Musikalische Höhe- und Tiefpunkte aus 125 Jahren Vereinsgeschichte
09.09.2025 Reichenbach, KientalDie Musikgesellschaft Reichenbach kann auf 125 Jahre wechselhafte Vereinsgeschichte zurückblicken. Der Rückblick des ältesten Musikanten und der Ausblick des amtierenden Präsidenten.
Im Gründungsdokument der Musikgesellschaft Reichenbach (MGR) ...
Die Musikgesellschaft Reichenbach kann auf 125 Jahre wechselhafte Vereinsgeschichte zurückblicken. Der Rückblick des ältesten Musikanten und der Ausblick des amtierenden Präsidenten.
Im Gründungsdokument der Musikgesellschaft Reichenbach (MGR) steht, man sei durch die «stete Vermehrung des Verkehrs (Bahn, Strassen, Tourismus) veranlasst, im Dorfe Reichenbach eine Musikgesellschaft zu gründen, um die musikalischen Bestrebungen zu heben.» Es war dann am 17. August 1900 soweit, als sich die Initianten im alten Schulhaus Reichenbach zur Vereinsgründung trafen. Die Begeisterung war gross und die junge Gesellschaft belebte das Vereinsleben im Dorf und der Umgebung, bis der Erste Weltkrieg ausbrach.
Noch während der Kriegsjahre erfolgte die Fusion mit der Musikgesellschaft Faltschen. Dadurch wuchs der Verein auf 33 Aktiv- und eine Vielzahl an Ehren- und Passivmitgliedern an. Wegen des Zweiten Weltkriegs gab es erneut einen Unterbruch in der Tätigkeit. Jedoch schon lange vor Kriegsende, im Frühjahr 1942, probten die Musikanten wieder im alten Schulhaus in Reichenbach.
Feuerwehralarm während Konzert
Hans Bettschen ist seit 1954 bei der MGR und heute deren ältester Musikant. «Aufgetreten sind wir jeweils an Platzkonzerten in Mülenen, Reudlen, Aris, Kiental, Scharnachtal und Faltschen», sagt der Reichenbacher. Sein Vater habe ihm die Anekdote erzählt, als die Musikanten bereits vor einem Platzkonzert in Mülenen tief ins Glas geschaut hätten: «Man kann es Glück nennen, dass während des Konzerts plötzlich die Feuerwehrsirene losging, denn die Vorstellung war alles andere als gut.» Mehr als die Hälfte der MGR-Mitglieder waren auch in der Feuerwehr, und die begaben sich umgehend zum Einsatzort. Somit war die musikalische Darbietung an diesem Abend frühzeitig zu Ende. «Jahrelang spielten wir auch im Restaurant Bahnhof Reichenbach zu Konzert und Theater auf», erinnert sich Bettschen und erwähnt einen weiteren, einst festen Termin im Jahresprogramm der MGR: «Das Sommerfest mit dem Frühschoppenkonzert, Tanzshows sowie Marschmusikdemonstrationen von bis zu zehn Musikkorps war immer ein Erfolg.»
Im Jura neuen Auftrieb gewonnen
Mit der Idee, im Anschluss an die jährliche Hauptversammlung Käsekuchen zu servieren, entstand eine jahrzehntelang gepflegte Tradition. Sie konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Interesse am Musizieren schwand.
Es wuchs die Befürchtung, dass sich der Verein auflösen würde. Schlussendlich erhielten die Reichenbacher am kantonalen Musikfest 1963 in St. Imier neuen Schwung. Auch die finanzielle Unterstützung aus der Bevölkerung ermöglichte es ihnen, neue Instrumente anzuschaffen. Vermehrt kehrten sie in der Folge von Musikfesten mit Auszeichnungen zurück. Bei einem ausgedehnten Ausflug nach Reichenbach bei Lahr im Schwarzwald präsentierten sie mit Stolz ihre neue Vereinsfahne. Im Mai 1966 war die MGR, die neu auch Frauen aufgenommen hatte, Organisator des Bezirksmusiktags in Reichenbach.
Das «Thuner Tagblatt» lobte «die vorzügliche Organisation der Reichenbacher Musikanten, ebenso die Verpflegung in den Hotels Bahnhof und Kreuz.»
Tiefpunkt im Tessin
Höhepunkt des 75-Jahr-Jubiläums war der Auftritt des Trio Eugster im Rahmen des Anlasses der Musikgesellschaft. Ebenfalls ging dabei die Neuuniformierung der MGR über die Bühne. Kaum zwei Jahrzehnte später sei dann am Eidgenössischen Musikfest 1991 in Lugano «alles in die Hose gegangen», meint Hans Bettschen rückblickend: «Uns wurde erst bei der Ankunft eine andere Unterkunft als vorgesehen zugewiesen. Wir dachten, dass die zuständigen Helfer vor Ort dies unserem Mann, der etwas später die Uniformen brachte, mitteilen würde.» Dem sei nicht so gewesen und so hatten sie keine andere Wahl, als in ihrer Privatkleidung aufzutreten. «Für das Einspielen blieb uns keine Zeit. Natürlich war dann unsere Darbietung schlecht.» Der zweite Tag sei nicht besser gewesen, erinnert sich der 87-Jährige: «Am nächsten Tag brachte uns eine Betreuerin des Veranstalters anstatt an den Beginn der Vorführungsstrecke an deren Ende. Als wir das festgestellt hatten, rannten wir zurück.»
Skeptischer Blick in die Zukunft
Mit der Gründung einer Jugendmusik setzte der Verein erfolgreich auf den Nachwuchs. Aus ihren Kreisen gelang dem einen oder anderen talentierten Musikanten die Aufnahme in die Militärmusik. Aber das neue Jahrtausend kam für die MGR einem Wechselbad gleich. Einerseits ging die grosse 100-Jahre Jubiläumsfeier mit der Präsentation des allerersten MGR-Tonträgers über die Bühne. Andererseits schwächten häufige Dirigentenwechsel, Austritte, krankheitsbedingte Absenzen und vereinzelte Todesfälle von Mitgliedern den Verein.
Heute spielt die MGR in der 4. Klasse Harmonie und tritt meist nur noch an kleinen Anlässen befreundeter Musikgesellschaften oder, wie demnächst, am Eidgenössischen Dank-, Buss-, und Bettag in der Kirche Reichenbach auf.
Im Anschluss an den Gottesdienst geben sie noch ein kleines Konzert im Kirchgemeindehaus. Laut des aktuellen MGR-Präsidenten Philipp Aellig ist kein 125-Jahr-Jubiläum geplant. «Es widerspiegelt ein wenig unsere momentane Situation des Stillstands. Wir haben immer wieder nach Neumitgliedern gesucht, aber leider ohne Erfolg.» Es ist sein Wunsch, dass ein Weg gefunden werden kann, dass weiterhin mit Herzblut und Freude Blasmusik in Reichenbach gespielt wird.
HANS HEIMANN
Hörproben der Jubiläums-CD von 2000 unter: www. mgreichenbach.ch/unsere-musik/