Glauben und Wissen

Christinnen und Christen sagen von sich, dass sie an Gott glauben. Bei näherer Betrachtung trifft das Wort «glauben» allerdings daneben: Wenn jemand sagt «Ich glaube, der Zug nach Bern fährt um 14.31 Uhr», so schwingt eine gewisse Unsicherheit mit. Es handelt sich dabei eher um eine Vermutung; vielleicht fährt der Zug ja zu einer anderen Zeit? Im «Glauben» von Christen gibt es hingegen kein solches Fragezeichen: Die Existenz Gottes ist für sie eine Gewissheit. Natürlich können fromme Leute auch von Zweifeln ereilt werden – aber dann sind sie auch nach eigener Lesart nicht mehr vollends gläubig.
Dasselbe gilt selbstverständlich für die Anhänger jeglicher Welterklärung, gehe es um die Wirkmacht der Gestirne in der Astrologie oder um buddhistische Reinkarnationslehren: Da wird nicht spekulativ «geglaubt», sondern man empfindet ein Wissen.
Allerdings würden nichtreligiöse Menschen die «Gläubigen» nur ungern als «Wissende» bezeichnen. Denn dies käme dem Eingeständnis eines eigenen Irrtums gleich. So hat das Wort «Gläubige» in der Sprache weiterhin seinen Platz: als Zuschreibung für Andersdenkende. Und auch Christen und Christinnen werden ihr religiöses Wissen – zumindest offiziell – weiterhin als «Glauben» bezeugen. Wohl weil ihnen klar ist, dass es sich um ein sehr subjektives, nicht belegbares Wissen handelt.
Und wie verhält es sich, wenn man das Wort «glauben» im verneinenden Sinn braucht? Auch hier kommt es darauf an, ob der eigene Standpunkt oder jener einer anderen Person beurteilt wird: Die Aussage «Das glaube ich nicht!» enthält noch eine Spur der Möglichkeit, dass es dennoch so sein könnte. Der Satz «Ich weiss es nicht» lässt sogar alle Eventualitäten offen. Wer hingegen sagt «Das glaube ich dir nicht!» meint damit kategorisch, etwas Unwahres gehört zu haben.
Es bleibt die Erkenntnis, dass «glauben» ein mehrdeutiger Begriff ist, der je nach Zusammenhang sehr Unterschiedliches bezeichnet.

TONI KOLLER

TONI_KOLLER@BLUEWIN.CH

QUERGESEHEN - Glauben und Wissen

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