Relikt oder Notwendigkeit?
09.09.2025 PolitikDie Regierungskonferenz der Gebirgskantone hat sich am 5. September in Bern klar ablehnend gegen die Vorlage zur Abschaffung des Eigenmietwerts gestellt, über die das Volk am 28. September 2025 abstimmen wird.
In Anbetracht eines durch diese Abstimmung eventuell ...
Die Regierungskonferenz der Gebirgskantone hat sich am 5. September in Bern klar ablehnend gegen die Vorlage zur Abschaffung des Eigenmietwerts gestellt, über die das Volk am 28. September 2025 abstimmen wird.
In Anbetracht eines durch diese Abstimmung eventuell bevorstehenden Systemwechsels sind aber Parteien und Fraktionen oft gespalten und die Bruchlinien der argumentativen Verwerfungen verlaufen entlang sehr unterschiedlicher Begründungsmuster.
Eigenmietwert: Worum geht es?
Der Eigenmietwert steht seit Jahrzehnten politisch unter Beschuss, hat bisher aber jeden Angriff überstanden. Im Jahr 2017 hat das Parlament einen neuen Anlauf genommen, den Eigenmietwert abzuschaffen.
Greift der Eigenmietwert in ein Grundrecht ein?
Die Eigenmietwertsteuer erscheint vielen BesitzerInnen von selbstbewohntem Wohneigentum ungerecht, denn besteuert wird ein Einkommen, das gar nie erzielt wurde. Der Eigenmietwert basiert auf der Annahme, welche Einnahmen theoretisch erzielt werden könnten, wenn die Immobilie vermietet oder verpachtet würde. Dies ist aber nicht der Fall, und insofern wird das Wohnen in den eigenen vier Wänden besteuert. Im Gegenzug können Immobilienbesitzende aber auch Zinsen und Unterhaltskosten für ihre Immobilie steuerlich abziehen. Der Ursprung des Eigenmietwerts in der Schweiz geht bis ins Jahr 1915 zurück, als er erstmals als einmalige Kriegssteuer erhoben wurde. Dann wurde er erneut ab 1934, und zwar nur auf dem Wege des Notrechts, erhoben.
Bei der Einführung des Eigenmietwerts war die Grundidee aber nicht, Immobilienbesitzende zu «schröpfen», sondern in damals schweren wirtschaftlichen Zeiten dem Staat Geld zuzuführen. Dies ist eine der zweifellos legitimen Grundideen von Besteuerung überhaupt. Ob man Eigentum aber überhaupt besteuern sollte, es wurde ja bereits aus steuerbarem Einkommen oder durch grundsätzlich ebenfalls steuerbare Erbschaft oder Schenkung erworben, ist in der Tat eine Grundsatzfrage des Schweizer Steuersystems. Und es existieren darüber sehr kontroverse Meinungen.
In Kürze: Befürworter und Gegner
Gegner der jetzigen Vorlage bringen unter anderem ins Feld, die Nutzung der eigenen «vier Wände» sei ein «Naturaleinkommen». Alternativ könne man es ja auch marktüblich vermieten. Auch würde eine Abschaffung des Eigenmietwerts Mieter gegenüber Eigentümern benachteiligen, da sie ja ebenfalls für die Nutzung ihrer Wohnung bezahlen müssten. Eines der stärksten Argumente der Gegner der jetzigen Vorlage sind die von der Steuerverwaltung bei dem jetzigen Zinsniveau errechneten Steuerausfälle in Höhe von rund 1,8 Milliarden Schweizer Franken pro Jahr. Dem steht jedoch die öffentlich geäusserte Vermutung entgegen, dass die «ersparten» Steuern den Liegenschaftsbesitzern damit als «freies Geld» zur Verfügung stehen würden und damit die Wirtschaft erheblich ankurbeln (Philip Bregy auf Radio SRF vom 1. Sept. 2025). Befürworter der jetzigen Vorlage bringen in einer Übersicht mehrere Argumente ins Feld: Zunächst dasjenige, dass die geplante Abschaffung des Eigenmietwerts als Besteuerungs-Grundlage vor allem einen Anreiz geben wird, die bisherige, im internationalen Vergleich eher hohe Verschuldung der Privathaushalte zu senken. Es wird zudem vermutet, dass mit der anstehenden oder bereits erfolgten Neubewertung der Liegenschaften auch eine Erhöhung der Eigenmietwerte und damit eine Erhöhung der jährlichen Steuern verbunden wäre. Darunter würden vor allem Geringverdiener und Rentner mit Wohneigentum leiden.
Grundsätzlich sei der Eigenmietwert, so eine verbreitete Meinung, eine «unfaire Steuer», so Ständerat Werner Salzmann. Zweifel bestehen also bei den Befürwortern der Abschaffung des Eigenmietwerts insbesondere wegen der Frage, wieso die Nutzung von Eigentum, das ja immer aus bereits versteuertem Einkommen erworben wurde, nochmals eigens besteuert wird.
Etwas, das man nutzt, weil man es «zu eigen hat», so könnte eine vertiefte Argumentation lauten, ist ein mit dem Recht an Eigentum (Schweizer Verfassung) zutiefst verbundene Rechtsvorstellung – während sich das Ziel von «Besteuerung» durch den Staat fast immer auf beruflich oder gewerblich erzieltes Einkommen richtet. Ausnahmen davon sind in der Schweiz aber zum Beispiel die Vermögenssteuern.
Was sieht die aktuelle Vorlage vor?
Mehr als sieben Jahre hat es nun aber mittlerweile gedauert, bis sich Nationalund Ständerat im Dezember 2024 auf die Vorlage einigen konnten, die jetzt zur Abstimmung steht und deren Grundzüge wir hier skizzieren: Die Besteuerung des Eigenmietwerts soll auf Erst- und Zweitliegenschaften abgeschafft werden. Unterhaltskosten auf selbstgenutzten Liegenschaften können weder auf Bundes- noch auf Kantonsebene abgezogen werden. Diejenigen auf vermieteten Liegenschaften bleiben aber weiterhin abzugsfähig.
Beim Bund können die Kosten der Denkmalpflege weiterhin abgezogen werden, die Kosten für Energiesparmassnahmen und Rückbau sind jedoch nicht mehr abzugsfähig. Die Kantone können diese Abzüge weiterhin zulassen, wobei die Kosten für Rückbau und Denkmalpflege zeitlich unbegrenzt, Kosten für Energiesparmassnahmen längstens bis 2050 abgezogen werden können. Dies ist aber eine Kann-Bestimmung, kein «Muss». Private Schuldzinsen dürfen nur noch im Umfang der Quote des unbeweglichen Vermögens – exklusiv selbstgenutztes Wohneigentum – zum Gesamtvermögen abgezogen werden, eine sogenannte quotal-restriktive Methode. Das bedeutet: Wer keine vermieteten Immobilien besitzt, kann auch keine Schuldzinsen mehr abziehen.
Eine Ausnahme gilt für Ersterwerber einer ausschliesslich selbstbewohnten Liegenschaft: Sie können zehn Jahre lang einen beschränkten Schuldzinsabzug geltend machen. Für Ehegatten sind es im ersten Jahr bis 10 000 Franken, für übrige Steuerpflichtige bis 5000 Franken. Dieser Betrag sinkt jedes Jahr um 1000 Franken, für Ehegatten, beziehungsweise 500 Franken für übrige Steuerpflichtige.
Ist die neue Objektsteuer für die Bergkantone umsetzbar?
Besonders für Bergkantone mit vielen Ferienwohnungen ist die Abschaffung des Eigenmietwerts problematisch, da sie dadurch erhebliche Steuereinnahmen verlieren. Darum sollen die Kantone eine sogenannte Objektsteuer auf Zweitwohnungen einführen dürfen. Dafür ist jedoch eben jene Verfassungsänderung nötig, über die das Volk am 28. September 2025 abstimmen wird. Scheitert diese Vorlage an der Urne, kann auch der Eigenmietwert nicht abgeschafft werden, weil beide Vorlagen miteinander verknüpft sind. Zudem könnte gegen die Eigenmietwert-Abschaffung das Referendum ergriffen werden. Das letzte Wort in dieser Sache hat also in jedem Fall das Schweizer Stimmvolk.
Was sagen die Bergkantone?
Die mit der Abschaffung des Eigenmietwerts zusammenhängende Einführung einer Objektsteuer auf Zweitwohnungen stösst in den am meisten betroffenen Gebieten auf explizite Ablehnung. Die Regierungskonferenz der Gebirgskantone sprach in einer Medienkonferenz am 5. September von einer «unausgegorenen Scheinlösung». Ihr Fazit: Die Vorlage des Bundes sei
• «finanzpolitisch unverantwortlich»
• eine überdurchschnittliche Belastung für die Berg- und Tourismuskantone
• «unausgegoren» und schaffe falsche Anreize.
Mit der Sondersteuer für Zweitwohnungen würden sich zahlreiche neue Rechtsund Abgrenzungsfragen stellen. Dies sei unverantwortlich und unfair, kritisieren die Gebirgskantone. Auch sei der abstimmungstechnische und zum Teil auch der administrative Aufwand noch gar nicht vollumfänglich abzuschätzen.
Weiter führe die Abschaffung des Eigenmietwerts zu volkswirtschaftlichen Schäden, etwa durch Schwarzarbeit, wie besonders Nationalrat Christophe Darbellay ausführte. Kurz: Die Einführung einer Zweitwohnungssteuer sei «keine befriedigende Lösung für die finanziellen Auswirkungen eines Systemwechsels».
Was sagt der Bund?
Der Bund hat von Seiten der Eidgenössischen Steuerverwaltung im Wesentlichen mit recht detaillierten Verfahrenshinweisen und einer Abschätzung der steuerlichen Auswirkungen der Annahme der Beschlussvorlage vom 28. September geantwortet (siehe «Aktualisierte Schätzung zu den Aufkommenswirkungen des Bundesgesetzes über den Systemwechsel bei der Wohneigentumsbesteuerung, Umsetzung der Pa.Iv. 17.400 auf www.estv.admin.ch).
Der Bundesrat unterstützt die Abstimmungsvorlage aus verschiedenen Blickwinkeln. Offensichtlich ist aber auch, dass einerseits bei Annahme der Vorlage ein in den Konsequenzen noch nicht ganz klarer Vorschlag umgesetzt werden muss. Die Chance besteht jedoch, dass es – nach Jahrzehnten der jetzigen Wohneigentumsbesteuerung – zu einem Systemwechsel kommt. Und es ist auch offensichtlich, dass es bei Ablehnung der zur Abstimmung stehenden Vorlage auf lange Sicht vermutlich an dieser Stelle keinen solchen Systemwechsel im Schweizer Steuersystem geben wird. Nun bleibt am 28. September die Frage: Was sagt das Schweizer Stimmvolk?
MARTIN NATTERER