Mehr Höhenfeuer-Mentalität, bitte!

  28.07.2023 Gesellschaft

Den 1. August feiern wir in der Regel grell und laut, doch immer mehr Gemeinden verzichten auf ein öffentliches Feuerwerk. Dadurch bietet sich eine Gelegenheit zum Innehalten –  und zum Auftauen eingefrorener Denkmuster, die eine seriöse Debatte verunmöglichen.

Julian Zahnd, Redaktion «Frutigländer»

Als Kind sehnte ich mir den Nationalfeiertag jeweils Wochen im Voraus herbei. Dieses Datum hatte bei mir mindestens denselben Stellenwert wie Weihnachten oder Geburtstag: Endlich konnten meine bescheidenen Ersparnisse sinnvoll investiert werden! Zusammen mit meinen älteren Geschwistern und Cousins deckte ich mich während Tagen mit der aktuellen Knallmode ein, und sobald der 1. August angebrochen war – meist also bereits morgens –, zogen wir los, um die Nachbarschaft an unserer Festlaune teilhaben zu lassen. Wir legten Knallteufel unter Fussmatten, befestigten Zündschnüre an Gartentoren, schmissen mit Rauchbomben um uns. Und wir brannten hunderte sogenannter «Frauenfürze» nieder, die alleine dafür da waren, Lärm zu machen. Ich erinnere mich an den Moment, als in der Nähe ein Hund aufgeschreckt zu bellen begann, der auf dem Balkon eines Nachbars ausgesperrt war. Der Besitzer eilte dem Tier zu Hilfe und bat uns, die Knallerei doch zu unterlassen. Ich fand damals Hunde ziemlich doof, und noch doofer Hundehalter, die uns vorschreiben wollten, was an diesem uns heiligen Tag zu tun und was zu unterlassen sei. Wir fühlten uns diskussionslos im Recht und liessen das unser Gegenüber auch spüren: «Es ist 1. August!», schrien wir, entzündeten ein ganzes «Frauenfurz»-Arsenal, warfen es über den Gartenzaun und liefen des Weges.

Ich bin weder stolz auf diese Episode noch schäme ich mich darob in Grund und Boden. Entscheidend scheint mir vielmehr, dass ich heute, 30 Jahre später, nicht mehr so handeln würde wie damals, selbst wenn ich noch immer Freude an der Böllerei verspürte (ich tue es nicht mehr wirklich). Ich würde meine Lust, am Bundesfeiertag Lärm zu machen, nicht mehr vorbehaltlos über die Interessen aller anderen stellen. Und ich würde keine Unbeteiligten (auch keine Hunde) mehr in meine Rachefeldzüge mit einschliessen, kurz: Meine Reaktion wäre wohl weniger explosiv, ich würde rücksichtsvoller handeln.

Die öffentliche Kritik an Knallkörpern wird immer lauter und die Argumente reichen längst über das Tierwohl hinaus. Auch die Feinstaubbelastung, der Abfall oder die zunehmende Waldbrandgefahr werden als Gründe ins Feld geführt, weshalb die Feuerwerkskultur passé sei. Derzeit läuft sogar eine Initiative, die lärmverursachende Feuerwerkskörper nur noch an grösseren Anlässen mit Sondergenehmigung gestatten will. Das Anliegen hat gute Chancen, vors Volk zu kommen: Bereits wurden über 90 000 Unterschriften gesammelt; nur noch 10 000 weitere sind bis im November nötig, damit die Initiative zustande kommt.

Interessant ist der Inhalt des Anliegens auch deshalb, weil die aktuellen Trends eher gegenläufig sind: Während Feuerwerk für den Privatgebrauch nach wie vor beliebt ist, verzichten immer mehr VeranstalterInnen grösserer Feiern darauf. In diesem Jahr gibt es keine anhaltende Trockenheit, die solche Attraktionen verunmöglicht. Es gibt jedoch immer mehr Gemeinden, die Feuerwerk als nicht mehr zeitgemäss einstufen und deshalb nach Alternativen suchen. In Olten beispielsweise hat das Gemeindeparlament 2019 gar den Klimanotstand ausgerufen, seither findet dort kein öffentliches Feuerwerk mehr statt. Der Blick ins Frutigland liefert ein diverses Bild. Aeschi und Adelboden veranstalten traditionelle Feiern mit Feuerwerk. In Frutigen steigt sowohl am 31. Juli als auch am 1. August ein Raketen-Bouquet in die Luft. Allerdings sind hier Private (Hotel Simplon sowie Frutigresort) und nicht die Gemeinde verantwortlich. Während Kandergrund und Reichenbach auf offizielle Feierlichkeiten verzichten, veranstaltet Krattigen wie gewohnt einen knallfreien 1.-August-Brunch mit musikalischer Unterhaltung. Auch die traditionelle Abendfeier auf der Kandersteger Bahnhofmatte kommt dieses Jahr ohne Feuerwerk aus.

Man darf von dieser Entwicklung halten, was man will und auch die Vor- sowie Nachteile eines Feuerwerksverbotes kritisch erörtern – solange die Diskussion nicht entgleist, weil sie denselben lauten und grellen Tonfall annimmt wie ihr Gegenstand. Was leider allzu oft passiert. Zwar begehen wir in der Schweiz bloss zwei Tage im Jahr offiziell laut und schrill. Doch während der restlichen 363 Tage des Jahres hat sich der Sound des Feuerwerks wie selbstverständlich in unsere Debattenkultur eingenistet. Als Inspirationsquelle für einen ergiebigen Meinungsaustausch viel besser geeignet wäre indes eine andere Tradition zum 1. August: das Höhenfeuer, das heuer wieder auf mehreren Frutigländer Anhöhen entzündet wird. Es bildet quasi den zurückhaltenden Gegenspieler des Feuerwerks, es ist beständig statt schnelllebig, bedächtig statt effekthascherisch, und es beruhigt, statt aufzuscheuchen. Das Höhenfeuer verfügt damit über Eigenschaften, die heutigen Diskussionen zu gesellschaftsrelevanten Themen leider oft abgehen.

Soeben fanden in Spanien Präsidentschaftswahlen statt. Kurz vor diesem Anlass kehrt die Bevölkerung jeweils kurz in sich und bereitet sich am «Jornada de reflexion» auf die Stimmabgabe vor. Möglicherweise trägt auch dieser Tag des Nachdenkens dazu bei, dass sich die politische Mitte in Spanien nach wie vor gegen die extremen Pole behaupten kann. Wir alle brauchen solche Inseln der Ruhe. In der Schweiz mangelt es nicht an offenen Fragen, die es verdienen, engagiert und ernsthaft diskutiert zu werden. Den Boden dazu bereiten wir in Momenten des Innehaltens – beispielsweise beim distanzierten Blick auf ein Höhenfeuer. Diese Momente ermöglichen uns eine neue Auslegeordnung, eine Positionierung jenseits des alltäglichen Getöses und damit eine Grundlage für besonnene Diskussionen. Vielleicht erfahren wir in solchen Momenten auch am ehesten, was unser Land ausmacht, worauf wir stolz sein können und woran wir noch arbeiten müssen. Und dass es nicht immer jene Themen sind, über die am lautesten gestritten wird.


In Berns Innenstadt gilt: «Fiire statt Füüre»

Um die Bevölkerung zu einem angemessenen Umgang mit Knallware zu bewegen, setzt die Stadt Bern auf ein partielles Verbot und auf Sensibilisierung: «Feuerwerk ist etwas Schönes. In den Gassen der Berner Innenstadt aber fehlt der Platz dazu, es ist zu gefährlich und ist deshalb seit dem Sommer 2021 verboten», schreiben die Behörden auf Plakaten und verknüpfen mit ihrer Botschaft auch einen Appell: «Hilf mit, Sorge zu tragen – speziell auch an den Feiertagen!»
In einem festgelegten Perimeter ist das Abbrennen von Feuerwerk untersagt. Ausserhalb dieses Bereichs mahnen die Behörden beim Abbrennen von Feuerwerk zu grosser Vorsicht. Feuerwerk gehöre nicht in Menschenmengen oder in die Nähe von Gebäuden und Autos.

JUZ


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