KROATISCHES CORDON BLEU
In meinen Ferien wohnte ich ein paar Tage in Zagreb. Dort gibt es eine Standseilbahn, die ein bisschen aussieht wie die Niesenbahn. Jene in Zagreb ist allerdings blau gestrichen – und deutlich kürzer. Auf einer Länge von 66 Metern ...
KROATISCHES CORDON BLEU
In meinen Ferien wohnte ich ein paar Tage in Zagreb. Dort gibt es eine Standseilbahn, die ein bisschen aussieht wie die Niesenbahn. Jene in Zagreb ist allerdings blau gestrichen – und deutlich kürzer. Auf einer Länge von 66 Metern überwindet sie sage und schreibe 30 Höhenmeter! Als ich dieses mickrige Bähnlein sah, musste ich lachen. Ich sparte mir das Ticket für die 55-sekündige Fahrt und erklomm die Oberstadt stattdessen über die parallel verlaufende Treppe.
Ein paar Tage später besuchte ich nahe der bosnischen Grenze einen Nationalpark. Beim Wandern stiess ich irgendwann auf eine schier endlose Schlange von Wartenden. Schilder wiesen auf den «veliki slap» hin, den grossen Wasserfall. Vor dem wollten natürlich alle ihre Selfies machen.
Weil es sehr heiss war, wurde mir das Ganze irgendwann zu dumm: Ich lief an der Schlange vorbei und liess die Attraktion links liegen. Später sah ich den Wasserfall aus der Ferne: Über eine Steilwand stürzten mehrere kleine Bäche etwa 70 Meter in die Tiefe. «Naaa ja», dachte ich mir. «Die sollen mal nach Adelboden oder Kandersteg kommen. Da können sie Wasserfälle sehen!»
Kurz darauf musste ich erneut an die Schweiz denken. In einem Restaurant hatte ich etwas bestellt – wie so oft, ohne zu wissen, was mich erwartet. Slawische Sprachen sind nicht mein Ding. Es kam ein paniertes Stück Fleisch, gefüllt mit Schinken und Käse und garniert mit einer Scheibe Zitrone. In der Menükarte hiess das Gericht Zagrebacki odreza: Zagreber Schnitzel. Wieder musste ich lachen. Da fährt man 1000 Kilometer, und was setzen sie einem vor? Cordon bleu.
Doch im nächsten Moment war ich mir selbst ein bisschen peinlich. Auf Reisen ständig alles mit daheim zu vergleichen, ist zwar naheliegend, aber eigentlich eine unangenehme Marotte. «Schaut her, wir haben die längeren Bergbahnen, die grösseren Wasserfälle, und unser Cordon bleu ist sowieso besser!» – mit einer solchen Einstellung kann man auch gleich zu Hause bleiben.
Für den Tourismus wäre das der Todesstoss. Wenn alle es daheim am schönsten fänden – wer sollte dann noch die Schweiz besuchen?
MARK POLLMEIER
M.POLLMEIER@FRUTIGLAENDER.CH