Landesverweisung wegen Sozialhilfebetrug
17.06.2025 JustizEin 25-jähriger Geflüchteter, der 2023 bei «Asyl Berner Oberland» Sozialhilfe erschlichen hatte, muss die Schweiz verlassen, falls die Vollzugsbehörde, der kantonale Migrationsdienst, keinen Hinderungsgrund sieht. Dies entschied am vergangenen Freitag das ...
Ein 25-jähriger Geflüchteter, der 2023 bei «Asyl Berner Oberland» Sozialhilfe erschlichen hatte, muss die Schweiz verlassen, falls die Vollzugsbehörde, der kantonale Migrationsdienst, keinen Hinderungsgrund sieht. Dies entschied am vergangenen Freitag das Regionalgericht Oberland.
Die Schweiz ist ein Sozialstaat, weil sie ein umfassendes System zur Absicherung sozialer Risiken wie Krankheit, Unfall, Alter, Invalidität und Arbeitslosigkeit aufgebaut hat. Wer widerrechtlich sozialstaatliche Leistungen erschleicht, muss mit einem Strafverfahren rechnen. Dieser Anklage musste sich ein Geflüchteter, der zwei Jahre lang im Tal lebte, vergangene Woche in Thun vor Gericht stellen.
Der junge Mann war Anfang März 2022 aus der Ukraine in die Schweiz geflohen, lebte anfänglich in einem Flüchtlingszentrum und erhielt, wie viele andere auch, den Schutzstatus S. Bei der vom Kanton beauftragen Organisation «Asyl Berner Oberland» stellte er Antrag auf finanzielle Unterstützung und unterschrieb ein Formular, das ihn verpflichtete, allfällige Veränderungen seiner Einkommens- oder Vermögensverhältnisse unaufgefordert sowie unverzüglich zu melden. Anfang 2023 fand der Geflüchtete dank der Vermittlung eines Landsmannes eine Arbeitsstelle und wechselte im Lauf des Jahres den Arbeitgeber. Ab Ende 2023 war er selbständig erwerbstätig. Trotz Erwerbseinkommen verzichtete er auf eine Meldung seiner Tätigkeit an die Behörde, bezog aber zusätzlich zu seinem Einkommen weiterhin Sozialhilfe. Durch tröpfchenweise eingereichte Bankbelege machte er sich beim Sozialdienst verdächtig.
Nach der Einvernahme durch die Polizei erhob die Staatsanwaltschaft Berner Oberland Ende 2024 Anklage wegen unrechtmässigem Bezug von Sozialhilfe. Sie warf dem 25-Jährigen vor, 2023 wissentlich und willentlich 12 638 Franken nicht gerechtfertigte Sozialhilfeleistungen bezogen zu haben. Als Strafe forderte sie eine bedingte Geldstrafe in der Höhe von 3200 Franken, eine unbedingte Busse von 800 Franken sowie eine Landesverweisung.
Angeklagte verwickelt sich in Widersprüche
Vor Gericht verwickelte sich der Beschuldigte in Widersprüche. So korrigierte er mehrfach seine Aussagen oder konnte sich nicht mehr an gewisse, ihm vorgetragene Fakten erinnern.
Erschwert wurde das Beweisverfahren durch eine Gerichtsdolmetscherin, die Mühe hatte, die Aussagen des Beschuldigten auf Deutsch zu übersetzen oder eigenständig nachfragte, ohne dass sie vom Gerichtspräsidenten darum gebeten worden war. Die amtliche Verteidigerin bezeichnete die Straftat als Bagatelldelikt. Ihr Mandant sei falsch informiert gewesen und habe nicht vorsätzlich gehandelt. Er habe irrtümlicherweise angenommen, dass Einkommen aus einer Nebenbeschäftigung nicht gemeldet werden müsse. Seine kriminelle Energie bezeichnete sie als gering.
Kein Bagatelldelikt
Die Anwältin plädierte auf Freispruch und gegen eine Landesverweisung.Der Gerichtspräsident sah es anders: Von einem Bagatelldelikt könne angesichts der Höhe des bezogenen Lohns nicht die Rede sei. 12 000 Franken seien nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung keine Nebenbeschäftigung. Ausserdem hätte der Beschuldigte die Informationspflicht kennen müssen, denn er habe die Verpflichtung mehrfach unterschrieben. Nichtwissen schütze ihn nicht vor einer Bestrafung. Erschwerend warf das Gericht dem jungen Mann vor, immer nur so viel zugegeben zu haben, wie ihm bewiesen worden war. Zudem habe er mit den Behörden nur sehr zögerlich kooperiert.
Obligatorische Landesverweisung
Das Regionalgericht verurteilte den 25-Jährigen zu einer bedingten Geldstrafe in der Höhe von 2100 Franken sowie dazu, die Untersuchungs- und Verfahrenskosten in der Höhe von rund 9000 Franken zu tragen. Kein Ermessen hatte das Gericht bei der Landesverweisung. Seit 2016 ist diese aufgrund der 2010 angenommenen Ausschaffungsinitiative obligatorisch anzuordnen, wenn ein Schuldspruch im Fall eines Vergehens oder eines Verbrechens erfolgt. Der Tatbestand des unberechtigten Bezugs von Sozialhilfe wird im Strafgesetzbuch explizit erwähnt.
Nun geht der Fall an die Vollzugsbehörde. Im Kanton Bern ist der Migrationsdienst (MIDI) des Amts für Migration und Personenstand die zuständige Vollzugsbehörde für die Landesverweisung von Asylbewerbern. Liegt kein Härtefall vor, dann wird der Geflüchtete ausgewiesen. Der Migrationsdienst setzt ihm Ausreisefristen und entscheidet über allfällige Aufschübe des Vollzugs. Gegen Entscheide des Migrationsdienstes kann bei der Sicherheitsdirektion des Kantons Bern Beschwerde eingereicht werden.
PETER SCHIBLI