ZWISCHEN BERG UND BERN – «Da de da daa!»

  18.07.2023 Kolumne

«Da de da daa!»

Kennen Sie den Witz: Empörte Ostschweizer Eltern schauen auf dem Spielplatz einem frechen Jungen zu: «Daa de da?» «Ja, de daa da.» «Da de da daa!» (Ich bitte die Ostschweizer «Frutigländer»- Leserschaft um Verzeihung, Sie dürfen jetzt gerne ein paar Berner Witze machen.) Der Witz fällt mir immer wieder mal ein, wenn ich die Zeitung lese. Oder Dokus schaue. Erstaunlich, was man alles darf!

Ein Beispiel dafür findet sich in «Dirty Little Secrets», einem Film über Spotify, den grössten Musikstreamingdienst der Welt. Darin sieht man, wie Musikschaffende (jetzt bitte ich alle um Verzeihung) «verarscht» werden vom wichtigsten Anbieter ihrer Werke. Spotify hat in den Jahren der Internetpiraterie ein Geschäftsmodell entwickelt, mit dem unsere Arbeit zwar wieder legal konsumiert wird, wir aber trotzdem kaum mehr Einnahmen damit machen. Ich kann das illustrieren: Meine Musik ist seit 2015 auf Spotify, bis auf zwei Alben alles unter meiner Kontrolle. Ich habe in diesen acht Jahren an nicht ganz 400 000 Streams knapp 1500 Franken verdient. Also nicht ganz 200 Franken pro Jahr. Das entspricht einem Monat Proberaummiete. Inzwischen weiss man auch, dass Spotify viel tut, damit vor allem Dinge gehört werden, die den Anbieter noch weniger kosten. Angeblich (und jetzt zitiere ich ungesicherte Quellen) sagt man bei der Firma intern, man sei ja nicht im Musik-Business, sondern im Abo-Business. Auch wenn das Gerücht nicht stimmt, ist es doch wahr. Ausbeutung, ganz klar. Aber die dürfen das. Alles legal.

Zu lesen war auch, dass der Kanton Zug wegen der OECD-Steuergesetzrevision nun in Betracht ziehe, aus den steuerlichen Mehreinnahmen Projekte zur «Förderung von Umwelt- und Sozialverträglichkeit des Rohstoffabbaus» zu finanzieren. Sprich: Weltkonzerne, die ihre Geschäftsstellen aus Steuergründen in der Schweiz haben, würden dann mit Steuergeldern dafür bezahlt, die Arbeitsbedingungen und Umweltverträglichkeit ihrer Ausbeutung etwas zu verbessern. Als ob das nicht längst überfällig und ihre eigene Verantwortung wäre. Darf der Kanton Zug das? Ja, «de daa da». Auch die Schweiz hat ein Herz für Verwaltungsräte, die mit dreckigen Händen und sauberen Hemden irgendwo im klimatisierten Norden sitzen.

War noch was? Ah ja, Schweizer Tabakkonzerne und gewisse Bereiche der Landwirtschafts-Chemie: Produkte, die in der Schweiz wegen ihres Giftgehalts nicht erhältlich sind (und in der EU teils nicht einmal mehr hergestellt werden dürfen), werden weiterhin gewinnbringend in Länder verkauft, in denen man sich menschen- und umweltverträgliche Grenzwerte noch nicht leistet oder nicht leisten kann. Natürlich: Die Firmen dürfen das, es ist legal.

Ein Blick an die Börse, Pulsader der Weltwirtschaft: Man wettet auf den Niedergang ganzer Branchen und macht Gewinn, wenn er eintrifft. Legal. Wird im Studium unterrichtet. Ein marktwirtschaftliches Werkzeug halt.

Ich weiss nicht, wie es Ihnen geht, aber manchmal finde ich es schwer zu begreifen, wie vieles durch Legalität geschützt wird, was offensichtlich falsch (und ja: böse) ist. Man könnte mit belegten Beispielen dieser Art problemlos diese ganze Zeitungsausgabe füllen. Die kapitalistische Wirtschaft floriert in den Gesetzeslücken der Welt. Gut ist nicht, was richtig ist – gut ist, was rentiert. Und Parlamente weltweit beugen sich dieser Logik.

Dabei wäre es doch eigentlich einfach: Was ich meinem Kind nicht füttern würde, biete ich auch dem Nachbarskind nicht an. Egal, ob es legal ist oder nicht.
Das Umgekehrte passiert übrigens auch: Die von der Migration massiv geforderten Länder am Mittelmeer lassen Menschen ertrinken, weil gewisse Formen der Seerettung illegal gemacht wurden. Das offensichtlich Richtige wird nicht getan, weil es illegal wäre.

Manchmal bleibt einem nur die Hoffnung, dass sich die Welt in eine Zukunft weiterentwickelt, aus deren Perspektive unsere Gegenwart dereinst genauso hart verurteilt werden wird, wie sie es verdient. Und die (ein letztes Mal Pardon) «Verarschung» der Musikschaffenden wird eines der harmlosesten Beispiele sein.

(Textquellen: «Dirty Little Secrets» in der ARD-Mediathek sowie Tagesmedien und www.publiceye.ch, ehem. «Erklärung von Bern». Gut durchatmen und reinschauen.)

CHRISTOPH TRUMMER

WWW.TRUMMERONLINE.CH


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