Sommerzeit – Erholungszeit

Was gibt es Schöneres als Sommerferien? Ich liebe den Sommer und nahm mir deshalb gleich drei Wochen frei. Ans Meer fahren ist nicht mein Ding, deshalb plante ich ziemlich kurzfristig eine Reise zu Fuss von Frutigen bis zu meinem Elternhaus in Südtirol. Beim Gepäck gab ich mich mit einem kleinen Trailrucksack zufrieden: Regenkleider, warme Jacke, trockene Wechselkleider, Zahnbürste und Zahnpasta, Seife, ein Notfallset, Schlafsack, Handy und Ladekabel. So reiste ich laufend erst durch das Berner Oberland, dann über die Grimsel ins Wallis und in den Kanton Uri bis ins Tessin. Von dort ging es ins Bündnerland und über den östlichsten Zipfel der Schweiz, dem Piz Chavalatsch, passierte ich schliesslich die Grenze zu Südtirol. 14 Tage brauchte ich für die 530 km und 27 000 Hm.
Nach drei Tagen Erholung bei meinen Eltern und Geschwistern trat ich schliesslich die Rückreise mit dem Zug an. Auf dem Weg zum Bahnhof wurde ich in Bozen zweimal von Bettlern angesprochen, ob ich nicht etwas Geld spenden könnte. Angeblich haben die Männer keine Arbeit und nichts zu essen. Dann beobachtete ich einen Mann beim Durchsuchen der Mülleimer nach etwas Essbarem. Ich fühlte mich sehr unwohl und war froh, endlich im Zug nach Mailand zu sitzen. Dort musste ich nach gut drei Stunden Fahrzeit umsteigen. Am Bahnhof wimmelte es von Leuten und es war brütend heiss. Da ich 40 Minuten Aufenthalt hatte, beobachtete ich eine Weile das Geschehen. Ich kam mir vor wie auf einem riesigen Ameisenhaufen, wo alle wild durcheinanderlaufen. Von entspanntem Reisen war da jedenfalls nicht viel zu spüren. Der Zug fuhr ein und eine grosser Teil dieses Haufens bewegt sich Richtung Gleis 5. Ich suchte meinen reservierten Platz und hoffte, dass der Zug nicht zu voll würde. Doch weit gefehlt. Der Zug füllte sich bald bis auf den letzten Platz. Ich fragte mich noch, wie der Herr mit seinen langen Beinen hier sitzen soll, wenn ihm jemand gegenübersitzt. Die Sitze waren so eng, dass man sich kaum mehr bewegen konnte. Prompt kam ein Walliser Ehepaar und wies mich forsch darauf hin, dass ich auf ihrem Platz sitze. Ich schaute nochmal auf mein Ticket und stellte fest, dass ich mich vertan hatte. Mein Sitzplatz war genau gegenüber dem Herrn mit den langen Beinen. Na super! Ein Frau, die im Vorbeigehen etwas aus ihrem Koffer holte, bückte sich und ich hatte ihren Allerwertesten in meinem Gesicht. Trotz allem war ich immer noch entspannt. Nach einer Stunde Verspätung fuhr der Zug endlich los. Ein Herr in der Reihe nebenan schaute auf seinem Handy ein Video an und liess die Musik dabei laut laufen. Beim jungen Mann neben mir läutete andauernd das Telefon. Ich schloss meine Augen und beamte mich in Gedanken auf die Greinaebene, wo ich vor zehn Tagen alleine in der friedlichen Natur unterwegs gewesen war. Eine Dame lief vorbei und füllte den Wagen mit einer stinkenden Parfümwolke. Oh, wie war die Luft so frisch und rein auf dem Madritschjoch auf 3125 Metern. Die neun Stunden Zugfahrt kamen mir länger vor als 14 Tage Laufen über Stock und Stein. Ich dachte: «Uff, bin ich froh, wenn ich endlich zu Hause bin. Ich glaube, jetzt brauche ich erst mal Ferien!»

HELENE OGI

INFO@FIT-MIT-MOVIDA.CH

KOLUMNE – Schritt für Schritt

Image Title

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Ja. Ich benötige ein Abo.

Article

Image Title