Die verschiedenen Zündholzfabriken brachten zwar Arbeit und Verdienst ins Tal, aber auch negative Entwicklungen wie die Kinderarbeit. Das beschäftige die Politik, aber auch die lokale Geistlichkeit. Nach langen Diskussionen wurden schliesslich Erfolge erzielt.
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Die verschiedenen Zündholzfabriken brachten zwar Arbeit und Verdienst ins Tal, aber auch negative Entwicklungen wie die Kinderarbeit. Das beschäftige die Politik, aber auch die lokale Geistlichkeit. Nach langen Diskussionen wurden schliesslich Erfolge erzielt.
Karl Stettler war von 1873 bis 1889 Pfarrer in Frutigen; sein Kollege Franz Haller betreute von 1867 bis 1881 die Gemeinde Kandergrund (zu der damals auch Kandersteg gehörte).
Die beiden kannten natürlich die Nöte der Bevölkerung, namentlich die weitverbreitete Armut. Sie hatten Einblick in die schlimmen Arbeitsbedingungen in den zahlreichen Zündholzfabriken: In Frutigen gab es um die Mitte der 1870er-Jahre zwölf, in Kandergrund vier solche Fabriken. In allen arbeiteten Kinder, und zwar nicht wenige: Gemäss überlieferten Zahlen machten Kinder unter 16 Jahren damals fast die Hälfte der Arbeiterschaft aus.
«Verbreitetes Unwesen»
Die beiden Pfarrherren empfanden diese Fabrikarbeit von Kindern als grosses Unrecht. Sie richteten im März 1875 einen Brief an den Regierungsrat. Ihnen war zwar bewusst, dass ein eidgenössisches Fabrikgesetz in Arbeit war, von dem sie hofften, es werde die Kinderarbeit abschaffen. Aber sie mochten nicht so lange warten und wollten versuchen, «der zum Theil fast schutzlosen Lage namentlich der Fabrikkinder nach Kräften abzuhelfen». Sie fragten den Regierungsrat an, ob nicht bereits die bestehenden Gesetze es erlauben würden, dem «verbreiteten Unwesen» abzuhelfen.
Sie beanstandeten im Besonderen, «dass schulpflichtige Kinder oft morgens schon vor Schulanfang und nach der Schule ununterbrochen bis 10 Uhr nachts, oft genug bis 11 Uhr, leider mit Wissen und Zulassung der Eltern, in den Zündholzfabriken zurückbehalten werden und zwar selbst 7 u. 8 Jährige – ja dass auch noch jüngere noch nicht schulpflichtige bis zu 12 Stunden in den Fabriken arbeiten.» Diese Missstände dauerten seit Langem an und nähmen noch zu, «da hiesige Behörden solchen oft schreienden Übelständen meist gleichmüthig zusehen.» Die konkreten Arbeitsbedingungen sprachen die Pfarrer nicht einmal an; sie waren himmelschreiend: stickige Luft, düstere und enge Fabrikräume, krankmachende Phosphordämpfe.
Auch Kinder wurden von Nekrose befallen; wenige Jahre vorher musste ein noch nicht neunjähriges Mädchen deswegen operiert werden.
Herzloses Desinteresse
Dieses Kinderelend schrieben die Pfarrer nicht nur der Verdienstlosigkeit zu, sondern «oft leider ebenso sehr Trägheit der Eltern und herzloser Intressirtheit der Fabrikanten [, die] sich die Hände reichen, um die Kinder auszunutzen und sich zum Brotkorb zu machen.» Der Regierungsrat bedankte sich bei den Pfarrern für die Eingabe und liess kurz darauf die Fabriken inspizieren. Leider sickerte der Kontrollbesuch schon durch, bevor er stattfand, und die Fabrikanten konnten sich dementsprechend vorbereiten.
Trotz allem: Nach intensiven politischen Kämpfen trat das erste eidgenössische Fabrikgesetz 1878 in Kraft. Nebst anderen Verbesserungen enthielt es auch ein Verbot der Fabrikarbeit für Kinder unter 14 Jahren.
HANS EGLI
Mehr zur Kinderarbeit in den Zündhölzchenfabriken ist zu erfahren an einem Vortrag im Zündhölzlimuseum am Samstag, 6. September, um 15 Uhr.