Minderheit sucht Mehrheit
25.10.2024 PolitikABSTIMMUNGEN Das Parlament verabschiedete vor gut einem Jahr zwei Änderungen im Mietrecht, welche die Position von HauseigentümerInnen stärken sollen. Erhalten die beiden Vorlagen an der Urne den Segen der MieterInnen?
JULIAN ZAHND
Auf den ersten ...
ABSTIMMUNGEN Das Parlament verabschiedete vor gut einem Jahr zwei Änderungen im Mietrecht, welche die Position von HauseigentümerInnen stärken sollen. Erhalten die beiden Vorlagen an der Urne den Segen der MieterInnen?
JULIAN ZAHND
Auf den ersten Blick ist es erstaunlich: Knapp 60 Prozent der Schweizer Bevölkerung lebten im Jahr 2022 gemäss Bundesamt für Statistik in Mietwohnungen. Trotzdem stimmt die Bevölkerung am 24. November über zwei Vorlagen ab, welche die Rechte von EigentümerInnen stärken sollen. Beim ersten Urnengeschäft geht es um strengere Regeln für die Untermiete, beim zweiten um die Lockerung der Kündigungsbedingungen bei Eigenbedarf (Details siehe Kasten).
Nicht allzu überraschend sind die geplanten Gesetzesänderungen dann, wenn man die Zusammensetzung im Parlament betrachtet. Beide Kammern sind bürgerlich dominiert, SVP, FDP und Teile der Mitte können mühelos Mehrheiten bilden. Und da bürgerliche PolitikerInnen traditionellerweise eher die Interessen der HauseigentümInnen vertreten, während sich die Linke für die MieterInnen einsetzt, hatten die beiden parlamentarischen Initiativen letztes Jahr verhältnismässig leichtes Spiel. Daran änderte auch die bundesrätliche Empfehlung nichts, die beiden Vorlagen deswegen abzulehnen, weil das geltende Recht bereits klar genug und die Änderungen überflüssig seien.
Tatsächlich handelt es sich bei den Änderungen um geringfügige Anpassungen, weshalb die BefürworterInnen vermutlich nicht mit Gegenwehr rechneten. Doch es kam anders: Der Mieterinnenund Mieterverband Schweiz hat das Referendum ergriffen und führt nun einen äusserst engagierten Abstimmungskampf.
«Missbrauchsbekämpfung» für die einen …
Weil das Parlament die beiden parlamentarischen Initiativen guthiess, muss nun auch die Landesregierung die Ja-Parole vertreten. An der Pressekonferenz liess Bunderat Guy Parmelin denn auch durchblicken, dass sich sein Effort im Abstimmungskampf in Grenzen halten wird. Auf die Frage von Journalisten, wie viele weitere Auftritte zum Thema er denn noch plane, meinte er augenzwingernd: «Zéro, je crois.»
Engagierter klingt es aufseiten der BefürworterInnen, etwa beim «Bund für mehr Wohnraum», der sich aus zahlreichen bürgerlichen PolitikerInnen zusammensetzt. Die beiden Gesetzesänderungen seien ein wirksames Mittel gegen die Wohnungsknappheit, weil sie erstens die Bedingungen für Investoren verbesserten und zweitens verhindern würden, dass Wohnraum durch Untermiete beispielsweise als Airbnb «zweckentfremdet» würden. Zudem, so argumentiert das Ja-Lager, würden die Änderungen zu mehr Rechtssicherheit führen, was letztlich EigentümerInnen wie MieterInnen zugute komme.
… «ein Frontalangriff auf die Rechte der MieterInnen» für die anderen
Der Mieterinnen- und Mieterverband sowie linke Parteien kritisieren die Gesetzesänderungen scharf. Sie seien nicht nur «unnötig», sondern auch «brandgefährlich», weil sie die Rechte der Mieter-Innen empfindlich schwächten, was zu mehr Kündigungen führen könnte. Das Referendumskomitee spricht von einer «Immobilien-Lobby», die eine «Salamitaktik» verfolge, um ihre Gewinne weiter zu maximieren. Konkret werde das Ziel verfolgt, Kündigungen auszusprechen, um nach dem MieterInnenwechsel die Zinsen zu erhöhen.
BürgerInnen beurteilen die beiden Vorlagen unterschiedlich
Die Debatte ist reich an Emotionen – und arm an Fakten. So konnte der Bundesrat an seiner Pressekonferenz nicht beziffern, wie oft der «dringende Eigenbedarf» in der Vergangenheit zu Kündigungen führte. Auch konnte er keine Angaben darüber machen, wie sich die Vorlagen auf die Mieten auswirken könnten oder ob die Gesetzesänderungen tatsächlich mehr Wohnraum schaffen würden.
Die grösste Unbekannte stellt letztlich aber der Abstimmungsausgang dar. Die Meinungsumfragen zeichnen bislang kein klares Bild. Anfang Oktober standen die Zeichen bei der Untermiete eher auf Ja, während der Eigenbedarf eher auf der Kippe stehen dürfte. In der Westund Südschweiz sowie in ländlichen Gebieten sind die Ja-Anteile tendenziell höher als in der Deutschschweiz und in den Städten.
Darum geht es bei den beiden Vorlagen
Mehr Kontrolle bei der Untervermietung
Mieter können ihre Wohnung an Drittpersonen weitervermieten, sofern die Vermieter zustimmen. Die Einwilligung kann nach heutigem Gesetz verweigert werden, wenn
• der Mieter dem Vermieter die Bedingungen der Untermiete nicht bekannt geben will;
• die Bedingungen der Untermiete im Vergleich zu denjenigen des Hauptmietvertrags missbräuchlich sind;
• dem Vermieter aus der Untermiete wesentliche Nachteile entstehen.
Missbräuchlich sind die Bedingungen beispielsweise dann, wenn sich die Mieter durch überteuerte Untermieten bereichern. Nachteile für den Vermieter können beispielsweise durch erhöhte Lärmemissionen oder erhöhte Abnutzung der Wohnung entstehen.
Das neue Gesetz baut auf dem alten auf, sieht aber mehrere Ergänzungen vor. Einerseits müssen alle Angaben zur Untermiete sowie die Zustimmung des Vermieters zwingend auf schriflichem Weg erfolgen. Andererseits sollen Vermieter die Untermiete nicht nur aus den drei oben genannten Gründen verbieten können, sondern auch, wenn die Mietdauer länger als zwei Jahre beträgt. In der Abstimmungsbroschüre wird zudem erwähnt, dass auch «andere Gründe» zu einem Verbot führen könnten. Konkrete Beispiele dazu gibt es jedoch nicht.
Verstossen MieterInnen gegen diese Auflagen, kann ihnen nach einer schriftlichen Mahnung gekündigt werden.
Mehr Möglichkeiten bei Eigenbedarf
WohnungsbesitzerInnen dürfen das Mietverhältnis nach heutigem Gesetz kündigen, wenn sie dringenden Eigenbedarf für sich oder nahe Verwandte anmelden. Das neue Gesetz enthält nun eine neue Formulierung: Eine Kündigung wäre dann möglich, wenn der Eigenbedarf bedeutend und aktuell ist. Für die Vermieter soll es dadurch einfacher werden, Eigenbedarf anzumelden.
MieterInnen können sich sowohl nach heutigem als auch nach neuem Gesetz gegen die Kündigung wehren und in ihrer Wohnung bleiben, sofern der Rechtsstreit nicht geklärt ist. Das Gleiche gilt während drei Jahren nach einem Verfahren, bei dem eine Einigung erzielt wurde oder die EigentümerInnen unterlegen sind. Zudem können Mieter in Härtefällen mit einer Mieterstreckung rechnen. Falls der Eigenbedarf der EigentümerInnen als gerechtfertigt beurteilt wird, entfällt dieser Kündigungsschutz jedoch und unter Umständen auch die Mieterstreckung. Nach neuer Gesetzgebung dürfte das häufiger der Fall sein.