«Radio BeO wird immer ein Radio bleiben»
15.09.2023 GesellschaftMEDIEN Seit dem 1. Juli hat der Mitbegründer und langjährige Geschäftsleiter von Radio BeO, Martin Muerner, eine neue Rolle. Im Interview spricht der «Leiter Public Affairs» über seinen Bezug zum Frutigland und die Bedeutung des regionalen ...
MEDIEN Seit dem 1. Juli hat der Mitbegründer und langjährige Geschäftsleiter von Radio BeO, Martin Muerner, eine neue Rolle. Im Interview spricht der «Leiter Public Affairs» über seinen Bezug zum Frutigland und die Bedeutung des regionalen Rundfunks.
«Frutigländer:» Herr Muerner, Sie haben eine besondere Beziehung zum Tal?
Muerner: Mit dem Frutigland verbinden mich viele wunderbare Erinnerungen. Meine Eltern wuchsen in dieser schönen Gegend auf: meine Mutter auf dem Tellenfeld in Frutigen, mein Vater in Kien bei Reichenbach. Unsere Wurzeln sind im Frutigland. Ich verbrachte den grössten Teil meiner Schulferien bei beiden Grosseltern und lernte so zum Beispiel die Tellenburg kennen oder half als Jugendlicher bei der Sägerei Zurbrügg aus. In Kien gefiel mir vor allem die «Kanderglungge», wo ich als Kind stundenlang im Wasser spielte. Auch wenn ich in Thun aufgewachsen bin, war und bleibt das Tal meine zweite Heimat.
Unterscheidet sich eine Frutigländerin kulturell von einem Haslitaler oder einer Interlaknerin?
Berge prägen Kulturen. So sehe ich in allen Regionen des Berner Oberlandes eine ähnliche Kultur: die der Verbundenheit mit der Natur. Gerade die wunderschönen Berge leben in ganz anderen Zeitdimensionen: Sie sind schon seit Millionen von Jahren da und werden auch da sein, wenn wir schon lange fort sind. Ich hatte das Glück, mit dem berühmten Geiger Yehudi Menuhin zu sprechen. Er liebte das Berner Oberland und vor allem die Berge. Er sagte: «Wenn man auf die Berge steigt, ist man dem Himmel näher.»
Besuchen Sie die Region noch heute?
Ja, auf jeden Fall – wenn auch weniger als in meiner Jugendzeit, als ich mich wochenlang im Frutigland aufgehalten habe. Die heutigen Besuche sind eher spontan und kürzer. Aber auch heute noch spüre ich jedes Mal, wenn ich aus dem Spiezwilertunnel ins Frutigland fahre, dass ich mich in eine andere Welt begebe. Hie und da besuche ich auch Dölf Ogi und sein geliebtes Gasterntal. Ich habe dort im Berghotel Steinbock bei Christian Künzi viele wunderschöne Abende erleben dürfen. Übrigens: Kandersteg muss auf dieser Welt ein ganz besonderer Ort sein. Welche kleine Gemeinde kann von sich behaupten, zwei Bundesräte zu beheimaten?
Wie informierte man sich in Ihrer Jugend?
Es gab grundsätzlich drei Informationsquellen: Das damalige Radio Beromünster, die Tageszeitungen und den Fernseher. Wobei das Radio bei uns daheim die wichtigste tägliche Informationsquelle war. So erfuhren wir zum Beispiel vom Mord an J. F. Kennedy. Obschon ich damals erst sechs Jahre alt war, spürte ich an den Reaktionen der Erwachsenen, dass etwas ganz Schlimmes passiert war. Im Radio waren vor allem die 12.30-Uhr-Nachrichten bei uns äusserst wichtig. Still sassen wir um den Mittagstisch und lauschten den Meldungen.
Was bedeutete Ihnen das Radio damals?
Schallplatten waren teuer, und so hörte ich meine Lieblingsmusik im Radio. Diese bestand zum Beispiel aus den Hits der Beatles, der Rolling Stones und ganz vieler anderer Stars. Weil aber das damalige Schweizer Radio Beromünster diese Art von Musik fast nie spielte, hörte ich meine Musik auf Radio Luxemburg oder anderen ausländischen Sendern. Was mich schon damals am Medium Radio faszinierte, war die Möglichkeit, dass man mit einem einzigen Programm ganz viele Menschen erreichen konnte. Ich ahnte schon als kleiner Junge, dass mich das Radio ein Leben lang begleiten würde.
Welche Rolle spielte Radio vor 50 Jahren in der Gesellschaft? Und welche spielt es heute in einer Welt mit viel mehr Angeboten?
Der grosse Aufstieg des Mediums Radio vollzog sich während des zweiten Weltkriegs. Wie konnte man sonst möglichst aktuell erfahren, was wo passierte? Fernsehen gab es noch nicht und Zeitungen konnten nicht topaktuell sein. Deshalb war Radio die beste Möglichkeit, aktuelle Informationen zu erhalten. In dieser Zeit war ja gerade die BBC das entscheidende Medium für alle Menschen in Europa, die sich über das Kriegsgeschehen informieren wollten.
Ich bin überzeugt, dass das Radio auch in der heutigen Zeit eine wichtige Rolle spielt – besonders im Informationsbereich. Radio ist schnell, Radio ist für alle. Zudem gilt, was die Wissenschaft schon lange herausgefunden hat: Der Mensch hört, bevor er sieht. Hören und Sprechen sind nach wie vor die wichtigsten Kommunikationsmittel. Man schaue sich nur mal die SRF-Tagesschau an und bemerke, wie viel in dieser Sendung – einem Bildmedium – geredet wird.
Heute gibt es Radio und Fernsehen vom SRF, aber auch Lokalzeitungen wie den «Frutigländer». Weshalb braucht es noch ein Radio BeO?
Wir haben beim Start von Radio BeO im Jahr 1987 unser Programm als medialen Dorfplatz des Berner Oberlandes bezeichnet. Dies gilt heute immer noch. Ein Dorfplatz ist regional verankert; dort wird geredet, diskutiert, informiert und musiziert. Ein Dorfplatz verbindet Menschen und in unserer Region Talschaften. Ein Dorfplatz schafft menschliche Nähe und Vertrauen. Dies braucht es gerade in der heutigen Zeit sehr.
Natürlich haben auch die erwähnten Zeitungen einen medialen Dorfplatz. Deshalb braucht es ja auch einen «Frutigländer», der sehr regional und gut verankert ist. Aber die Stärke einer Zeitung ist die Vertiefung von Themen und die Begleitung der Leserschaft durch Bilder. Die Stärke von Radio BeO ist die zeitgleiche Ausstrahlung und die Begleitung durch Redaktion und Moderation. Beide Mediengattungen ergänzen sich.
Erfüllt Radio BeO HörerInnen-Bedürfnisse, die vom nationalen Rundfunk und der Presse nicht erfüllt werden können?
Auf jeden Fall. Deshalb hören die Menschen ja Radio BeO. Unser Erfolg beruht auf der Fokussierung auf die Region. Wir produzieren einen aktuellen täglichen «Service public régional». Diese Aufgabe ist auch in unserer Konzession vorgegeben. Nationale Medien haben eine andere Aufgabe, sie bearbeiten nationale Themen. Der Unterschied ist klar gegeben. Radio BeO informiert über die Gemeindeversammlung in Kandergrund, die nationalen Medien informieren über die Entscheide im Bundeshaus.
Sie haben über 38 Jahre in der privaten Regionalradioszene gearbeitet, am Mikrofon und als Geschäftsleiter. Hat es Sie nie gereizt, für die SRG zu arbeiten?
Nein, obschon ich angefragt worden bin. Ich hatte ein gutes persönliches Verhältnis zum ehemaligen SRG-Generaldirektor Armin Walpen. Er stammt wie ich aus einer Bergregion. Das verbindet. Aber ich habe mich nach dem Sprichwort ausgerichtet: «Lieber ein grosser Fisch in einem kleinen Teich als ein Fischlein in einem grossen See». Ich wusste, dass ich bei Radio BeO viel mehr mitgestalten konnte als in einem grossen Unternehmen, wie es die SRG ist.
Der Bundesrat plant die Abschaltung von UKW. Sind die OberländerInnen bereit für DAB+ und Streaming-Radio?
Ich gehe davon aus, dass die meisten unserer Hörerinnen und Hörer unser Programm mittlerweile via DAB+ empfangen. Die Bedeutung von DAB+ ist in den vergangenen Jahren massiv gestiegen. Wir konnten damit das Verbreitungsgebiet stark vergrössern, was gerade für den Tourismus sehr wichtig ist. So werden zum Beispiel die Werbespots der Oberländer Bahnen auch im Grossraum Bern, im Seeland, im Emmental und im Freiburgerland gehört.
Die Frage steht auch fünf Jahre nach der «No Billag»-Abstimmung immer noch im Raum: Ist die SRG zu gross?
Als Privatradiomann und als langjähriger Vizepräsident des Verbandes Schweizer Privatradios (VSP) ist für mich klar, dass es in der Schweiz eine SRG braucht. Ich habe mich deshalb damals auch gegen die «No Billag»-Initiative eingesetzt; sie hätte dem Medienplatz Schweiz sehr geschadet.
Es ist aber auch klar, dass die SRG zu viele Sachen macht, die schon von den Privaten angeboten werden. Unser Verband hat bereits vor Jahren ein Konzept ausgearbeitet, wie wir die SRG im Bereich Radio sehen und welche Programme sie noch produzieren sollte. Bundesrat Albert Rösti hat bekanntlich den Auftrag erteilt, den Service der SRG neu zu definieren, den die SRG erfüllen soll. Ich halte dies für ein gutes Vorgehen. Gleichzeitig ist für mich klar, dass gewisse Aufgaben im Radiobereich von der SRG zu den Privaten wechseln sollten und damit auch die Verteilung der Medienabgabe anzupassen ist.
Die Mediennutzung übers Internet schreitet schneller voran als prognostiziert. Wie sieht die diesbezügliche Strategie von Radio BeO aus?
Das Internet hat Vor- und Nachteile. Wir können fast alles jederzeit und überall anschauen und lesen, die Informationsmenge ist gigantisch. Deshalb braucht es auch bei Radio BeO eine Redaktion, die vor allem die regionalen Themenbereiche verifiziert, einordnet und dann auf unserer Website zur Verfügung stellt. Dies und die Möglichkeit der zeitversetzten Nutzung helfen mit, die neuen Gewohnheiten der Hörerinnen und Hörer zu berücksichtigen. Aber wir sind kein Internetmedium. Radio BeO wird immer ein Radio bleiben.
Das Internet und alle digitalen Verbreitungen haben aber eben auch Nachteile. Alles, was digital ist, wird fast immer international, weil wir nicht wissen, wo die Internetströme durchlaufen. Daraus resultiert auch eine Anfälligkeit für Hacking. Aktuell haben die Hacks massiv zugenommen, und sensible Daten werden so öffentlich. Ich staune übrigens seit Jahren, wie leichtsinnig man wichtige Daten irgendwo ablegt oder relevante Infrastrukturen dem Internet ausliefert.
So gesehen bin ich froh, dass die Wasserversorgung meiner Wohngemeinde noch nicht in eine Cloud ausgelagert worden ist und dass jedes Mal, wenn ich den Wasserhahn aufdrehe, auch wirklich Wasser fliesst.
Wie sähe aus Ihrer Sicht eine faire staatliche Mitfinanzierung von Radio und TV aus?
Zuerst sollte es einen neuen Verteilschlüssel der Abgaben zwischen der SRG und den Privaten geben; der Anteil der Privaten muss erhöht werden. Dann müsste man zweitens bei der Verteilung unter den privaten Veranstaltern diejenigen berücksichtigen, die einen «Service public régional» erbringen. Und bei diesen Veranstaltern drittens berücksichtigen, dass ein Radio in einem Berggebiet weniger nationale Werbung generieren kann und durch die Topografie Mehraufwände hat. Ich hoffe, dass dieses Vorgehen in der laufenden politischen Diskussion zum Zuge kommt.
Wie wird sich das mediale Informationsverhalten in den nächsten fünf bis zehn Jahren verändern?
Niemand weiss, wie die Welt in zehn Jahren aussieht. Wer hätte noch vor zehn Jahren gedacht, dass das Computerprogramm ChatGPT eigenständige Texte schreibt? Ich bin aber überzeugt, dass ein paar menschliche Grundsätze auch in zehn Jahren noch vorhanden sind – Grundsätze, die Jahrhunderte überlebt haben und tief im menschlichen Sein verankert sind.
So werden sich Menschen nach wie vor für andere Menschen interessieren. Zudem werden sich Menschen informieren, was in ihrer nächsten Umgebung, also in ihrer Region, passiert. Menschen werden weiterhin gerne Musik hören. Und vor allem: Menschen werden auch in der Zukunft von Gefühlen geleitet und nicht von Computerprogrammen oder irgendwelchen künstlichen Algorithmen. Die hochgelobte digitale Welt mag in vielen Bereichen eine Hilfe sein. Menschlichkeit kann sie aber niemals ersetzen. Deshalb wird bei Radio BeO niemals ein Computer moderieren, sondern immer engagierte Menschen.
INTERVIEW: PETER SCHIBLI
Neue Funktion
Am 1. Juli 2023 hat Martin Muerner seine Tätigkeit als Geschäftsleiter von Radio BeO an Adrian Durtschi und Raymond Häsler übergeben. Muerner, der zu den Mitbegründern des Oberländer Regionalradios zählt, war 38 Jahre lang als Sendeleiter, Redaktionsleiter, Programmleiter, Produzent und ab 2017 als Geschäftsleiter tätig. Auch in Zukunft bleibt er Radio BeO treu und zwar als «Leiter Public Affairs». In seiner neuen Funktion wird er sich aktuell insbesondere um die Neuvergabe der Lokalradiokonzession kümmern.
PS