Mitgemacht, mitgedacht

Wissenschaftliche Arbeit benötigt verlässliche Daten. An diese Daten heranzukommen, ist bisweilen eine mühselige Tätigkeit. Um mehr Datenquellen schneller zugänglich zu machen, setzen Forschungsgruppen immer häufiger auf die Mithilfe der Bevölkerung. «Citizen Science» (oder auf Deutsch: Bürgerwissenschaft) heisst dieser partizipative Forschungsansatz. Interessierte Laien unterstützen die Profis beim Sammeln der Daten oder bei deren Interpretation. Bürgerinnen und Bürger machen zum Beispiel Bilder von lokal vorkommenden Pflanzen und helfen mit, diese zu bestimmen und auf einer Landkarte einzutragen. Das geht schneller und deckt eine viel grössere Fläche ab, als wenn ein Forschungsteam dies alles selbst aufnehmen würde.

BürgerInnenwissenschaft wurde in der Schweiz gelebt, noch bevor sie den Namen «Citizen Science» erhielt. Schon im 19. Jahrhundert wurde mit Unterstützung des Bundes ein schweizweites meteorologisches Beobachtungsnetz aufgebaut, zu dem viele Freiwillige beitrugen. Ein weiteres Beispiel eines bis heute andauernden Citizen-Science-Vorhabens ist das Vogelmonitoring der Stiftung Vogelwarte Sempach, das seit über 60 Jahren besteht. Seither gab und gibt es Projekte in fast allen Forschungsbereichen. Interessierte können etwa beitragen zur Erforschung der Schweizer Igelpopulation, zum Verständnis der Hagelbildung bei Gewittern, zum Monitoring von Gletschern oder zur Analyse der verschiedenen Dialekte in der Schweiz und deren Entwicklung im Laufe der Zeit.

Manchmal können Bürgerinnen und Bürger auch durch die reine Benutzung ihres Smartphones an Citizen-Science-Projekten teilnehmen (es braucht hier natürlich die Zustimmung der Nutzenden). Eine Schweizer Hochschule will zum Beispiel die untere Erdatmosphäre besser verstehen und schaut dafür Positionierungssignale von Satelliten an, welche die Navigationssysteme in den Handys verwenden. Da diese Signale durch die Atmosphäre reisen, tragen sie Informationen über ebendiese Luftschicht mit sich. Dank dieser breit gesammelten Daten sollen Wettervorhersagen präziser werden.

Mein Lieblingsanwendungsbereich von Citizen Science ist die Weltraumwissenschaft. Die vielen Daten, die Raumsonden sammeln, können mithilfe der Bevölkerung besser eingeordnet werden. Zum Beispiel können Space-Fans Bilder von Oberflächen anderer Planeten betrachten und kategorisieren – und so zu Erkenntnissen über geologische Prozesse auf diesen Planeten beitragen. Auch auf der ganz grossen Skala unserer Milchstrasse kommt Citizen Science zum Einsatz. Die Wissenschaftsmission «Gaia» der Europäischen Weltraumorganisation ESA, an der sich auch die Schweiz beteiligt, produziert gerade die grösste 3-D-Karte unserer Galaxie. Um die kosmischen Phänomene besser zu verstehen, können Interessierte an ihren eigenen Computern mithelfen, Helligkeitsveränderungen an beobachteten Sternen zu klassifizieren. Für die involvierten AstrophysikerInnen sind das wertvolle Zusatzinformationen, die dem Algorithmus vielleicht entgangen sind. Damit die Qualität der Forschung garantiert ist, haben sich Standards und Prinzipien durchgesetzt, an die sich Citizen-Science-Projekte halten sollen. Zudem werden die Citizen Scientists meist für ihre Teilnahme am Forschungsprojekt gewürdigt – manchmal mit einer Danksagung, manchmal durch eine Mitautorenschaft in den wissenschaftlichen Publikationen. Zuallererst sollen die Projekte aber zum Mitdenken anregen und interessant sein für diejenigen, die dazu beitragen. Neugierigen Frutigländerinnen und Frutigländern empfehle ich zum Einstieg, auf dem Citizen-Science-Netzwerk «Schweiz forscht» herumzustöbern: www.schweizforscht.ch.

VALERIE KOLLER

VALERIE.KOLLER@BLUEWIN.CH

Kolumne – Zahlen in Worten

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