmodus» in der Energiepolitik einzugehen.
SAMUEL B. MOSER
NACHHALTIG@BLUEWIN.CH
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