Eine meiner schönsten Kindheitserinnerungen – ich bin im Zürcher Umland aufgewachsen – ist der alljährliche Räbeliechtliumzug.
Schon das Schnitzen der Räben war ein Fest für sich. Der Duft der rohen Räben in der Nase und das Naschen der  ...
 												
			Eine meiner schönsten Kindheitserinnerungen – ich bin im Zürcher Umland aufgewachsen – ist der alljährliche Räbeliechtliumzug.
Schon das Schnitzen der Räben war ein Fest für sich. Der Duft der rohen Räben in der Nase und das Naschen der Schnitzabfälle stimmten auf den Anlass ein, den ich kaum erwarten konnte.
Und der Abend des Umzugs – welche Aufregung! Ich kann mich an kalte, verschneite Winterabende erinnern: Dick eingepackt in Skikleider, die leuchtenden Räben an drei Schnüren in der Hand, sind wir singend durchs Dorf gezogen. «Räbeliechtli, Räbeliechtli, wo gasch hii?», klang es im Chor. Oder: «Ich gah mit minere Laterne und mini Laterne mit mir.» Mein Lieblingslied, weil es die Novemberstimmung so wunderbar spiegelte, war: «S’ Nebeltuech ligt uf de Strass, macht üs d’Haar und d’Bagge nass …». Wie gross war die Vorfreude, als ich selber Mutter wurde und wusste: Die Zeit wird kommen, da darf ich diesen Zauber mit meinen eigenen Kindern erleben. Und wie gross war die Ernüchterung, als ich hier im Oberland feststellte: Da gibt es gar keinen Räbeliechtliumzug. Dafür kam Halloween aufs Tapet. Eine Mutter aus unserem Quartier zog mit einer Tschuppelete verkleideter Kinder um die Häuser und sang mit ihnen «Hippigspängschtli» von Peter Reber. Seither gibt es kein Halten mehr: Die Kinder wurden grösser, die Verkleidungen spektakulärer – und nun hat es Tradition, dass in unserem Viertel am 31. Oktober nach Süssigkeiten bettelnde Kinder vor der Tür stehen. Meine beiden mittendrin.
Was für ein Grauen! Könnte man doch mit einem Augenzwinkern fast schon sagen: Ich habe Kinder bekommen, um mit ihnen Räben zu schnitzen – und nun zelebrieren sie statt des romantischen Winter-Räben-Zaubers das hierzulande inhaltslose Halloween. Auch heute Abend werde ich sie also wieder mit ihren Freunden ziehen lassen. Wenigstens haben wir ausführlich darüber gesprochen, woher der Brauch kommt und welcher Sinn eigentlich dahinterstecken würde. In diesem Sinne wünsche ich allen einen gemütlichen und hoffentlich nicht allzu gruseligen All Hallows’ Eve!
RACHEL HONEGGER
R.HONEGGER@FRUTIGLAENDER.CH