«Nach zehn Jahren sollte jede/r den Job wechseln»
03.08.2022 PorträtSimon Hari hat seine Stelle bei der Gemeinde Reichenbach gekündigt. Kurz vor seinem Abschied erklärte er, weshalb die Anforderungen an einen Gemeindeschreiber eigentlich unerfüllbar sind und erläuterte sein zwiespältiges Verhältnis zur Routine.
...Simon Hari hat seine Stelle bei der Gemeinde Reichenbach gekündigt. Kurz vor seinem Abschied erklärte er, weshalb die Anforderungen an einen Gemeindeschreiber eigentlich unerfüllbar sind und erläuterte sein zwiespältiges Verhältnis zur Routine.
JULIAN ZAHND
Simon Hari kann gut mit Pflanzen. Sein Büro ist mittlerweile grosszügig begrünt, bei seinem Stellenantritt Ende 2013 war das noch anders. Er habe die Gewächse damals von der Bauverwaltung übernommen und sie erst einmal aufgepäppelt, erklärt der Kandersteger. Nun scheint es ihnen an nichts mehr zu mangeln.
Die kommunale Schaltzentrale
In den letzten knapp neun Jahren kümmerte sich Hari nicht bloss um ein paar Zimmerpflanzen, sondern um eine ganze Gemeinde. Er war gewissermassen das Hirn Reichenbachs, denn bei einem Gemeindeschreiber laufen alle Fäden zusammen: Er ist Ansprechperson für BürgerInnen, Ämter und Medien. Er muss die politischen Geschäfte überblicken, ist bei allen Gemeinderatssitzungen und Gemeindeversammlungen mit dabei. Und er ist Personalchef der Verwaltung.
Nach einem Stellenbeschrieb für sein Amt gefragt, fehlen Hari zunächst die Worte. Stattdessen greift er hinter sich nach einer an die Wand gepinnten Zeichnung. «Das ist eine eierlegende Wollmilchsau.» Ungefähr wie dieses Wesen fühlt sich Hari zeitweise. «Ein Gemeindeschreiber muss politisch sattelfest sein, beim Kommunizieren den richtigen Ton treffen, beraten und zuhören können. Er muss richtungsweisende Entscheide fällen und einen starken Rücken haben. Gefragt ist eine Kombination aus Fähigkeiten, die es eigentlich gar nicht gibt.» Doch zumindest gibt es Menschen, die sich an der Herausforderung versuchen – und dabei wie Hari auch Freude empfinden.
Nicht ohne Stolz erwähnt er drei Projekte, die in seine Amtszeit fallen. So sei die Umgestaltung des Friedhofs für ihn ein Meilenstein gewesen. Präsentierte sich die Anlage lange Zeit in einem nicht sehr gepflegten Zustand, so sei der Friedhof inzwischen zu einem Ort der Einkehr geworden. Auch beim Werkhof habe man die Situation mit verhältnismässig wenig Geld erheblich verbessern können. Und schliesslich nennt er die Parkplatzbewirtschaftung. «Wenn man sieht, wie lange andere Gemeinden für die Umsetzung benötigen, waren wir doch verhältnismässig schnell», sagt Hari, während sich seine Miene kurz aufhellt.
Die heutige Politik ist ihm zu ängstlich
Effizienz und Pragmatismus waren Haris ständige Begleiter während der Amtsführung. Die Verwaltung verfügt heute über ein gut sortiertes Archiv, die Digitalisierung vereinfacht etliches, beispielsweise die Sitzungsvorbereitung. Klare Strukturen und Zuständigkeiten hält Hari für ebenso wichtig wie einheitliche Abläufe, die für Rechtsgleichheit sorgen. «Wenn man mehrere Anliegen desselben Typs behandelt, sollte man auch stets zum selben Resultat kommen.» Gerade beim Baurecht sei das enorm wichtig.
Die Bürokratisierung sei jedoch längst nicht überall wünschenswert. Die Gesetze würden immer engmaschiger, dadurch werde vieles unnötig kompliziert. Die politischen Amtsträger – auch auf lokaler Ebene – sind gemäss Hari an diesem Prozess nicht unbeteiligt. Man agiere teilweise ängstlich, verstecke sich zunehmend hinter allgemein gehaltenen Regelwerken und schere damit vieles über einen Kamm. «Ein bisschen mehr Bauchgefühl wäre manchmal nötig», findet er. Denn manche Fälle würden eine spezifische Betrachtung und kreative Lösungen erfordern – «zu denen man ruhig auch stehen darf».
Ein Verfechter der Kreativpause
In Reichenbach erledigt man die politischen Geschäfte am liebsten ohne viel Aufhebens, Debatten werden möglichst abseits der medialen Öffentlichkeit geführt. In diesem Umfeld fühlte sich der eher zurückhaltende Hari, der das faktenbasierte Argument stets höher gewichtete als das laute, ziemlich wohl. «Man kann hier meist miteinander reden. Ich schätze das sehr.» Dennoch geriet er manchmal auch zwischen die Fronten. Baupolizeiliche Verfahren, mit denen sich die Gemeinde seit einiger Zeit herumschlägt, seien beispielsweise sehr belastend. «Es geht da teilweise um existenzielle Dinge.»
Diese Strapazen mögen ihren Teil zu Haris Kündigung beigetragen haben. Matchentscheidend waren sie vermutlich aber nicht, hatte er doch nie vor, bis zur Pensionierung auf diesem Posten zu verharren. Routine beschleunige zwar die Arbeit, berge aber gleichzeitig die Gefahr, dass die Dinge nicht mehr mit der nötigen Motivation und Sorgfalt angegangen würden. «Nach zehn Jahren sollte daher jede / r den Job wechseln», ist Hari denn auch überzeugt, das sorge für Dynamik. Er selbst gönnte sich immer wieder Kreativpausen. Nach dem Lehrabschluss auf der Gemeinde Kandersteg begab er sich mehrmals auf längere Reisen, und auch während seiner Zeit in Reichenbach nahm er sich letztes Jahr eine mehrmonatige Auszeit.
Es ist daher nicht erstaunlich, dass Simon Hari noch keinen neuen Arbeitsvertrag unterschrieben hat. Bis im Herbst wird er für die Gemeinde Reichenbach noch einzelne Projekte wie etwa die regionale Bauverwaltung auf Mandatsbasis weiterführen. Danach will er vor allem «den Kopf lüften», um die nächsten maximal zehn Jahre in Angriff zu nehmen.