QUERGESEHEN – Bern first
20.09.2022 KolumneBern first
«America first»: Der Spruch stammt bekanntlich von einer zweifelhaften Figur, die mal US-Präsident war, dies eigentlich immer noch zu sein behauptet und es wohl wieder werden möchte. Trotz unrühmlichem Beiklang sei der Slogan hier für einmal wohlwollend auf Bern gemünzt. Der Kanton hat nämlich – entgegen seiner sprichwörtlichen Langsamkeit – in mancher Hinsicht viel Tempo bewiesen und schweizweit Bahnbrechendes erreicht. «Bern first» eben:
• Seit 1982 gilt in Bern das See- und Flussufergesetz, das auf eine Initiative der SP zurückgeht. Es bewirkt, dass Gewässer für die Öffentlichkeit zugänglich bleiben müssen; auch schützt es die Ufer vor weiterer Überbauung. Viele andere Kantone beneiden Bern um diese Pioniertat.
• An der Berner Münstergasse öffnete 1986 das erste «Fixerstübli» des Landes seine Tür: Ein Raum, wo Drogenabhängige unter ärztlicher Aufsicht unbehelligt ihr Heroin konsumieren dürfen. Dies entlastete die offene Drogenszene jener Zeit – ein Meilenstein auf dem Weg zur heute etablierten Vier-Säulen-Drogenpolitik (Prävention, Therapie, Schadensminderung und Repression).
• Ab 1990 zirkulierten in der Stadt Bern die schweizweit ersten Niederflurtrams – Tramfahrzeuge mit bequemem ebenerdigem Einstieg, wie sie inzwischen überall üblich sind.
• 1993 wurde Bern zur ersten Schweizer Stadt mit einer Frauenmehrheit in der Stadtregierung.
• Als erster Kanton – und lange vor dem Bund – gab sich Bern 1995 ein Öffentlichkeitsgesetz (Gesetz über die Information der Bevölkerung). Damit sind amtliche Dokumente nicht mehr grundsätzlich geheim, sondern müssen für Öffentlichkeit und Medien zugänglich sein.
• Im Burgdorfer Bahnhofquartier entstand 1996 als Versuch die erste Begegnungszone der Schweiz, damals noch «Flanierzone» genannt. Die Verkehrslösung mit Tempo 20 und Fussgängervortritt hat sich seither schweizweit durchgesetzt.
• 1997 hiess das bernische Stimmvolk den Vorschlag von Fischereiverband und Pro Natura für einen Renaturierungsfonds gut. Die landesweite Neuheit sichert die Mittel für mehr Naturraum und besseren Hochwasserschutz an Bächen und Flüssen.
• Nach der Jahrhundertwende hatte der Kanton Bern die Nase weit vorn beim Einführen der elektronischen Steuererklärung (TaxMe).
• Unter den Schweizer Hochschulen ist die Universität Bern führend mit ihren Beiträgen zur Weltraumforschung, vom Sonnensegel der ersten Mondmission 1969 bis – beispielsweise – zur Erforschung von Exoplaneten durch die E uropäische Weltraumagentur ESA. Kein Wunder vielleicht, dass mit Thomas Zurbuchen noch bis Ende des Jahres ein Berner Oberländer als Wissenschaftsdirektor der NASA wirkt.
• Und nicht zuletzt ein Blick nach Frutigen: Hier gibt es seit einiger Zeit die einzige öffentliche 100-Prozent-Biogas-Tankstelle der Schweiz.
Diese Aufzählung ist natürlich nicht vollständig (weitere lustige Beispiele sind willkommen!). Und ja: Ein Verzeichnis bernischer Tatenlosigkeit und Erneuerungsschwäche wäre wohl ebenso schnell zur Hand. Aber allen Schlechtrednern und Pessimistinnen sei schon mal das Obige ins Stammbuch geschrieben.
TONI KOLLER
TONI_KOLLER@BLUEWIN.CH