Motiviert, aber überwiegend ohne Job
27.01.2023 GesellschaftARBEITSMARKT Mehrere 10 000 Menschen aus der Ukraine sind seit Ausbruch des dortigen Krieges in die Schweiz geflüchtet. Aktuelle Zahlen des Staatssekretariats für Migration (SEM) zeigen nun: Ihre Integration in den Schweizer Arbeitsmarkt ist trotz guter Voraussetzungen kein ...
ARBEITSMARKT Mehrere 10 000 Menschen aus der Ukraine sind seit Ausbruch des dortigen Krieges in die Schweiz geflüchtet. Aktuelle Zahlen des Staatssekretariats für Migration (SEM) zeigen nun: Ihre Integration in den Schweizer Arbeitsmarkt ist trotz guter Voraussetzungen kein Selbstläufer.
MARK POLLMEIER
Ende August 2022 veröffentlichte das Staatssekretariat für Migration SEM eine Medienmitteilung. Rund sechs Wochen nach Ausbruch des Ukrainekriegs hätten bereits fast 11 Prozent der Personen mit Schutzstatus S eine Arbeitsstelle gefunden. Die Meldung gab Anlass zum Optimismus. Zum Vergleich: Die Erwerbstätigenquote bei anerkannten Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen liegt mit 6 Prozent nur etwa halb so hoch.
Viele sind gut ausgebildet
Ein halbes Jahr später hat sich die hoffnungsfrohe Nachricht relativiert. Im Auftrag des SEM hat die Berner Fachhochschule (BFH) im letzten Herbst 8000 Schutzsuchende im Alter von 16 bis 59 Jahren angeschrieben. Sie sollten rund 30 Fragen zu vier Themenblöcken beantworten: Aktuelle berufliche Situation, Sprachkennnisse und Ausbildung, Mobilität und Zukunftsperspektiven sowie persönliche und gesundheitliche Situation. Die Antworten von rund 2000 Befragten wurden von der BFH ausgewertet. Ziel der Studie war, das Arbeitsmarktpotenzial der Zielgruppe einzuschätzen – und das ist, zumindest theoretisch, gross.
• Laut eigener Einschätzung können rund 40 Prozent der Schutzsuchenden auf Englisch «das meiste verstehen und sich gut mündlich ausdrücken». Dabei verfügen die unter 40-Jährigen über deutlich bessere Sprachkenntnisse als die Älteren.
• Die Schutzsuchenden sind gut ausgebildet. 94,5 Prozent gaben an, über eine nachobligatorische Ausbildung zu verfügen, 70 Prozent haben einen tertiären Abschluss, also teilweise eine Bildung auf Hochschulniveau.
• Die am häufigsten vertretenen Berufsfelder sind «Wirtschaft, Verwaltung und Recht» und «Ingenieurwesen, verarbeitendes Gewerbe und Bau», also Kenntnisse und Fähigkeiten, die zum ausgetrockneten Schweizer Arbeitsmarkt durchaus passen würden.
Mehr Unterstützung gewünscht
Doch offenbar schlagen sich diese eigentlich guten Voraussetzungen noch nicht in der Beschäftigungsstatistik nieder.
• Mitte Januar lag die Erwerbstätigenquote von Personen mit Schutzstatus S gemäss SEM bei lediglich 14,5 Prozent. Gegenüber den Zahlen vom letzten August ist dies eine eher geringe Steigerung.
• 36 Prozent der Befragten gaben an, derzeit auf Stellensuche zu sein, weitere 36 Prozent zeigten sich an einer Arbeit interessiert.
• 27 Prozent nahmen an einem Beschäftigungsprogramm oder einer Ausbildung teil (bei diesen Fragen waren Mehrfachnennungen möglich).
Die Zahlen zeigen, dass der Zugang zum Arbeitsmarkt auch für vergleichsweise gut ausgebildete Schutzsuchende wie jene aus der Ukraine schwierig ist. So wünschen sich 60 Prozent der Befragten mehr Hilfe bei der Arbeitssuche, 40 Prozent finden, die Anerkennung ihrer beruflichen Qualifikationen sei schwierig. In diesen Bereichen bestehen bereits Angebote der Kantone, die vom Bund unterstützt werden. Diese würden weitergeführt und schrittweise verbessert, so das SEM.
Auch beim Erlernen einer der Schweizer Landessprachen und bei der Kinderbetreuung wünschen sich viele der Befragten Unterstützung.
Durchschnittslohn: 4477 Franken
Die Umfrage der BFH erlaubt weitere Einblicke in die berufliche Situation der Schutzsuchenden. Fast alle Erwerbstätigen sind angestellt, lediglich 2 Prozent haben sich in der Schweiz selbstständig gemacht. Im untersuchten Zeitraum betrug der durchschnittliche Beschäftigungsgrad 70 Prozent. Aber: Die meisten derjenigen, die aktuell eine Teilzeitstelle haben, würden nach eigenen Angaben gerne mehr arbeiten.
Der Monatslohn der Schutzsuchenden mit Status S belief sich im Durchschnitt auf 4477 Franken (1/12 eines Brutto-Jahressalärs bei einem Beschäftigungsgrad von 100 Prozent). 14 Prozent von ihnen verdienten weniger als 1000 Franken monatlich. Bei 24 Prozent der Erwerbstätigen lag der Bruttolohn zwischen 3000 und 4000 Franken, bei 17 Prozent zwischen 4000 und 5000 Franken. Rund 12 Prozent erzielten ein Monatseinkommen über 5000 Franken.