POLITISCHE VERGESSLICHKEIT
Manchmal starte ich in den Tag und fühle mich als Ungar. Oder als Peruaner. Am Nachmittag werde ich dann stutzig und merke: Huch, das stimmt ja gar nicht! Aber wie es eben so geht: Die eigene Staatsangehörigkeit hat man ja schnell einmal ...
POLITISCHE VERGESSLICHKEIT
Manchmal starte ich in den Tag und fühle mich als Ungar. Oder als Peruaner. Am Nachmittag werde ich dann stutzig und merke: Huch, das stimmt ja gar nicht! Aber wie es eben so geht: Die eigene Staatsangehörigkeit hat man ja schnell einmal vergessen ...
Hat man natürlich nicht! Kein Mensch «vergisst» seine Staatsangehörigkeit – es sei denn, er ist sehr verzweifelt und verspricht sich davon Vorteile. Asylsuchende zum Beispiel haben gelegentlich Erinnerungslücken, wenn es um ihre Nationalität geht. Oder eben Bundesratskandidatinnen.
Falls Sie es nicht mitbekommen haben: Am Montag verkündete die Nidwaldner Regierungsrätin Michèle Blöchliger, sie wolle Nachfolgerin von Bundesrat Ueli Maurer werden. Als sie an der Medienkonferenz nach ihrer zweiten Staats angehörigkeit gefragt wurde, stritt sie ab, i rgendetwas anderes zu sein als Schweizerin. Einen Tag später musste sie dann kleinlaut zugeben: Sie habe wohl doch die b ritische Staatsbürgerschaft. Um das vorangegangene «Missverständnis» zu erklären, erzählte Blöchliger eine etwas wirre Geschichte von ihrer Mutter und einem abgelaufenen britischen Pass.
So absurd der Vorgang ist – noch absurder ist ja sein Hintergrund. Rund ein Fünftel der Schweizer Bevölkerung besitzt noch mindestens eine weitere Staatsbürgerschaft, das entspricht fast 1,7 Millionen Menschen. Auch sie dürften Bundesrätin oder Bundesrat werden; aus rechtlichlicher Sicht spricht nichts dagegen. Wer allerdings etwas dagegen hat, sind bürgerliche Kreise, allen voran die SVP. Warum sonst sollte Michèle Blöchliger ausgerechnet in dem Moment ihre zweite Staatsbürgerschaft «vergessen», in dem sie ihre Bewerbung anmeldet?
Chancen auf einen Bundesratssitz, so viel kann man sagen, hatte sie ab diesem Zeitpunkt nicht mehr. Ein zweifelhafter Umgang mit der Wahrheit kommt in der Politik einem Todes urteil gleich. Doch warum eigentlich? Der reinschweizerische Bundesrat Ueli Maurer hat doch gerade erst gezeigt, dass kleine Notlügen zum politischen Geschäft gehören. Seine treuherzigen Beteuerungen, er werde bis zum Ende der Legislatur im Amt bleiben, hatte er am Ende einfach ... vergessen.
MARK POLLMEIER
M.POLLMEIER@FRUTIGLAENDER.CH