SCHLUSSPUNKT – Egoistisch bis zum Gipfel

  18.08.2023 Kolumne

EGOISTISCH BIS ZUM GIPFEL

Letzte Woche war am K2, dem 8611 m hohen Berg zwischen Pakistan und China, einiges los: Dutzende Gipfelstürmer waren unterwegs, darunter eine Norwegerin, die sich an dem Rekord versuchte, alle 8000er in neuer Bestzeit zu besteigen – mit Sauerstoff und Helikoptertransport, wohlgemerkt. Gleichzeitig verunglückte ein Träger auf dem Weg zum Gipfel und verstarb, weil die Bergsteiger ohne zu helfen an ihm vorbeigingen. Weshalb dieser aufkeimende Egoismus? Ist etwa der Sauerstoffmangel dafür verantwortlich, dass das Gehirn versagt? Wächst unser Ego in zunehmender Höhe? Wohl kaum.
Im Juni dieses Jahres verbrachte ich einen Monat in Pakistan, unweit des K2. Allerdings hatten wir bei unserer Team-Expedition einen anderen Gipfel im Visier. Wir sind alle gut befreundet und haben einige schöne Bergerlebnisse hinter uns. Doch nicht dieses Mal: Knapp 500 Meter unterhalb des Gipfels änderten sich die Bedingungen: zu viel Schnee und Eis. Wir kehrten um. Doch der fitteste der Gruppe ging weiter mit dem Kommentar: «Ich hole mir den Gipfel!» Daraufhin entbrannte die Diskussion, was zu tun sei: Ihn allein zu lassen, wäre fahrlässig – weiterzugehen ebenso. Wir teilten uns also auf. Schlussendlich erreichte niemand von uns die Spitze des Berges, aber alle kamen sicher im Tal an – meiner Meinung nach ein Erfolg. Solche Erfahrungen verbinden, doch durch die Erlebnisse am Berg hat das gegenseitige Vertrauen auch Risse bekommen.
Zurück zum K2: Ein Mensch stirbt, weil 50 andere über ihn hinwegsteigen. Egoismus vor Empathie. Ist ein Menschenleben so wenig wert? Spielt es eine Rolle, dass das Opfer ein pakistanischer Träger war und kein europäisches Teammitglied? Sind nicht alle Menschen gleich und wir grundsätzlich dazu verpflichtet, zu helfen? In der Schweiz ist das Unterlassen einer Hilfeleistung strafbar – gelten diese Regeln ab einer gewissen Höhe nicht mehr?
Letztendlich ist dies ein trauriges Indiz dafür, dass es mit der Menschheit bergab geht. Hoffentlich ist es aber auch ein Weckruf, aufmerksamer zu sein, hinzusehen und aufeinander Acht zu geben – egal, ob auf 8000 m ü. M. oder im eigenen Dorf.

MARIA STEINMAYR

M.STEINMAYR@FRUTIGLAENDER.CH


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