«Mir geht es um Aufklärung und Information»
29.12.2023 KanderstegDer Spitze Stein ist in der Region vielen ein Begriff. «In Zürich ist dieses Thema sicher nicht so präsent», sagte sich eine Hochschulabsolventin – und verfasste eine Arbeit über das Rutschgebiet oberhalb Kanderstegs. Dessen Gefahrenpotenzial visualisierte ...
Der Spitze Stein ist in der Region vielen ein Begriff. «In Zürich ist dieses Thema sicher nicht so präsent», sagte sich eine Hochschulabsolventin – und verfasste eine Arbeit über das Rutschgebiet oberhalb Kanderstegs. Dessen Gefahrenpotenzial visualisierte Elena Kaeser in einer eindrückliche Simulation, die nun als Video vorliegt.
MARIA STEINMAYR
Elena Kaeser hat im Sommer ihren Bachelor in Knowledge Visualization an der Zürcher Hochschule der Künste abgeschlossen. In diesem Designstudiengang geht es darum, wissenschaftliche Informationen mit Hilfe von Bildern zu vermitteln. Diese Vorgabe hat Elena Kaeser am Beispiel des Spitzen Steins umgesetzt: Sie erstellte eine 3D-Visualisierung, in der man detailgetreu sieht, was bei einem grösseren Bergsturz passieren könnte. Im Interview erzählt Kaeser von ihrer Herangehensweise, von den diversen Abbruch-Szenarien, die ihr vorlagen, und was sie mit ihrer Arbeit erreichen möchte.
Elena Kaeser, Ihre 3D-Simulation ist sehr detailgetreu und man erkennt darin grosses Zerstörungspotenzial. Haben Sie keine Sorge, die Menschen und vor allem die BewohnerInnen Kanderstegs damit zu erschrecken?
Ich habe mir gut überlegt, wie ich die Auswirklungen auf das Dorf zeigen soll. Die Entscheidung, keine Menschen darin vorkommen zu lassen, war eine bewusste, damit man auch keine Schäden an Personen sieht. Da der Berg durchgehend überwacht wird, ist eine frühzeitige Information und im schlimmsten Fall eine Evakuierung möglich. Es sollte demnach keine Personenschäden geben. Im Falle eines grösseren Abbruchs können allerdings Häuser oder Eigentum betroffen sein, deshalb habe ich mich entschieden, diese Auswirkungen auch zu zeigen.
Trotzdem, die Simulation ist auf eine eher negative Weise sehr eindrücklich …
Es ist auch ein Stück weit das Ziel gewesen, Menschen wachzurütteln. Durch das Zeigen der möglichen Zerstörung im Dorf soll das Bewusstsein für Naturgefahren geschärft werden. Das Video ist grundsätzlich für die breite Schweizer Öffentlichkeit gedacht – das Zielpublikum ist also nicht die lokale Bevölkerung in Kandersteg, denn die ist ohnehin gut informiert.
Ziel war es also, die übrige Schweiz aufzuklären?
Genau, es geht mir eigentlich darum, die breite Bevölkerung anzusprechen. In Zürich ist dieses Thema sicher nicht so präsent. Ich wollte den Menschen zeigen: «Hey, ihr wohnt an einem sicheren Ort, aber es gibt Plätze in der Schweiz, an denen durchaus Gefahr besteht.»
Die im Video gezeigten Zerstörungen sind unter anderem so gross, weil Auffangdämme – so wie andere Schutzmassnahmen – in Ihrer Präsentation nicht berücksichtigt wurden. War dies beabsichtigt oder zu schwierig umzusetzen?
Die Verbreiterung des Bachbetts ist berücksichtigt. Das Lawinenforschungsinstitut (SLF) hat Simulationen mit unterschiedlicher Eintrittswahrscheinlichkeit zur Verfügung gestellt. Ich habe ein Szenario mit einer mittelhohen Eintrittswahrscheinlichkeit ausgewählt. Wie man sehen kann, hat dieses bereits recht starke Auswirkungen auf das Dorf. Das bedeutet allerdings nicht, dass alles so eintreten wird. Grundsätzlich ging es darum, das Thema Naturgefahren und die Auswirkungen auf ein Dorf aufzuzeigen.
Ich denke, das ist Ihnen gelungen. Haben Sie denn einen persönlichen Bezug zu dem Thema? Wie sind sie darauf aufmerksam geworden?
Ich komme ursprünglich aus dem Appenzell und bin selbst sehr oft in den Bergen unterwegs. Die alpinen Landschaften und Naturgefahren haben mich schon immer interessiert. In den Medien hört man immer öfter von Bergstürzen und anderen Ereignissen wie Waldbränden und Überschwemmungen. Da dieses Thema sehr relevant für mich ist, habe ich einen Kooperationspartner gesucht, der Naturgefahren erforscht. Dabei bin ich auf das Schnee- und Lawinenforschungsinstitut in Davos (SLF) aufmerksam geworden.
Bei uns werden die Bachelorarbeiten immer in Kooperation mit einem Partner aus der Wissenschaft durchführt, deshalb fragte ich das SLF an, ob sie ein Projekt haben, das ich mit wissenschaftlichen Illustrationen unterstützen könnte. Schliesslich hat das Institut den Spitzen Stein oberhalb von Kandersteg vorgeschlagen, und so ist unsere Zusammenarbeit entstanden.
War die Gemeinde Kandersteg in Ihre Arbeit involviert?
Nein, die wissenschaftlichen Infos erhielt ich alle vom SLF. Ich muss ehrlich sagen, dass ich bis jetzt noch keinen direkten Kontakt zur Gemeinde hatte und nicht weiss, ob sie dort mein Projekt überhaupt wahrgenommen haben.
Nützt Ihre Simulation bzw. Studie der Gemeinde Kandersteg?
Jetzt, nach meinem Bachelor, bin ich in der Designforschung tätig, und wir sind daran, das Projekt noch weiterzuführen. Vielleicht kann ich es abschliessend der Gemeinde zeigen.
Wie sieht denn diese Weiterführung aus?
In der Forschung geht es darum, das ganze Geschehen in eine virtuelle Realität (VR – virtual reality) umzusetzen. Damit kann man gewissermassen einen Blick in die Zukunft werfen und die noch nicht eingetroffene Katastrophe «miterleben». Das Ziel ist es, dies auch auf andere Naturgefahren auszudehnen, da man mit dieser Vermittlungsmethode mehr Aufmerksamkeit erzeugen und besser informieren kann.
Ich höre eine gewisse Dringlichkeit mitschwingen.
Für mich ist das definitiv ein wichtiges und aktuelles Thema. Bevor ich mit dieser Arbeit begann, habe ich eine Feldforschungswoche in Kandersteg verbracht. Damals waren wir auch am Oeschinensee unterwegs. Immer wieder kamen von oben Steine runter. Man hörte, wie sich das Gestein bewegte, und wir sahen das Bachbett, das ausgebaut wurde. Ich fand das sehr eindrücklich und möchte diese Erfahrungen gerne mit anderen teilen.
Man kann also sagen, dass es Ihnen primär um die Aufklärung geht?
Das ist richtig, es geht mir um Aufklärung und Information und nicht um eine Wertung. Meine Arbeit soll keine Anregung für eine Verhaltensänderung sein, sondern dient rein informativen Zwecken. Darum geht es auch in der Weiterführung. Das Ziel ist dabei nicht, jemandem das Video vorzuhalten und zu sagen: «Hey, Achtung, Klimawandel – du verhältst dich falsch!», sondern zu vermitteln, welche Auswirkungen der Klimawandel bereits hat und wie sich diese in Naturereignissen zeigen. Denn wann genau der Stein runterkommt, kann ich nun auch nicht sagen
Die Arbeit ist öffentlich zugänglich auf der Website https://elenakaeser.ch/bergdrama