RICHTIG ODER FALSCH? Das gläserne Gerücht
19.08.2022 AllerleiEs ist eine verbreitete Vorstellung: Durch einen ungünstigen Zufall scheint die Sonne im richtigen Moment auf eine Scherbe am Waldboden. Das vom Glas gebündelte Licht fällt auf trockenes Laub oder dürre Nadeln, es beginnt zu qualmen – und Minuten später steht das Unterholz in Flammen. Kann so etwas wirklich passieren?
MARK POLLMEIER
Im Jahr 1974 kam der Film «Die lustige Welt der Tiere» in die Kinos und lief seitdem immer mal wieder im Fernsehen. Einige Szenen dieser südafrikanischen Produktion sind legendär, zum Beispiel jene, in der die Tiere der Savanne sich an den vergorenen Früchten berauschen und dann betrunken umhertorkeln.
Nicht immer ist die Welt der Tiere nur lustig. Beklemmend ist etwa die Szene, in der die Sonne genau im richtigen Winkel auf einen Tautropfen scheint, der an einem Grashalm hängt. Darunter haben Webervögel in unendlicher Arbeit eine riesige Nestsiedlung gebaut. Wie von einem Brennglas wird die Sonne durch den Wassertropfen gebündelt und wirft einen hellen Lichtfleck auf die Brutstätte. Nach einer Weile beginnt die beschienene Stelle zu qualmen, bis das trockene Gras schliesslich Feuer fängt. Nach und nach ergreift das Feuer das gesamte Gemeinschaftsnest, und während die Altvögel sich retten können, verbrennt der Nachwuchs qualvoll in den Flammen.
Der inszenierte Brand
Auch wenn es so scheint: «Die Lustige Welt der Tiere» ist kein Dokumentarfilm. Viele der gezeigten Begebenheiten sind inszeniert und bewusst herbeigeführt, vermutlich auch die Stelle mit dem brennenden Nest der Webervögel. Es ist jedenfalls schwer vorstellbar, dass ein Kamerateam mit den damaligen Möglichkeiten genau im richtigen Moment auf einem Baum sitzt und das Ausbrechen des Feuers filmen konnte.
Trotzdem hat die Szene Generationen von Fernsehzuschauern beeinflusst – und das Gerücht genährt, in der Natur könnten Feuer quasi zufällig ausbrechen, durch einen Wassertropfen oder eine herumliegende Glasscherbe. Bis heute rufen Feuerwehr und Behörden im Sommer dazu auf, im Wald kein Glas herumliegen zu lassen. Aber gibt es das überhaupt: Einen Waldbrand, ausgelöst durch Tau oder Abfall? Vielleicht ist auf diese Weise tatsächlich schon mal ein Feuer ausgebrochen. Das Szenario ist jedoch derart unwahrscheinlich, dass man die zuvor gestellte Frage guten Gewissens mit Nein beantworten kann. Beginnen wir mit der Szene aus dem Naturfilm. Ein einzelner Wassertropfen ist so klein, dass er es kaum schaffen würde, die nötige Energie zum Entfachen eines Feuers zu bündeln. Hinzu kommt, dass sich ein Tropfen durch die Sonneneinstrahlung rasch verändert, etwa durch die Verdunstung. Dadurch aber verändert sich auch die Optik – der Brennglaseffekt entfällt.
Aber was ist mit Scherben? Diverse Institutionen haben Versuche mit Glas durchgeführt. Selbst bei «optimalen» Bedingungen – Sonneneinstrahlung zur Mittagszeit, helles Glas, passender Winkel, staubtrockenes Material – liess sich auf diese Weise kein Feuer entzünden. Mit dem dicken Boden einer Ketchupflasche konnten zwar kurzzeitig Temperaturen von um die 300 Grad erzeugt werden. Doch das führte lediglich zu einer leichten Verfärbung des Brennguts.
Etwas effektiver ist ein wassergefülltes Glas. Mit einem runden Glaskolben aus dem Labor lassen sich so Temperaturen von rund 500 Grad erzeugen. Doch auch bei diesen Werten begannen die trockenen Fichtennadeln darunter nicht zu brennen. Selbst unter einer Lupe, die es im richtigen Winkel auf Temperaturen von 800 bis 1000 Grad bringt, entstand nur sehr kurzzeitig eine kleine Flamme, aber kein dauerhaft brennendes Feuer.
Die PET-Flasche als Brennglas
Flaschen und Glasscherben scheiden als Brandursache also sehr wahrscheinlich aus. Es gibt allerdings eine Konstellation, die tatsächlich ein Feuer auslösen kann: Eine durchsichtige PET-Flasche mit glatten Wänden, die komplett mit Wasser gefüllt ist, wirkt wie ein grosses Brennglas. Postiert man sie im passenden Winkel und Abstand über trockenem Gras, lässt sich damit eine Flamme erzeugen. Allerdings muss man dafür im passenden Augenblick sacht in die Glut pusten – was in der Natur wohl kaum vorkommen dürfte.
Dennoch: Dass der Wind einmal im richtigen Moment bläst, ist nicht völlig ausgeschlossen. Somit sind gefüllte PET-Flaschen als Brandauslöser zumindest etwas wahrscheinlicher als Glasgefässe oder Scherben.
Fast immer ist der Mensch schuld
So oder so: Die meisten Waldbrände haben menschliche Ursachen. Entweder handelt es sich dabei um bewusste Brandstiftung oder um Unachtsamkeit oder Fahrlässigkeit. Laut Bundesamt für Umwelt (BAFU) sind nur 14 Prozent aller Waldbrände natürlichen Ursprungs (Blitzeinschlag); 57 Prozent gehen nachweislich auf menschliche Aktivitäten zurück (Zigaretten, Grillfeuer, heisse Maschinen usw.) In rund 30 Prozent der Fälle ist die Bandursache unklar. Das BAFU geht aber davon aus, dass auch diese Waldfeuer überwiegend auf den Menschen zurückzuführen sind.
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