GESCHICHTE Sie schützt weder vor Kälte noch vor Regen und ist kleidungstechnisch überflüssig. Trotzdem gelingt es dem kleinen Stück Stoff, einen Mann und – je nach Mode – auch eine Frau adrett zu kleiden. Die Rede ist von der Krawatte. Ihr ...
GESCHICHTE Sie schützt weder vor Kälte noch vor Regen und ist kleidungstechnisch überflüssig. Trotzdem gelingt es dem kleinen Stück Stoff, einen Mann und – je nach Mode – auch eine Frau adrett zu kleiden. Die Rede ist von der Krawatte. Ihr jährlicher «Ehrentag» ist der 18. Oktober.
KATHARINA WITTWER Im Jahr 1990 eröffneten die kroatischen Geschäftsleute Marijan Bušic und Zlatko Penavic in Zagreb die Modefirma Potomac d.o.o. Das Unternehmen spezialisierte sich auf die Produktion und den Vertrieb qualitativ hochwertiger Krawatten sowie Schals für Herren und Damen. Die beiden Geschäftspartner erachteten die Erfindung der Krawatte als bedeutende kulturelle Leistung ihres Landes. 1997 gründeten sie deshalb den Verein «Academia Cravatica». Im Jahr 2003 initiierten die Vereinsmitglieder den «Dan Kravate» – den Tag der Krawatte. Am 18. Oktober liessen sie um die römische Arena in Pula (Istrien) eine riesige rote Krawatte binden: 450 Kilogramm schwer, 808 Meter lang, maximale Breite 25 Meter. Die Aktion sorgte landesweit für ein dermassen grosses Echo, dass die kroatische Regierung dieses Datum offiziell zum Ehrentag der Krawatte erklärte.
La Cravate – Stoff nach Kroatenart
Die Geschichte des länglichen Stoffstücks beginnt im Dreissigjährigen Krieg (1618 bis 1648). In dieser Zeit kämpften unter anderem auch kroatische Krieger für den französischen König Louis XIV. Zu ihrer Uniform gehörten leuchtende Seidenbänder, die sie um den Hals geknotet hatten. Der modebewusste und nicht minder eitle König war dem Stil des kroatischen Reiterregiments bald verfallen. Schon bald beschäftigte er einen Cravatier, der ihm dieses «Kleidungsstück» modisch anpasste und in die königliche Garderobe integrierte.
Ausgehend vom französischen Adel trat die Krawatte schnell ihren Siegeszug in ganz Europa an. Im 19. Jahrhundert erhoben die Briten die Krawatte zum Standard der Herrenbekleidung.
In Ermangelung eines Ausdrucks für das neue kleidsame Accessoire bezog man sich im Französischen und im Deutschen auf die Herkunft seiner ursprünglichen Träger: «à la cravate» oder «nach kroatischer Art» wurde zu Cravatte oder Krawatte. Der englische Ausdruck «tie» (binden) oder das japanische «nekutai» (um den Hals binden) sind im Vergleich dagegen simpler.
Kaum noch Krawattenträger im Frutigland
In einer nicht repräsentativen Umfrage bei Männern jeglichen Alters auf den Strassen im Frutigland zeigte sich, dass einige heutige Rentner früher regelmässig eine Krawatte trugen; zur Sonntagspredigt, an Hochzeiten und ab und zu bei Beerdigungen. Jüngere, Ledige schüttelten den Kopf und meinten, dass sie dies einzig im Militärdienst tun mussten (die Krawatte gehört dort zum sogenanten Tenue A). Den verflixten Krawattenknoten hätten sie nächtelang während dem Wacheschieben geübt.
Genau dieses Bild zementiert auch Patrick Seematter, der Inhaber der gleichnamigen Modehäuser mit Filialen in Adelboden und Frutigen. «Die Nachfrage nach langen Krawatten ist in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen. Fliegen haben dagegen aufgeholt.» Krawatten würden in der Regel zusammen mit einem Hemd gekauft – oft von den Ehefrauen. Bräutigame, Brautväter und seltener Hochzeitsgäste und Konfirmanden staffieren sich meistens komplett aus, das heisst inklusive Anzug und manchmal mit einem Gilet.
Der Mode unterworfen
Lange Krawatten, entweder unifarben passend zu einem mehrfarbigen Hemd, auch dezent gemustert oder klassisch schräg gestreift, sind bei Seematter aus Seide oder Mikrofaserstoffen erhältlich. Meistens kommen sie aus Italien.
Die Breite der Krawatte variiert je nach Mode und geht meist einher mit der Kragengrösse des Hemds: mal ist sie schmal, mal breit. Aktuell liegt die Breite irgendwo dazwischen. Krawattennadeln sieht man hierzulande kaum mehr – seit das schmale Ende der Krawatten auf der Innenseite in eine Schlaufe gesteckt werden kann, sind sie überflüssig geworden.
Auch in der Geschäftswelt ist der Dresscode mittlerweile lockerer. Bankangestellte mit Kundenkontakt tragen hierzulande kaum mehr Krawatte. Die Zugbegleiter von SBB und BLS dürfen bei angekündigten Sommertagen (ab 25° C) die «leichte» Uniform tragen, wozu keine Krawatte gehört. Bei vielen Musikgesellschaften ist dieses Accessoire aber nach wie vor Bestandteil der Uniform.