KOLUMNE – PFAFFENGRIFFEL

  21.10.2022 Kolumne

Vernunftgesteuert?

Früher kauften wir IKEA-Möbel. Ich zurrte dann jeweils eine Riesenschachtel auf unseren Mini-Dachträger und konnte es kaum erwarten, das Möbel zuhause zusammenzubauen. Meine herzensgute Treubesorgte dagegen begleitete diese Unternehmungen mit eher kummervollem Blick. Vorsorglich hatte sie die Kinder aus ser Haus gebracht. Noch bevor ich Hammer und Schraubenzieher zu suchen begann, huschte sie durchs Haus und schloss sorgfältig Türen und Fenster. Sie wusste, was kommen würde: Zuerst erfüllte Brummen und Schimpfen das Haus, dann bald lautstarkes Fluchen. Wenn das nur die Nachbarn nicht hörten! Ihr noch zarter Glaube sollte nicht in Anfechtung geraten wegen unzitierbarer Lästerworte des Seelenhirten.

Wie das nach Ecken und Kanten verfluchte Möbel dann schliesslich aussah, tut hier nichts zur Sache. Die Frage ist vielmehr: Wie kommt es, dass ein Pfarrer gottlos flucht? Ich kann Ihnen versichern: War das Möbel halbwegs belastbar, der Finger verbunden und das Fläschli Bier zur Hälfte getrunken, tat mir mein unbeherrschtes Fluchen unheimlich leid! Zerknirscht bat ich im Gebet den «Chef», erstens mich ja nicht ernst und zweitens bitte nicht persönlich zu nehmen, was ich da über ihn gesagt hatte.

Drei Dinge muss ich klarstellen:
1. Ich kannte das Gebot «Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen». An Information fehlte es nicht.
2. Ich fluchte im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte; ich war nicht umnachtet.
3. Ich war mir auch voll bewusst, dass meine unflätigen Worte meinem Charakter, meinem eigentlichen Willen und meiner Berufung direkt zuwiderliefen, aber ich hörte nicht auf. Ich sündigte also mit Absicht und in vollem Bewusstsein. Dafür gebe es keine Vergebung, dachten noch einige Christen der Urkirche. Zum Glück wurde die Christenheit inzwischen milder im Urteil, so darf selbst der fluchende Pfaff noch auf Barmherzigkeit hoffen.

Aber die Frage ist offen: Wie kann ein vernünftiger Mensch (ich!) derart entgleisen? Warum tut der Mensch Dinge, von denen er weiss, dass sie ihm sogleich leidtun? Steuert er denn nicht mit Vernunft sein Leben? Tut er nicht aus Überzeugung das Rechte, wenn er nur frei, gut erzogen und ausreichend gebildet ist? Ist der Mensch denn nicht Herr über sich selbst?

Die grösste Selbsttäuschung des modernen Menschen ist, dass er sich einbildet, er steuere sein Leben mit Vernunft; weil er ja gut denke, lebe er auch gut. Das stimmt weder bei Pfarrern mit IKEA-Möbeln, noch stimmt es bei den Vielen, die genau wissen, was mit der Klimakatastrophe auf uns zukommt und trotzdem in die Karibik fliegen oder den nächstschweren Traktor oder SUV kaufen. Der Mensch ist nicht von Vernunft gesteuert, sondern von Trieben, Gewohnheiten und Gier, die er nicht im Griff hat, wenn es drauf ankommt. Das sagen unzählige Studien moderner Psychologie. Der Mensch braucht nicht nur Erziehung und Bildung, er braucht vor allem Erlösung, so steht es schon im Römerbrief Kapitel 7: «Ich tue nicht, was ich will, sondern was ich eigentlich hasse, das tue ich. Wer wird mich befreien von diesem Todesleib? Dank sei Gott durch Christus Jesus, unseren Erlöser.»

Mit diesem Dank an Gott verbinde ich Dank und beste Wünsche – für den «Frutigländer» und für alle treuen Leser Innen des «Pfaffengriffels». Es war der letzte.
Bhüetech Gott!

RUEDI HEINZER

RUEDI.HEINZER@GMX.CH


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