Mitholz: Räumung rückt näher
04.11.2025 Kandergrund, Blausee, MitholzFast acht Jahrzehnte nach der verheerenden Explosion im ehemaligen Munitionslager Mitholz steht das Tal erneut im Zeichen grosser Veränderungen. Am Donnerstag, 30. Oktober, informierte das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) ...
Fast acht Jahrzehnte nach der verheerenden Explosion im ehemaligen Munitionslager Mitholz steht das Tal erneut im Zeichen grosser Veränderungen. Am Donnerstag, 30. Oktober, informierte das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung in Kandergrund über den Stand der Vorbereitungen zur Räumung. Ab Mitte 2026 soll das offizielle Plangenehmigungsverfahren starten – ein Meilenstein in einem Jahrhundertprojekt, das Sicherheit, Umwelt und Zukunft der Region nachhaltig prägen wird.
JACQUELINE RÜESCH
Im Dezember 1947 erschütterte eine Explosion das Munitionslager Mitholz. Rund 7000 Tonnen Munition lagerten damals in den Stollenanlagen; ein grosser Teil detonierte, der Rest wurde über den gesamten Talkessel verstreut. Bereits 1948 und 1949 räumten Pioniere mit einfachsten Mitteln grosse Mengen Blindgänger. Trotz enormem Einsatz blieben Munitionsreste im Boden – teils bis zu einem Meter tief. Jahrzehntelang galten die Gefahren als gering, bis neue Analysen des VBS 2018 zeigten, dass erhebliche Risiken bestehen bleiben.
Seither wurde das Projekt «Räumung Mitholz» systematisch vorangetrieben. Schutzmassnahmen, geologische Untersuchungen und Probebohrungen wurden umgesetzt. 2022 genehmigte der Bundesrat das Sachplan-Objektblatt Mitholz als rechtliche Grundlage für die weiteren Planungen.
Räumungsvorbereitungen im Talboden
Im Sommer 2025 konnten die temporäre Verfüllung der Hohlräume im verschütteten Bahnstollen sowie die Steinschlagschutzmassnahmen mit Netzen und Dämmen abgeschlossen werden. Damit ist das Risiko im Moment so weit wie möglich gesenkt. Der Stollen bleibt bis zur eigentlichen Räumung verschlossen. Parallel dazu haben Spezialisten des Kommandos KAMIR erste Flächenräumungen im Talboden vorgenommen. Rund 150 000 m2 Wiesen wurden bislang nach Munitionsrückständen sondiert, rund 30 000 m2 – etwa vier Fussballfelder – vollständig geräumt. Im stark belasteten Bereich «Im Bode» beim Schulhaus Mitholz fanden die Experten rund 50 Granaten auf einer Fläche in der Grösse eines Fussballfelds – in Tiefen bis 30 cm. Insgesamt wurden bis Ende September 69 Munitionsobjekte mit Kalibern über 20 Millimeter sowie rund 750 Kilogramm Schrottmaterial geborgen.
Präzise Räumziele und moderne Technik
Die Räumung folgt heute einem differenzierten Konzept. Je nach Nutzung – Weide, Wald, Baustelle oder künftige Baufläche – gelten unterschiedliche Räumziele. Für Weideflächen etwa werden Blindgänger bis 30 cm Tiefe geräumt, für künftige Bauwerke hingegen bis unter das Geländeniveau von 1947.
So soll sichergestellt werden, dass das Risiko für Bevölkerung, Landwirtschaft und Durchreisende bestmöglich reduziert wird. Dennoch bleibt ein gewisses Restrisiko bestehen. Bei künftigen Erdund Tiefbauarbeiten in Mitholz soll deshalb auch nach Abschluss der Räumung das Kommando KAMIR vorsorglich beigezogen werden.
Schutzbauten für Bahn und Strasse
Ein zentraler Bestandteil des Projekts ist der Bau von Schutzanlagen für die Verkehrswege. Während der mehrjährigen Räumarbeiten müssen Bahn und Nationalstrasse sicher passierbar bleiben. Geplant sind eine Schutzgalerie für die Lötschberg-Bergstrecke und ein neuer Schutztunnel, der später als Ortsumfahrung dienen soll. Die Planung und Umsetzung erfolgen in enger Abstimmung mit der BLS und dem Bundesamt für Strassen (ASTRA).
Da viele der betroffenen Flächen munitionsbelastet sind, kommen gehärtete oder ferngesteuerte Baumaschinen zum Einsatz. Baustellen werden mit Splitterschutzsystemen gesichert, und sämtliche Aushub- und Materialtransporte unterliegen strengen Sicherheitsprotokollen.
Naturgefahren und Materialbewirtschaftung
Ein weiteres grosses Thema ist der Umgang mit Umwelt und Naturgefahren. Das Projektgebiet ist von Steinschlag-, Lawinen- und Murgangrisiken geprägt. Um Verfrachtungen von Schadstoffen zu verhindern, werden hohe Sicherheitsstandards angewendet. Wasserbaumassnahmen wie grössere Geschiebesammler und ökologische Aufwertungen der Bäche sollen den Schutz zusätzlich verbessern.
Die Materialbewirtschaftung stellt eine besondere Herausforderung dar: Der Abtrag enthält teils Munition, Schutt und Schadstoffe. In einer speziell gesicherten Anlage werden diese Stoffe getrennt, bevor das gereinigte Material für die Wiederherstellung des Geländes wiederverwendet wird.
Start des Plangenehmigungsverfahrens 2026
Nach Jahren der Vorbereitung steht nun die nächste entscheidende Phase bevor. Ab Mitte 2026 soll das Plangenehmigungsverfahren in Etappen starten. In der ersten Etappe wird das Gesamtprojekt mit dem Umweltverträglichkeitsbericht öffentlich aufgelegt; gleichzeitig wird die Genehmigung für die Schutzbauten der Bahn beantragt.
In einer späteren Etappe folgen die Genehmigungen für die Strassenbauten und die eigentliche Räumung. Ziel ist es, die Arbeiten so zu koordinieren, dass sie mit dem geplanten Vollausbau des Lötschberg-Basistunnels abgestimmt sind.
Langfristig soll Mitholz wieder bewohnbar werden. Das VBS arbeitet derzeit an einem räumlichen Leitbild, das die Wiederbesiedlung nach Abschluss der Räumung vorbereiten soll. Noch ist offen, wie der Ort dereinst aussehen wird – doch eines ist klar: Die Sicherheit steht an erster Stelle. Mit dem Beginn des Plangenehmigungsverfahrens wird das Projekt Mitholz von der Planungsphase in die konkrete Umsetzung übergehen. Was vor fast achtzig Jahren als Tragödie begann, könnte damit zu einem Beispiel für sorgfältige Sanierung, technische Präzision und nachhaltige Wiederherstellung werden.



